Bereits vor Schuleintritt werden wichtige Grundsteine für die Kompetenzentwicklung gelegt, die auch langfristig große Auswirkungen auf den Bildungserfolg von Kindern haben können. Die Förderung früher Medienkompetenzen und der Einsatz digitaler Medien zur Förderung schulrelevanter Fähigkeiten ist daher nicht nur eine aktuelle Herausforderung für Schulen, sondern auch für Kindertagesstätten in Deutschland von wachsender Bedeutung. Zudem können digitale Medien auch außerhalb von Institutionen zur Unterstützung des frühkindlichen Lernens eingesetzt werden - zu Hause, in der familiären Lernumwelt.
Gerade in Zeiten von Corona rückt das digitale Lernen in den Familien besonders in den Fokus. Jedoch fehlen für das Vorschulalter bislang aussagekräftige Studien zum Nutzungsverhalten und den Auswirkungen digitaler Medien auf das Lernen: Die empirische Forschungslage dahingehend, inwiefern Mediennutzung in der frühen Kindheit zielführend, unterstützenwert oder überhaupt unbedenklich ist, ist derzeit nicht eindeutig. Unter Berücksichtigung breiter gesellschaftlicher Vorbehalte gegen die Nutzung digitaler Medien in der frühen Kindheit ergibt sich daraus eine Verunsicherung vieler Eltern, ob sie digitale Medien mit ihren Kindern zu Hause nutzen sollen und wie sich diese, falls überhaupt, für das frühkindliche Lernen eignen.
Gleichzeitig sind neue Medien mittlerweile in deutschen Haushalten weit verbreitet, und dies ganz unabhängig vom sozialen Status der Familie. Auch wenn viele Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder stark reglementieren, so sehen Kinder ihre Eltern selbst täglich mit digitalen Geräten interagieren. Digitale Medien sind somit bereits in der Lebenswelt von Kindern in Deutschland angekommen und können, neben den nicht zu vernachlässigenden Risiken, auch Chancen bieten – etwa, gezielt sozial benachteiligte Familien mit Lernmaterialien für Kinder zu erreichen.
Inwieweit sich diese gezielte Förderung von Kindern mit digitalen Medien in die Realität umsetzen lässt, wird derzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität in München im ERC-Projekt: „App-based Learning for Kindergarten Children at Home“ (Learning4Kids) untersucht. Im Rahmen des Projektes werden digitale Lernprogramme zusammengetragen und entwickelt, mit deren Hilfe Kindergartenkinder ihre sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten gezielt verbessern können. Insgesamt 500 Kinder werden im Projektverlauf für die Dauer von vier Jahren (im Zeitraum von zwei Jahren vor der Einschulung bis zum Ende der 2. Klasse) begleitet und untersucht.
Zu Beginn des Projekts wurde ein zufällig ausgewählter Teil der Eltern (Interventionsgruppe) mit Tablets inklusive spezifischer mathematischer/ schriftsprachlicher Lern-Apps ausgestattet. Diese Apps bestehen aus kindgerechten Lernspielen, welche beispielsweise die Zuordnung von Anlauten oder Ziffern üben. Des Weiteren erhalten die teilnehmenden Eltern der Interventionsgruppe über das Tablet Informationen mit Anregungen und Tipps zur Unterstützung der analogen familiären Lernumwelt. Zwei Vergleichsgruppen (mit und ohne Tablets) werden der Interventionsgruppe gegenübergestellt. So kann in den anschließenden Kompetenzanalysen überprüft werden, ob sich die Lernfortschritte der Kinder auf die Nutzung der mathematischen und schriftsprachlichen Lern-Apps zurückführen lassen.
Es wird erwartet, dass die Intervention nicht nur zu einer Verbesserung der Qualität in der familiären Lernumwelt führt, sondern auch die teilnehmenden Kinder hinsichtlich ihrer schriftsprachlichen und mathematischen Kompetenzentwicklung langfristig unterstützt. Die aktuelle Forschung zeigt eindrücklich, dass Lernvoraussetzungen im Elternhaus geschaffen werden und diese die Bildungsbiographien von Kindern dauerhaft prägen. Frühe mathematische und schriftsprachliche Kompetenzen im Vorschulalter bilden die Grundlage dafür, dass Kinder später erfolgreich die Schule besuchen können. Allerdings erreichen viele Kinder kein ausreichendes Kompetenzniveau. Der Anteil an Kindern mit niedrigeren Kompetenzen ist zudem bei Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status und/oder mit Migrationshintergrund erhöht, da einige dieser Kinder zu Hause nicht immer die notwendige Unterstützung erhalten (können). Digitale Medien können hierbei – eine adäquate, zielführende Nutzung im Rahmen der familiären Lernumwelt vorausgesetzt – bildungsausgleichend wirken. Mit unserer aktuellen Forschung möchten wir zu hierzu neue und fundierte Erkenntnisse bereitstellen.
Ein Gastbeitrag von Astrid Wirth, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für empirische Pädagogik und pädagogische Psychologie und Prof. Dr. Frank Niklas, Professor für Pädagogische Psychologie und Familienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hier erfahren Sie mehr über die Forschung der Arbeitsgruppe um Prof. Niklas an der Fakultät für Psychologie und Pädagogik der LMU München.