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Keine Lösung des Lehrkräftemangels Startseite Topmeldung

Diskussion um Teilzeit geht zu Lasten von Frauen

Teilzeit-Reduzierung soll den Lehrkräftemangel richten, denken zumindest manche Politiker - auch Bayerns MP Söder. Dass vor allem Frauen in Teilzeit arbeiten betrifft aber nicht nur den Lehrberuf (48%), sondern alle Berufe der freien Wirtschaft (49%).

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann zum Thema


"Die beste Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht als Ziel im Koalitionsvertrag", stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klar. "Daran muss mitten im Lehrkräftemangel festgehalten werden! Teilzeitkräfte arbeiten zudem nicht nur wegen eigener Familie, Kindern und Care Arbeit weniger, sondern auch um sich selbst vor Überlastung zu schützen."


Interview mit Sandra Schäfer, Leiterin des BLLV-Referats Gleichberechtigt!:

BLLV: Politische Vorstöße richten sich wieder auf eine Anpassung der Teilzeit-Regelungen. Woher kommt die ausgemachte hohe Teilzeit-Quote bei Lehrkräften eigentlich?

Sandra Schäfer: Dass zu Zeiten von Lehrkräftemangel natürlich nach jedem Strohhalm gegriffen wird, das ist klar. Das ist nichts Neues. Auch nicht neu ist, dass man immer zuallererst in Richtung Teilzeit schaut. Und diese hohe Quote, die man jetzt für Bayern ausgemacht hat, damit zu begründen, dass das an dem hohen Frauenanteil im Lehrberuf liegt, macht mich immer wütend. Ach ja, wegen der Frauen und Kinder und so… Die zu stellende Frage ist doch eigentlich: Was steckt denn da dahinter?

BLLV: Tatsächlich arbeiten im Lehrberuf genauso viele Kolleginnen Teilzeit wie in anderen Wirtschaftsbereichen, nämlich fast die Hälfte. (Es arbeiten ungefähr 48% der Lehrerinnen in Teilzeit, in der freien Wirtschaft sind es 49% der Frauen. Anm. d. Red.)

Sandra Schäfer: Das ist in der Tat spannend und zeigt, dass das Thema für die gesamte Gesellschaft interessant ist, nicht nur in Schule. Im Bildungsbereich sehen wir sogar, dass der Anteil der Männer, die Teilzeit arbeiten, höher ist - anders als in anderen Wirtschaftsbereichen. Hoffnungsvoll könnte man annehmen, dass diese Männer verstärkt in der Care-Arbeit tätig sind, leider ist dies, statistisch gesehen, nur für kurze Zeiträume der Fall.

Ein großer Faktor für die Wahl von Teilzeit im Lehrberuf hat nach unserer Erfahrung damit zu tun, wie hoch die Belastung der Kollegen und Kolleginnen vor Ort ist. Viele sehen sich von Belastungsseite her nicht mehr imstande, den Beruf in Vollzeit auszuüben.

BLLV: „Teilzeit“ heißt ja bei Lehrkräften, dass die Unterrichtsverpflichtung reduziert wird. Neben dem Unterricht gehört es natürlich auch zu den Aufgaben von Lehrkräften, dem Erziehungsauftrag nachzukommen und viele Dinge im täglichen Schulbetrieb zu managen oder zu verwalten… Reduzieren sich diese zusätzlichen Aufgaben im gleichen Maße?

Sandra Schäfer: Das ist der Punkt. Nicht selten hören wir von Kolleginnen und Kollegen, dass sie ihre eigentliche Unterrichtszeit nach unten korrigieren, um so den anderen Aufgaben, die Schule heute mit sich bringt, überhaupt gerecht werden zu können. Wenn also die Unterrichtspflichtzeit reduziert werden kann, heißt das noch lange nicht, dass die Verwaltungs- und Erziehungsaufgaben im angegebenen Verhältnis reduziert werden. Diese Aufgaben bleiben erhalten. Viele Lehrkräfte arbeiten real schon in Vollzeit oder darüber hinaus, nur nicht in Unterrichtsstunden.

In der Beratung, in meiner Funktion als Personalratsvorsitzende, schimpfe ich dann oft, da dieses Modell ja unentgeltlich Mehrarbeit bedeutet, den Beschäftigten, oft Frauen, aber zur Versorgung später fehlt. Die Antwort ist oft dieselbe: Wenn ich aber meinen Schülerinnen und Schülern nicht mehr gerecht werden kann, reduziere ich meine Unterrichtspflichtstunden. Dann schaffe ich das alles wieder besser.

BLLV: Und doch scheint eine Ursache für die vermeintlich hohe Teilzeitquote auch darin zu liegen, dass der Frauenanteil im Lehrberuf so hoch ist, nämlich ca. 73 Prozent im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen mit ca. 48 Prozent.

Sandra Schäfer: Paare entscheiden sich oft, dass einer oder eine von beiden weniger arbeitet und dafür die Betreuung des Kindes oder zu betreuender Angehöriger übernimmt. Das hat sehr oft den Hintergrund, dass es einfach zu wenig Betreuungsmöglichkeiten gibt. Dann entstehen diese Konstellationen. Und ja, es ist so, dass es aufgrund von strukturellen Gegebenheiten sehr oft die Frau ist, die dann diese Betreuung übernimmt.

Für Eltern oder Alleinerziehende, die gern mehr arbeiten wollen, fehlen auch einfach Anreize. So begünstigt das Steuermodell 3/5 bei Paaren, dass eine oder einer daheim bleibt. Einen entsprechenden Anreiz der vollständigen Anerkennung von Betreuungskosten für Vollzeitarbeitende hingegen gibt es nicht.

Somit fehlt letztendlich die gut ausgebildete Fachkraft am Arbeitsmarkt, die vielleicht gern arbeiten möchte, also auch bei uns in der Schule.

BLLV: Stichwort „Elternzeit“: Es gibt im Lehrberuf doch auch gute Möglichkeiten in der Elternzeit einzusteigen.

Sandra Schäfer: Im Prinzip schon. Die Beschäftigten erleben aber hier, dass die Starre des Systems oft nicht zur notwendigen Flexibilität der Beschäftigten in Elternzeit passt. Konkret: Wenn jemand in Elternzeit zwei Tage arbeiten kann, so wird es mit Kleinkind schwierig sein, wenn die Anfahrt zur Arbeitsstelle länger ist. Hier benötigen alle Akteure vor Ort viel mehr Flexibilität. Ansonsten schreckt es lediglich ab und die Lehrkräfte in Elternzeit resignieren.

BLLV: Welche Lösungen erhoffen Sie sich bzw. welche werden aktuell erarbeitet, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken?

Sandra Schäfer: Da müssen wir kurz-, mittel- und langfristig denken. Langfristig gibt es die Lehrer-Bildungskommission, die hoffentlich dann im Sommer konkrete Veränderungen erarbeitet hat, die uns langfristig aus diesem Up and Down der Lehrkräfte-Versorgung rausholen. Mittelfristig haben wir jetzt viele zusätzliche, ungelernte Kräfte an den Schulen. Da muss man jetzt schauen, dass die auch bei der Stange bleiben, denn nicht immer ist die berufliche Situation auch attraktiv für diese Kräfte. Kurzfristig ist es einfach eine riesige Schwierigkeit.

BLLV: Welche Möglichkeiten und Herausforderungen sehen Sie darin, diese Schwierigkeit kurzfristig zu bewältigen?

Sandra Schäfer: Wir brauchen ein großes Maß an Flexibilität, denn jeder Standort hat andere Voraussetzungen und Herausforderungen. Und wir benötigen auch die notwendigen Mittel und Strukturen, um vor Ort für unsere Schülerinnen und Schüler das optimale Fördern und Fordern zu ermöglichen!

Und selbstverständlich müssen die Arbeitsbedingungen attraktiv sein. Systemisches zu hinterfragen und Anreize zu schaffen ist deutlich wichtiger als mit Verboten zu arbeiten. Denn unter der jetzigen Belastung werden schlicht und ergreifend noch mehr Lehrkräfte einfach den Beruf an den Nagel hängen. Das war und ist auch die Erkenntnis aus der Anwendung des Arbeitszeitkontos. Die Sondermaßnahmen des Piazolo-Pakets müssen schleunigst von den Schultern der Lehrkräfte genommen werden!

Oder das Beispiel Teilzeit in Elternzeit: Kolleginnen und Kollegen haben zahlreiche organisatorische Hürden zu nehmen, wenn sie arbeiten wollen und dann bekommen Sie auch noch eine Stunde Arbeitszeitkonto draufgepackt! Das ist nicht förderlich, um die Lehrkräfte in Teilzeit während der Elternzeit wieder in die Schule zurückzuholen. Heißt also: Wir benötigen an dieser Stelle einfach mehr Flexibilität und schlicht und ergreifend mehr Vertrauen statt Bürokratie!

BLLV: Zur Eingangsfrage: Diskussion um Teilzeit - was bringt sie nun wirklich?

Sandra Schäfer: Wenn wir hinter die Kulissen sehen, an Ursachen rangehen, Anreize schaffen und Bedingungen so gestalten, wie es notwendig ist, damit Lehrkräfte ihren wunderbaren Beruf ausführen können, ist es eine wichtige Diskussion. Wenn die Beantwortung der Frage bei dem Gedanken „Teilzeit. Achso, das betrifft ja sowieso die Frauen!“, endet, steht das einem gesamtgesellschaftlichen Vorankommen im Wege. Denn wir müssen genau hinschauen: Es geht um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und das geht jeden etwas an!

BLLV: Frau Schäfer, wir danken dir für das Gespräch!


Das BLLV-Referat Gleichberechtigt!

Trotz Gleichstellungsgesetz und Quote - die Situation hat sich für Frauen in Deutschland nicht wirklich verbessert. Auch im Lehrerberuf tun sich Gräben auf, etwa bei der Besetzung von Funktionsstellen oder der Bezahlung. Erfahren Sie mehr zum Referat Gleichberechtigt » HIER