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Neuregelung zur Bewertung der Rechtschreibung lässt Fragen offen

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Zeugnisbemerkungen bei Rechtschreibstörungen kommt nun eine Änderung, die die Bewertung der Rechtschreibung auf alle Fächer ausweitet. Das geht für BLLV-Experte Tobias Schreiner in die falsche Richtung.

Im November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit von Zeugnisbemerkungen bei Notenschutz für Schülerinnen und Schüler mit Rechtschreibstörung entschieden. Infolge dieses Urteils wurden im abgelaufenen Schuljahr in manchen Schularten die Zeugnisbemerkungen zu diesem Punkt angepasst. Teilweise fielen sie sogar komplett weg, beispielsweise am Gymnasium.

Eine Anpassung der bayerischen Schulordnungen soll nun für Rechtssicherheit sorgen. Am zweiten Tag der Sommerferien wurden diese Änderungen veröffentlicht und sorgen in Teilen der Schulfamilie für Verunsicherung: Eltern und Lehrkräfte stellen sich die Frage, ob mit den vollzogenen Änderungen nicht nur Rechtssicherheit geschaffen, sondern zugleich strengere Bewertungsmaßstäbe eingeführt wurden.

Sprachrichtigkeitsbewertung auf alle Fächer ausgeweitet

Die bisherige Regelung für Grundschulen sah eine Kennzeichnungspflicht für Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit vor. Zudem waren Ausnahmen für Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder nichtdeutscher Muttersprache möglich. Die Neufassung der Grundschulordnung lautet:

„Bei schriftlichen Leistungsnachweisen in allen Fächern sind Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit und schwere Ausdrucksmängel zu kennzeichnen und angemessen zu bewerten.“

Was wird dann eigentlich geprüft?

Rechtschreibfehler sind nun also „in allen Fächern“ zu bewerten, und zwar „angemessen“. Was bedeutet das konkret? Wenn in der HSU-Probe zwar sachlich alles richtig ist, die Rechtschreibung jedoch Mängel aufweist, kann das dann insgesamt noch eine sehr gute oder gute Leistung sein? Werden dadurch nicht Sachkompetenz und Rechtschreibkompetenz vermischt und so die Validität der Prüfung beeinträchtigt? Und wer entscheidet überhaupt darüber, was „angemessen“ ist?

Auch an Realschulen wurden bislang Rechtschreibmängel in allen Fächern markiert, aber nur in den Sprachen bei der Notenfindung bewertet; eine Regelung, die auch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich konform war. Dennoch entfiel mit der Änderung der Realschulordnung die Einschränkung auf die Sprachen, sodass bei schriftlichen Arbeiten nun Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit in allen Fächern zu bewerten sind – wiederum „angemessen“.

Verunsicherung und Konfliktpotenzial

Am Gymnasium lag die Entscheidung über die Bewertung bislang im Ermessen der Lehrkraft oder der Fachschaft („können … bewertet werden“). Nach der Änderung ist auch hier die Bewertung nun in allen Fächern verbindlich.

Gerade an den Übergängen, bei denen es schon heute fragwürdig ist, ob arithmetische Zahlenspiele in der zweiten Nachkommastelle tatsächlich darüber entscheiden sollten, welche schulischen Wege einem Kind offenstehen, sorgen solche Änderungen für Verunsicherung. Zudem bergen sie Konfliktpotenzial zwischen Eltern und Lehrkräften, innerhalb der Kollegien oder zwischen den Schulen.

Mehr Diagnostik und individuelle Förderung statt noch mehr Notendruck!

Nun braucht es schnell Klarstellungen, wie diese neugefassten Regelungen schülerfreundlich umgesetzt werden können, um Notenverschlechterungen quer durch alle Schularten sowie unbillige Härten zu verhindern. Denn eines ist klar: Was die Schule am wenigsten braucht, ist eine Erhöhung des Notendrucks. Dafür aber gerne mehr Ressourcen auch für Rechtschreibdiagnostik und individuelle Förderung!

<< Tobias Schreiner, Leiter der Fachgruppe Realschule im BLLV