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"Demokratie ist eine Haltung und die muss im Unterricht und in der Schule wirklich gelebt und erlebt werden können"

Im kommenden Schuljahr soll es losgehen mit der Verfassungsviertelstunde. Antje Radetzky, Leiterin der Abteilung Berufswissenschaft im BLLV, im Interview darüber, welche Maßnahmen sie für sinnvoller hält, um jungen Menschen demokratische Werte zu vermitteln.

Die sogenannte "Verfassungsviertelstunde" soll wie geplant im neuen Schuljahr starten, allerdings zunächst nur in ausgewählten Jahrgangsstufen. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann forderte bereits nach Bekanntgabe, dass eine Verfassungsviertelstunde nicht reiche, "um Kinder und Jugendliche zu medienkritischen und toleranten Demokraten zu erziehen" - und grundsätzlich mehr politische Bildung in allen Schularten.

Im Interview erklärt Antje Radetzky, die selbst Schulleiterin einer Grundschule ist, wie sie als Lehrerin die neuen Maßnahmen sieht. Grundsätzlich findet sie es gut, dass die Wichtigkeit der Demokratiebildung erkannt wurde und die Verfassungsviertelstunde auch ein klares Signal dafür ist. Allerdings gehen ihr die Maßnahmen nicht weit genug:

"Die Politik sollte sich eigentlich klar dazu bekennen, dass politische Bildung und Werteerziehung grundsätzlich erstmal Kernauftrag des Schulalltags sein sollten. Und eine Viertelstunde die Woche und das auch nur in ausgesuchten Jahrgangstufen – nämlich zweite, vierte und sechste, achte und elfte Klasse – wird da nicht ausreichen." Viel wichtiger, findet Radetzky, seien die Förderung demokratischer Grundhaltungen wie Toleranz, Gemeinsinn und die Fähigkeit des Perspektivwechsels, was auch Ziele der Verfassungsviertelstunde sind. Vieles davon sei auch schon im Lehrplan Plus verankert.

Lehrkräfte brauchen viel mehr Zeit und Freiräume

"Demokratie ist ja nicht etwas, was ich einfach so lernen kann. Demokratie ist eine Haltung und die muss wirklich im Unterricht und Schulleben gelebt und erlebt werden können und deswegen fest verankert sein", erklärt Antje Radetzky die Komplexität des Themas. Dafür bräuchten Lehrkräfte vor allem viel mehr Zeit und Freiräume, um "wirklich demokratiepädagogische und partizipative Strukturen insgesamt" im Schulleben zu verankern.

Besser wäre es, demokratische Strukturen zu etablieren wie einen wöchentlichen Klassenrat und zwar in allen Jahrgangsstufen: "Denn das ist Demokratie auf Klassenebene und im Kleinen und da können die Kinder und Jugendlichen wirklichen erleben, was Demokratie bedeutet und was es für Chancen bietet", so Radetzky im Interview. Sie könne sich außerdem auch eine funktionierende Schülermitverantwortung vorstellen, in der die Schülerinnen und Schüler wirklich mitbestimmen und mitreden dürfen und auch Entscheidungen mitbeeinflussen können.

Werte-Erziehung und Werte-Bildung ist die wichtigste Grundlage

Was bleibt Kindern und Jugendlichen noch im Bewusstsein bei einer Viertelstunde? Eine berechtigte Frage der Reporterin. Antje Radetzky glaubt, dass vor allem die Wertebildung die Grundlage für Demokratieerziehung macht: "Ich glaube, wenn ich mich insgesamt mit Werten und Haltungen beschäftige, zum Beispiel im Zuge des Werte-Reisekoffers", das bleibe bei den Schülerinnen und Schülern hängen, so Radetzky. Der Werte-Reisekoffer ist eine Publikation der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildung mit Unterrichtsmaterial für Kinder. "Hier kann ich mich ganz toll damit beschäftigen und fragen, was für Werte sind denn mir eigentlich persönlich wichtig? Welche sind für unsere Klasse wichtig? Oder: Welche Werte des Anderen verletzte ich gerade?" so Radetzky über wirklich nachhaltige Maßnahmen zur Wertebildung von Kindern.

Dabei müssen auch aktuelle politische Ereignisse reflektiert werden: "Natürlich muss ich mir als Lehrkraft auch Zeit nehmen dürfen, um aktuelle Geschehnisse mit den Schülerinnen und Schülern diskutieren zu können. Die haben ja Sorgen und Anliegen – die bekommen die Nachrichten genauso mit wie wir und die wollen darüber sprechen und die wollen gehört werden und ihre Sorgen äußern können. Und wenn ich Zeit habe zu diskutieren mit den Kindern, dann ist das wirklich wichtig."

Ganz wichtig ist den Kindern etwas zuzutrauen

Was Antje Radetzky Eltern raten würde? "Ganz wichtig ist, dass man den eigenen Kindern etwas zutraut, dass man ihnen zuhört und zwar schon von klein auf. Selbst Kindergartenkinder sollten auch Aufgaben bekommen und Verantwortung übertragen bekommen. Man sollte sie wertschätzen und sie auch mitbestimmen lassen - altersgerecht natürlich. Und sie wirklich ernst nehmen, das ist erstmal grundlegend wichtig. Und dass man auch ihre Meinung anerkennt und hört."



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