An Bayerns Realschulen und Gymnasien sind Besuche von KZ-Gedenkstätten ohnehin schon vorgeschrieben, für Mittelschulen sind sie empfohlen. Die Unionsfraktion will jetzt eine Verpflichtung in ganz Deutschland durchsetzen und hat im Bundestag einen Antrag gestellt: "Nie wieder ist jetzt – Antisemitismus an Schulen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen mit aller Kraft bekämpfen". Darin steht die Forderung im Wortlaut, "dass alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland verpflichtend mit ausführlicher Vor- und Nachbereitung mindestens einmal im Laufe ihrer Schulzeit eingebettet in den Unterricht ein ehemaliges Konzentrationslager der NS-Diktatur besucht haben."
Der Bayerische Rundfunk gibt die Debatte über den Vorstoß wieder und zitiert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann, die das Anliegen selbst grundsätzlich für wichtig hält: "Dass das Thema in jede Schulart in die Mitte unseres Bildungs- und Erziehungsauftrags gehört, ist ganz klar“, betont sie und fragt aber zugleich: „Was bewirkt eine Verpflichtung?“ Denn eigentlich wäre, das Bildungsziel, Kinder und Jugendliche über die Geschehnisse dieser Zeit so aufzuklären und für die Relevanz in der Gegenwart zu sensibilisieren, dass sich so ein Besuch am besten möglichst organisch aus der Bildungsarbeit am Thema ergibt.
Panik ist besonders bei diesem Thema kein guter Ratgeber
„Die Frage ist doch, inwieweit ein Zwangsbesuch ein demokratisches, politisches, freiheitliches Bildungsverständnis trägt?“, analysiert Simone Fleischmann daher. „Kann ein Zwangsbesuch wirklich die Erinnerungskultur und das Ziel eines solchen Besuchs erreichen? Oder gibt es nicht auch noch andere Formate? Könnte man es nicht den Kolleginnen und Kollegen freistellen, wie sie dieses Thema je nach Jahrgangsstufe, je nach Schulart, je nach Regionalität in den Mittelpunkt stellen?“
Gerade weil das Thema für Kinder und Jugendliche kein Leichtes ist, braucht es aus Sicht des BLLV eben situatives pädagogisches Fingerspitzengefühl, dass den Lehrkräften vor Ort auch zugestanden werden muss: „Ein Besuch in einer KZ-Gedenkstätte, ist enorm eindringlich“, gibt BLLV-Präsidentin Fleischmann zu bedenken. „Da musst du dich immer fragen: Welche Schüler habe ich? Wir wissen als Profis ganz genau, wer in meiner Klasse ist, was diese Jugendlichen brauchen, worauf ich dabei aufbauen kann. Das ist für uns ein pädagogisches Grundprinzip, das haben wir schon seit Langem ausdiskutiert und eingeübt. Deswegen stelle ich schon die Frage, ob eben eine Verpflichtung sinnvoll ist. Ich sehe sie als letztes Mittel der Wirksamkeit, aus der eigentlich schon eine Art Verzweiflung spricht, weil die Gesellschaft eben merkt, dass so viel ins Wanken gerät und dass man deswegen glaubt, so ein verpflichtendes Format setzen zu müssen.“
Alle pädagogischen Optionen im Blick behalten
Zudem ist der Besuch einer Gedenkstätte nicht die einzige Möglichkeit, mit Schülerinnen und Schülern Erinnerungskultur zu leben, betont Simone Fleischmann: „Man sollte auch im Blick haben, welche Formate der Erinnerungskultur es außerdem gibt. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband engagiert sich zum Beispiel im Forum Erinnern, eine Plattform, auf der wir ganz viele Facetten der Erinnerungskultur bündeln und zur Verfügung stellen: Begegnungen, Biografien von Betroffenen, Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, Angebote für Schülerinnen und Schüler. Wäre es also nicht auch ein Weg, zu sagen: Der Kollege, die Kollegin ist so professionell, dass sie genau das Richtige für ihre Klasse findet?“
Auch wenn der von der Unionsfraktion vorgeschlagene Weg aus pädagogischer Sicht etwas kurz gedacht erscheint, ist das Bildungsziel enorm wichtig, resümiert die BLLV-Präsidentin: „Ich sehe die geplante Umsetzung etwas kritisch – aber wir müssen alle anerkennen, dass dieses Thema Kernauftrag von Bildung und Erziehung in allen Schularten sein muss!“
» Zum Artikel bei BR24: „Pflicht oder nicht? KZ-Gedenkstättenbesuche für Schüler“
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KZ-Gedenkstätten: Sind Zwangsbesuche wirklich das Beste für Erinnerungskultur?
Die Unionsfraktion hat im Bundestag beantragt, einen KZ-Besuch innerhalb der Schulzeit verpflichtend zu machen. BLLV-Präsidentin Fleischmann betont, wie wichtig Erinnerungskultur ist, stellt aber infrage, ob Zwangsbesuche dafür der richtige Weg sind.