Bild: Oft müssen Lehrkräfte zwischen ihren verschiedenen Rollen hin- und herspringen - dabei sind sie auch als Streitschlichter gefragt.
Bild: Oft müssen Lehrkräfte zwischen ihren verschiedenen Rollen hin- und herspringen - dabei sind sie auch als Streitschlichter gefragt.
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Mediation stärkt Klassenklima und ermöglicht guten Unterricht

Streit und wiederkehrende Konflikte erschweren das Leben von Lehrkräften massiv. Mediationsexpertin Juliane Wünschmann gibt praxisorientierte Tipps für den Schulalltag.

Als Juristin, Mediatorin und Systemischer Coach verfügt Juliane Wünschmann über beste fachliche Voraussetzungen für ihre Passion Mediation: Seit 2010 leitet sie das von ihr gegründete Projekt MZM Schulmediation der MediationsZentrale München (MZM), deren Vorstand sie als stellvertretende Vorstandsvorsitzende angehört.

BLLV-Akademie: Wenn Lehrer*innen als Mediator*innen agieren: Ist das ein Rollenwechsel oder eine weitere Facette ihres Lehrer*innendaseins? 

Juliane Wünschmann: Lehrkräfte schlichten oft bei Streit zwischen Schüler*innen - häufig aus dem Bauch heraus. Im Konflikt zu helfen oder zu mediieren sind zwei Paar Stiefel: Ein wesentliches Merkmal der Mediation ist, die Lösung inhaltlich den Streitenden zu überlassen, die Verantwortung hierfür also abzugeben und ausschließlich den Dialog zu steuern. Es ist definitiv ein anderer Hut, den sich die Lehrkräfte aufsetzen, wenn sie das tun. Lehrkräfte sind täglich Entscheider, vergeben Noten und werden von ihren Schülerinnen und Schülern meist als „hierarchisch oben“ wahrgenommen; in der Mediation aber geht es gerade nicht um Bewertung, sondern um wertfreies (Aus)Halten dessen, was alles an Gefühlen da ist, um Verstehen, um Zutrauen, darum, Emotionen, Bedürfnisse und widerstreitende Überzeugungen in einem geschützten Raum sichtbar zu machen; dadurch entsteht Verbindung. Insofern ein ganz schöner Paradigmenwechsel.

Es gibt natürlich Naturtalente für Konflikthilfe unter den Lehrkräften – viele davon durfte ich im Laufe der Jahre kennenlernen. In jedem Fall muss man sich als Lehrkraft in der entsprechenden Streitsituation ein Bewusstsein schaffen, welche Rolle man einnimmt und wie sich das nach außen authentisch transportieren lässt: „Ich bin jetzt hier nicht Eure Lehrerin, sondern ich will euch helfen, euren Konflikt beizulegen. Ich löse ihn nicht für Euch, Ihr könnt das selbst. Und hier gibt es keinen Eintrag ins Klassenbuch.“ Ein vertrauensvolles Verhältnis zu den betreffenden Schüler*innen macht das einfacher.

Das Beste für eine gelingende mediative Konfliktvermittlung ist wie ein weißes Blatt zu sein. Deshalb rege ich an, dass sich Lehrkräfte über ihre Klassen hinweg aushelfen. Dafür bräuchte es im Kollegium einen Beschluss zum Thema Konfliktmanagement. Die Schulleitung sollte als Schlüsselfigur mit im Boot sein und eine solche Kooperation aktiv fördern.

BLLV-Akademie: Warum ist es als Lehrkraft wichtig, Erfahrung mit Mediation zu haben? 

Juliane Wünschmann: Erfahrung in konstruktiver Kommunikation und in Mediation verbessern das soziale Klima - in der Klasse und in der ganzen Schule. Ist man hier fit oder ein gutes Stück weit ausgebildet, entwickelt sich ein Bewusstsein darüber, wie wichtig es ist, soziale Beziehungen zu pflegen. So schön, wenn in Schulen die Haltung gelebt wird, dass der Mensch und das Zwischenmenschliche wichtig sind! Außerdem sparen die Lehrkräfte enorm viel Kraft und tanken viel Freude auf. Denn in einem guten Miteinander ist eine Klasse arbeitsfähig, Unterricht ist möglich und macht Spaß. 

Beziehungspflege ist ein bisschen wie Zähneputzen: Wenn wir denken, daran sparen zu können, ist man dauernd mit Karies beschäftigt. Deshalb müssen wir raus aus der symptomatischen Behandlung und, wie Hygiene, im Vorfeld schauen, sich regelmäßig Zeit füreinander zu nehmen. Mir ist bewusst, dass genau das so schwierig für sehr viele Lehrkräfte ist: Zeit. Ich bin aber überzeugt, dass es sich genau dann, wenn der Unterricht durch Zoff und Unruhe gestört ist, lohnt, die Zeit zu investieren.

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Stressvolle Konfliktsituationen im Schulalltag konstruktiv meistern
Dank individueller Beratung durch das Referentinnen-Team finden Teilnehmer*innen des Seminars passgenaue Lösungen für wiederkehrende Konflikte in ihrem persönlichen Schulalltag. ...
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BLLV-Akademie: Niemand steht gern in einem Konflikt. Wenn’s geht, vermeiden wir ihn gern. Sie als Mediationsexpertin können uns bestimmt viele gute Gründen nennen, wieso es sich lohnt, in Konflikte zu gehen!

Juliane Wünschmann: Das gilt für Konflikte, die Lehrkräfte selbst haben, und auch für Konflikte zwischen anderen: Nur wenn wir einen Konflikt angehen, besteht die Chance auf Begegnung. Nur dann können wir uns verständlich machen und gesehen werden, nur dann lernen wir die Welt des anderen kennen, nur dann besteht eine Chance auf Klärung und auf eine echte Lösung des Streits. Oft entsteht aus der Auseinandersetzung etwas Besseres. Und die Klarheit tut sehr gut.

BLLV-Akademie: Was passiert, wenn ich Konflikte immer vermeide, umschiffe, beschwichtige?

Juliane Wünschmann: Wenn wir Konflikte vermeiden, verharren wir meistens im Kopfkino – über den/die anderen und was alles dahinterstecken könnte. Das verschärft den Konflikt, und er wird ein Rucksack, den wir mit uns herumschleppen. Unsere Wahrnehmung ist beeinträchtigt, plötzlich passt alles ins negative Bild. Dann werden Koalitionen gebildet, übereinander statt miteinander geredet - und damit betrifft der Konflikt dann nicht mehr nur die ursprünglichen Personen, sondern es breitet sich aus auf das Umfeld, auf weitere Ebenen. 

BLLV-Akademie: Wie gehe ich ungelöste Konflikte, die ich schon viele Jahre mit mir herumtrage, strategisch am besten an?

Juliane Wünschmann: Erst einmal müssen wir in uns hineingucken: Was ist es, dass es mir so schwer macht, es anzusprechen? Wovor habe ich Angst? Welche Emotionen fühle ich gerade? Was könnte ich für eine Lösung anbieten, und was würde ich mir vom anderen wünschen? Wenn ich mir darüber Gedanken gemacht habe, drüber schlafen. Im nächsten Schritt Formulierungen finden und dabei in der Ich-Perspektive bleiben. Für das Gespräch selbst dann Zeit einplanen. 

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Durch das Erlernen der Grundsätze von Gewaltfreier Kommunikation bekommen Lehrkräfte Tools an die Hand, um eine wertschätzende Atmosphäre zu kreieren, in der Bedürfnisse und Bitten formuliert werden können. ...
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BLLV-Akademie: Manchmal gibt es aber auch Tage, wo man für Konflikte gerade keine Kapazitäten hat – sei es zeitlich, sei es vom eigenen Krafthaushalt her. Wie kommuniziere ich das?

Juliane Wünschmann: Indem ich das genau so kommuniziere: „Mir ist es wichtig, dass ich euch unterstütze (oder mit Dir/Euch zu reden). Ich merke nur, dass ich gerade keine Kraft oder Zeit habe, diesem Thema den Raum zu geben, den es verdient. Würde es vielleicht morgen nach dem Unterricht passen?“

BLLV-Akademie: Auch wenn die Konfliktsituation vorbei ist, wirkt sie oftmals noch nach. Im Kopf gehen wir die Situation durch, prüfen, ob wir uns richtig verhalten haben, bedauern, wenn das vielleicht nicht hundertprozentig der Fall war und stellen uns in Frage. Was raten Sie Ihren Fortbildungsteilnehmer*innen, damit sie aus diesem Hin- und Herwälzen aussteigen können?   

Juliane Wünschmann: Das Wichtigste ist, denke ich, sich selbst erst einmal wahrzunehmen und sich selbst mitzukriegen, mit ein bisschen Abstand: Was für eine innere Attacke geht gerade in mir ab? Woher kenne ich das? Hier darf man sich Selbstliebe geben und sich selbst sagen: Ich habe getan, was ich konnte. Es kann sein, dass ich an der ein oder anderen Stelle etwas anderes hätte machen können. Ich bin ein Mensch.

Schön und hilfreich finde ich es, wenn man mit ein bisschen zeitlichem Abstand auf die Beteiligten zugeht und offen fragt: „Wie ist es euch ergangen? Ich habe mir Gedanken gemacht zu unserem gestrigen Gespräch. Was hat euch geholfen? Braucht ihr etwas von mir?“ Ohne sich klein zu machen oder zu schwächen, sondern als Zeichen echten Interesses. Das kann Wunder wirken.