"Endlich Ferien! Jetzt wollen viele Eltern und Kinder von Schule erst mal nichts mehr wissen. Warum das falsch ist und was im nächsten Schuljahr zu erwarten ist, erklärt die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, im Interview." - so leitet der Artikel im Münchner Merkur vom 28. Juli das Interview mit der BLLV-Präsidentin ein. In dem ausführlichen Gespräch ging es aber nicht nur um die Freude auf die Sommerferien und darum wie Eltern und Kinder diese für die Schule nutzen. Es ging auch und ganz besonders um große Lernrückstände, um Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss, um Streichungen im Stundenplan, um die Kommission zur Reform der Lehrerausbildung und darum, was sich an den Schulen ändern muss!
Lernrückstände und die Fokussierung auf Kernkompetenzen
Beim Grundschultest Iglu zeigten Schülerinnen und Schüler in der Grundschule teils gravierende Defizite, beispielsweise beim Lesen und Schreiben, aber auch in anderen Bereichen. Gleichzeitig verlassen immer mehr Jugedliche die Schulen ohne Abschluss. Wie schlimm ist es und wie können wir die Kernkompetenzen der Kinder wieder stärken?
Simone Fleischmann dazu im Interview: "Ein Viertel der Viertklässler erreicht nicht mal die Mindeststandards. Ich vermisse den Aufschrei darüber - und die Diskussion. Denn das Ergebnis ist besorgniserregend. Wir haben jetzt schon 50 000 Schüler ohne Abschluss im Jahr. Das werden definitiv mehr werden. Wer die Kompetenzen jetzt nicht erreicht, wird sich in den weiterführenden Schulen äußerst schwertun.
Wir müssen uns auf das Unterrichten von Kernkompetenzen konzentrieren. Lesen, Schreiben, Rechnen. Es ist schön, wenn es eine AG Theater gibt, einen Schachkurs, einen Chor - weil das die Kinder motiviert! Aber erst mal müssen wir schauen, dass die Mindeststandards erfüllt werden. Angesichts des Lehrermangels werden wir auf gewisse Angebote verzichten müssen. Das können die Schulen vor Ort entscheiden. Wir brauchen keinen Befehl aus dem Kultusministerium."
Wie geht zukunftsfähige Schule?
Lerndefizite, Lehrermangel, Schulabbrecher - es liegt auf der Hand, dass jetzt an vielen Ecken über Reformen nachgedacht wird, beispielsweise im Bereich der Lehrkräftebildung. Ministerpräsident Markus Söder hat gerade eine Expertenkommission zur Reform der Lehrkräfteausbildung eingesetzt und Simone Fleischmann wurde als BLLV-Präsidentin in die Kommission berufen. Was die Beratungen anbetrifft wurde Stillschweigen vereinbart aber eines ist klar: Für den BLLV stehen die Qualität und die Flexibilität der Ausbildung im Mittelpunkt! Eines macht die BLLV-Präsidentin aber klar - es geht hier nicht um Einheitsschule oder Einheitslehrkräfte: "Mit dem Einheitslehrer kommt die Einheitsschule - das ist das, was man dem BLLV gerne unterstellt. Ich will das nicht. Wir wollen das nicht. Unser Reformmodell zur flexiblen Lehrerbildung liegt auf dem Tisch. Studenten sollen sich erst nach einer Eingangsphase für eine Schulart entscheiden. Dieses Grundstudium für alle ist uns sehr wichtig. Erst danach ist eine Spezialisierung auf einzelne Schularten und dann der Master vorgesehen."
Gefragt zu Änderungen der Notengebung oder bei Übertritt, Notengrenzen und einer längeren gemeinsamen Schulzeit stellte Fleischmann klar: "Die Notengrenzen als Erstes anzugehen, macht in Bayern strategisch wohl erst mal keinen Sinn. Ich habe einen anderen Ansatz: Es stellt sich die Frage, ob das dreigliedrige Schulsystem in Bayern auf Dauer noch zu halten ist. Die Zahl der Studierenden für die Mittelschule geht drastisch zurück, es gibt viele Studienabbrecher. Der BLLV plädiert nicht für die Gemeinschaftsschule. Wir wollen eine längere gemeinsame Schulzeit und eine regionale Schulentwicklung. Aber auch Bayern wird sich dieser Diskussion stellen müssen - behutsam, ohne Schärfe."
Ein klares "Nein" zu Zwangsmaßnahmen gegen den Lehrkräftemangel
Mittlerweile wird von der Staatsregierung offen zugegeben, dass Lehrermangel herrscht. Wie schlimm es im kommenden Schuljahr werden wird, bleibt abzuwarten. Simone Fleischmann: "Es wird zwar immer vom Kultusminister betont, dass wir so viele Lehrer haben wie noch nie, aber wir haben auch so viele Schüler wie noch nie. Bis Mitte Oktober geht es ja in aller Regel immer gut. Dann kommen die Meldungen über längerfristige Krankheitsfälle oder Schwangerschaften und die mobilen Reserven sind schnell nicht mehr vorhanden. Nach Weihnachten wird das Kultusministerium wohl wieder über dienstrechtliche Maßnahmen reden. Es gibt ja viele mögliche Maßnahmen: weniger Teilzeit, mehr Pensionisten, mehr Studierende, noch mehr Externe, die Höchstgrenzen in den Klassen hochsetzen, mehr Lehrerarbeitszeit, Unterricht kürzen und Angebote streichen... Wir sagen vorsorglich schon: Nein. [...]
Wenn die Kernmannschaft noch mehr krank wird, geht irgendwann gar nichts mehr. Wir haben schon vor Jahren vor dem Lehrermangel gewarnt und fanden zu wenig Gehör. Die Kultusministerkonferenz hat kürzlich betont, sie sei im Team Machbarkeit, nicht im Team Qualität. Das sagt alles. Wo bleibt die Bildungsqualität, wenn's nur mehr machbar sein soll?"
Ferien um sich zu erholen, aber auch um sie sinnvoll zu nutzen
Am Ende kam das Thema Schuljahresschluss und Sommerferien aber auch nicht zu kurz: "Erst- und Zweitklässler zum Beispiel brauchen in aller Regel sicher in diesen sechs Wochen ab und an etwas zum Dranbleiben. Vorlesen lassen, Rechenspiele machen - das geht sogar bei der Reise in den Urlaub, es gibt Apps dazu. Wenn die Kinder den Ball ganz verlieren, ist er wieder schwer ins Feld zu bringen. Ich rate allen Eltern: Schaut auf euer Kind. Wichtig ist vor allem die Woche, bevor die Schule wieder startet. Man sollte den Tagesrhythmus wieder trainieren. Etwas früher ins Bett gehen, die Schulsachen rechtzeitig packen, sich auf die Schule einstellen. Vor allem bei den Grundschülern. Eltern älterer Kinder könnten mit ihrem Sohn, ihrer Tochter, und mit dem Zeugnis vor Augen einen klaren Plan entwickeln. Das bedeutet, die Noten durchzugehen und mit dem Kind zu besprechen, wo es sich verbessern kann. Es gibt Jugendliche, die sagen von sich aus: Wenn ich jetzt den Anschluss verpasse in der 7. Klasse, ist es vorbei. Auch Lerncamps sind eine Möglichkeit. Ich bin gegen eine reine Laissez-faire-Haltung. Feedback und Begleitung durch die Eltern sind wichtig."