Handy_Tafel_comp_169.jpg
Verbot zu kurz gedacht Startseite Topmeldung
Cybermobbing Eltern Medienkompetenz Soziale Medien

Handys an Schulen: Richtiger Umgang ist Erziehungsauftrag

Das Handyverbot an britischen Schulen heizt die Debatte um Smartphones an deutschen Schulen neu an. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: Kinder und Jugendliche sollen lernen, ihre Geräte sinnvoll zu nutzen, Verbote würden Persönlichkeitsrechte verletzen.

Am Montag hat das britische Bildungsministerium einen Leitfaden herausgegeben, der Behörden und Schulen nahelegt, die Nutzung von Mobiltelefonen während der Amts- und Schulzeit zu verbieten. Es liegt im Ermessen der einzelnen Schulen, ob Handys beispielsweise am Schuleingang abgegeben werden müssen oder in gesicherten Schränken verwahrt werden.

Nun kocht die Diskussion auch in Deutschland wieder hoch, unter anderem spricht sich Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU) für ein Verbot aus, wie Spiegel online und die Bild-Zeitung berichten. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) lehnt es dagegen ab „Handys in den Schulen zu verteufeln oder generell zu verbieten“.

Lehren statt verbieten

Aus pädagogischer Sicht ist für BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann dabei vor allem eins entscheidend: „Der professionelle Umgang mit einem Smartphone ist ein Erziehungsauftrag für Eltern und für Schulen!“, sagt sie im Gespräch mit Radio Gong. Gerade weil das Smartphone ein so integraler Bestandteil der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen sei, müsse ein verantwortlicher, reflektierter Umgang damit oberstes Bildungsziel sein. Dieses sei natürlich nicht durch Verbote zu erreichen. Stattdessen sollen Schülerinnen und Schüler für Problematiken wie Cybermobbing sensibilisiert werden und lernen, sich gegen digitale Übergriffe wie beim Cybergrooming zu schützen.

„Wir managen das an den Schulen, indem wir klare Regeln aufstellen, wie Smartphones genutzt werden und wie eben nicht“, sagt Simone Fleischmann. „Wir bringen den Kindern ja auch bei, wie man mit einem Buch umgeht und es zum Beispiel niemandem über den Kopf haut, sondern eben darin liest.“

Pädagogische Expertise ist gefragt

Zudem gibt es für etwaige Verbote hohe rechtliche Hürden, stellt die BLLV-Präsidentin klar: „Ein pauschales Verbot ist bei der aktuellen Rechtsprechung, was die private Nutzung von Handys angeht, nicht durchsetzbar. Es geht dabei auch um die Sicherheit, die viele Eltern haben wollen, indem Kinder ein Handy dabeihaben und für sie erreichbar sind. Mit einem generellen Verbot würden also Persönlichkeitsrechte verletzt.“

Daher gehe es darum, statt auf Verbote auf pädagogische Kompetenz zu setzen. „Wir an den Schulen sind die Experten“, sagt Simone Fleischmann und verweist dazu auch auf Leitfäden zum Umgang mit Smartphones. „Wir begleiten Kinder und Jugendliche beim richtigen Umgang mit dem Smartphone und wir wissen auch, was zu tun ist, wenn sie bei der Handynutzung Grenzen überschreiten.“
 

Update vom 23.2.2024


Den BLLV erreichen dieser Tage viele Fragen nach der pädagogischen Sicht auf das Thema. Präsidentin Simone Fleischmann hat sich unter anderem beim Münchner Radiosender Charivari noch einmal ausführlich dazu geäußert.

Warum Verbote weltfremd sind und was es für die Nutzung von Smartphones an Schulen braucht:


"Es geht nicht, dass wir digitale, neue, moderne Entwicklungen aus der Schule verbannen. Das sind Entwicklungen in der Gesamtgesellschaft, die wir parieren müssen. Und das können wir, wenn wir mit Schülerinnen und Schülern pädagogisch arbeiten. Dazu müssen wir aber auch klare Regeln aufstellen: Was darf ich wo mit dem Handy? Was ist in der Pause los, was darf ich auf der Toilette mit dem Handy? Natürlich auf keinen Fall Fotos machen! Wann darf ich überhaupt das Handy anhaben? Was mache ich im Unterricht mit dem Handy? Wann darf ich es verwenden? Wir müssen mit den Kids darüber reden und klar sagen: Wann darfst du dieses Teil für was verwenden."

Warum überzogene Handynutzung auch für Schülerinnen und Schüler ein Leidthema ist, und was Erwachsene daraus lernen können:

"Es gibt andersherum auch eine Chance von Kindern zu lernen, mit dem Smartphone umzugehen. Ich weiß von Kindern und Jugendlichen, die es tierisch nervt, dass die Eltern, egal wo sie sitzen, miteinander mehr am Handy sind als die Kids selber. Es gibt auch insgesamt durchaus eine Entwicklung in die Richtung: ‘Hey, jetzt nimm das Teil mal einfach weg.‘ Das müssen wir aufgreifen:  Kinder brauchen auch handyfreie Zeiten."

Wie Handys pädagogisch sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden können:

"Im Handy bildet sich die Welt ab. Früher haben wir den Opa gebraucht, der über den Zweiten Weltkrieg berichtet hat. Früher haben wir das Schulbuch gebraucht und eine riesige Enzyklopädie an Büchern. Früher musste man Fernsehen schauen, und zwar um 18:50, um genau den gesuchten Content zu kriegen. All das ist nicht mehr nötig. Wir haben Podcasts, wir haben das World Wide Web, wir haben unterschiedliche Recherchemöglichkeiten. Und wir haben sogar eigene Produktionsmöglichkeiten mit dem Handy. Das heißt, ich kann sofort mal einen Clip produzieren. Wie cool ist das denn, wenn Schüler das, was sie verstanden haben, über zum Beispiel den Antisemitismus, nicht nur auf Papier wiedergeben, einen Aufsatz drüber schreiben oder ein Plakat malen, sondern dazu gleich mal ein kurzes Video drehen! Beispielsweise eine Szene spielen und dann reflektieren: Was war denn daran genau antisemitisch? Was heißt denn das eigentlich? Kurz ein Interview führen mit einem Experten. Wir haben also Riesenchancen, weil das Smartphone ein Mediengerät ist, das uns die Chance gibt, Informationen zu erhalten, Informationen zu setzen und zu verbreiten. Das können wir an Schulen wunderbar nutzen."

Warum Grenzüberschreitungen kein Grund für Pauschalverbote sind:

"Natürlich passieren auch Grenzüberschreitungen. Wir kennen alle Schlägereien im Pausenhof, die gab es früher, die gibt es leider auch heute noch. Und es gibt auch Grenzüberschreitungen, dass Videos gedreht werden, in den vermeintlich sozialen Netzwerken eingestellt werden, in denen Mädchen oder Jungs diskreditiert werden. Am nächsten Tag ist dann die Polizei in der Schule, überprüft genau, was auf diesen Plattformen passiert und führt Täter Strafen zu. Früher hatten wir also eine Schlägerei, jetzt haben wir dazu Cybermobbing und wir müssen lernen, damit umzugehen. Das ist natürlich blöd, dass das passiert. Ja, das ist eine Gefahr. Aber die können wir auch nicht ausschalten, indem wir die dafür missbrauchten Geräte einfach komplett negieren und sagen ‘Jessas Maria, also in Bayern darf es jetzt so was nicht mehr geben! Genauso wie Herr Söder meint, er könnte das Gendern verbieten und dann würde sich die Gesellschaft ändern. Genauso wenig wird sie sich ändern, wenn wir die Handys verbieten."

Warum Schule gesellschaftliche und technische Veränderungen nicht "wegignorieren" darf:

"Ich halte es für äußerst fraglich, dass wir aus einer technischen Entwicklung in den Schulen aussteigen können, wenn wir die Kids von jetzt für die Welt von morgen vorbereiten wollen. Ich komme bewusst nochmal auf das Gendern zurück: Wir können doch nicht einfach sagen, wir gendern nicht, weder in der gesprochenen Sprache, noch in der Schriftsprache, noch sonst im Umgang, weil wir eigentlich nicht wollen, dass es das dritte Geschlecht gibt. Ja, es gibt aber nun mal das dritte oder vierte oder fünfte Geschlecht. Das kann ich nicht wegnegieren. Ein Ministerpräsident hätte in Bayern gerne Silicon Valley hoch zwei und würde gern zum Mars fliegen. Ja, also wollen wir jetzt die technischen Entwicklungen oder nicht? Wollen wir jetzt die Weiterentwicklung zu einer Hightech-Agenda in Bayern? Dann müssen wir doch auch die Kids auf diese Welt vorbereiten und können nicht sagen ‘Um Gottes willen, das ist ja alles ganz brutal und ganz gefährlich und um Gottes willen, das verbannen wir alles!‘ Nein. Gesellschaftliche Entwicklungen, technische Entwicklungen sind in der Schule und müssen auch in die Schule. Wir müssen alle miteinander lernen, damit umzugehen."
 

Medienberichte zum Thema


Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Handyverbot an Schulen? Lehrerverbände lehnen Vorstoß strikt ab“
Darin Tomi Neckov, stv. Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) und BLLV-Vizepräsident:
„Unsere Erfahrungen zeigen, dass generelle und pauschale Verbote in der Regel nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Man darf sich nicht der Lebensrealität der Kinder verschließen, denn Smartphones sind ein zunehmend fester Bestandteil der Gesellschaft.“

Spiegel online: „Ministerin Prien für Handyverbot an Schulen“

Bild: „Experten fordern Handy-Verbot an unseren Schulen“

Heise online: „Leitlinien der Regierung: Englands Schulen müssen Handys verbieten“
 



Mehr zum Thema