"Es ist Land unter, das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht."
Ich konnte es kaum fassen. Wann kriegt man es schon mal derart offen gesagt? Diese Worte aus dem Munde eines ranghohen Regierungsbeamten stehen für das, was der BLLV seit Jahren von der Politik einfordert: Ehrlichkeit. Doch der Schein eines funktionierenden Schulsystems soll unbedingt gewahrt bleiben. Wo keiner der politisch Verantwortlichen die Situation offen benennt, fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen, die Schulleitungen und auch die Angestellten der Schulverwaltung ohnmächtig. Und allein gelassen mit all den Aufgaben, die sie stemmen sollen.
"Super, wie viele Leute top Ideen haben – die andere dann umsetzen sollen."
Volle Zustimmung auch bei dieser Aussage! Wie war das mit dem „gemeinsam.Brücken.bauen“ in den Sommerferien? Selbstverständlich stehen wir als BLLV für individuelle Förderung und applaudieren für dieses im Grundsatz so hervorragende pädagogische Konzept. Aber wie sollen wir in Zeiten, in denen wir nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht, auch noch solch ein Programm umsetzen?
"Wir müssen alle gemeinsam der Erwartungshaltung entgegentreten, dass man mit so einem Ferien-Förderprogramm etwas aus den letzten 16 Monaten aufholen kann und danach alles top ist."
Treffer! Was heißt es denn, wenn die Staatsregierung dieses Programm der Öffentlichkeit und insbesondere den Eltern präsentiert? Wenn das KM sagt, "wir haben mit diesem Konzept alles dafür getan, um die Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu fördern – jetzt sind die Schulen gefragt"? Das bisschen Personalsuche, die Einarbeitung der frisch Akquirierten und die paar formalen Regelungen – das übernehmen die Schulleitungen schon! Wenn es dann nicht funktioniert und man beispielsweise das Programm wegen Personalmangel nicht stemmen konnte, dann wissen wieder alle, wer Schuld hat: Wir Lehrerinnen und Lehrer.
"Die Schulleitungen können nicht mehr und geraten in Loyalitätskonflikte."
Genau! Die Kolleginnen und Kollegen müssen vieles, was von oben kommt, umsetzen, auch wenn das physisch und psychisch eigentlich gar nicht geht. Sie tun es dann um der Kinder und Jugendlichen willen dennoch bestmöglich. Aber es bleibt dabei: Was nicht richtig ist, ist eben nicht richtig. Und was nicht mehr geht, geht nicht mehr.
"Die Politik ist gewohnt, in Zahlen zu denken – wir brauchen aber keine hohe Quantität von Menschen an Schulen, sondern Qualität!"
Dieser Satz ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, denn er bringt alles auf den Punkt: Wenn in einer Mittelschule in Oberbayern in 26 Klassen nur noch 6 ausgebildete Mittelschul-Kolleginnen und -kollegen unterrichten und der Rest Quereinsteiger sind, dann ist die Unterrichtsversorgung gesichert – pro forma. Wenn die Politik so weitermacht und suggeriert, dass es doch genug Menschen mit irgendeinem akademischen Hintergrund gebe, die in Schule unterrichten können – was macht das dann mit uns Lehrerinnen und Lehrern? Es tut uns in der Seele weh. Wir sehen seit Jahren die schwierige Entwicklung an den Grund-, Mittel- und Förderschulen. Aber was bedeutet es denn, wenn wir diese Quereinsteiger an die Schulen bekommen und uns dafür verantwortlich fühlen, sie einzulernen und mitzunehmen? Können wir dabei zuschauen, wenn die Kinder und Jugendlichen nicht optimal gefördert werden?
Wir Lehrerinnen und Lehrer brauchen endlich Rahmenbedingungen, die uns nicht ständig über die Grenzen bringen. Wir brauchen eine Situation, in der wir uns auf das konzentrieren können, was wir am besten können: Für die Kinder und Jugendlichen bestmögliche Bildung zu bieten. Es wäre schön, wenn das wieder der Mittelpunkt unserer Arbeit werden könnte. Das erwarten wir von der Politik. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Wenn man ehrlich ist. // Simone Fleischmann
Artikel aus der bayerischen schule #5/2021