BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch Startseite Topmeldung
Politische Bildung

Wieviel Raum brauchen wir für Geschichtsunterricht, Geschichtsverständnis und Demokratiebildung?

Was könnte in Sachen Demokratieverständnis besser laufen im bayerischen Bildungssystem? Bräuchten wir vielleicht einen anderen Geschichtsunterricht oder mehr Geschichtsunterricht? Diese Frage beschäftigte die Gäste von Bayern 2 Kulturleben.

Tom Kretschmer moderierte die Diskussion am 16. Mai. Im Studio waren Prof. Dr. Waltraud Schreiber, Geschichtsdidaktikerin und ehemalige Professorin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Zaradacht Gimo, stellvertretender Landesschülersprecher in Bayern und BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Die Fragen drehten sich um das Thema: Wie viel Zeit und Raum braucht es an Schulen und Universitäten um Geschichtsbewusstsein zu fördern und das Historische mit Aktuellem zu verknüpfen? Und was bedeutet das für das Demokratieverständnis Heranwachsender?

Einig waren sich alle, dass für dieses wichtige Thema natürlich mehr Zeit, mehr Raum und auch mehr Ressourcen wünschenswert wären. Aber welche Freiheiten haben die Universitäten und Schulen überhaupt? Bräuchte es einen anderen Lehrplan um dem Thema gerecht zu werden? Frau Prof. Dr. Schreiber betonte, dass es die Freiräume zur Behandlung des Themas gibt und dass es wichtig sei, diese zu nutzen und sich von den Schulbüchern zu lösen - gerade bei besonders aktuellen Themen und Herausforderungen. Die Frage wurde auch Simone Fleischmann gestellt, insbesondere vor dem Hintergrund des BLLV-Manifests "Haltung zählt!".

Wichtigen Themen den richtigen Rang einräumen

"Ja, wir erleben die aktuelle gesellschaftliche Situation so, dass wir mit den Jugendlichen dringend in andere Dialoge und in andere Diskussionen gehen müssen. Ich würde gerne anschließen bei Frau Professor Schreiber und sagen: Der Lehrer und die Lehrerin, die genau spüren, was aktuell zu diskutieren ist, 'pfeifen' auf den Lehrplan - natürlich nicht auf die Inhalte und auch nicht auf die große Ausrichtung, aber sie schauen: Was genau betrifft die Kinder und Jugendlichen jetzt. Und wir haben damals 2015 in der so genannten Flüchtlingskrise erlebt, dass der Hass und die Hetze und die Verrohung in der Sprache sich breit machten. In den Parlamenten genauso wie in in der Gesellschaft und haben dann das Manifest 'Haltung zählt' verfasst, im Sinne von: Wir in den Schulen möchten die Demokratie schützen, wir müssen sie schützen und wir müssen alles dafür tun, dass die Kinder und Jugendlichen von heute die Demokratie von morgen verstehen, sie leben und sich partizipativ einbringen. Und mit den Schülerinnen und Schülern haben wir die Verpflichtung, jenseits jeglicher Lehrpläne, jenseits jeglicher Verankerung in den Jahrgangsstufen, jenseits jeglicher Schulbuchinhalte die Aktualität in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen. Das verlangt die jetzige Situation dringend."

Geschichte authentisch und offen erleben

Und auch Zaradacht Gimo bestätigte, dass sich die Lehrkräfte durchaus bemühen, aktuelle Themen wie den Nahostkonflikt oder die Europawahl jenseits des Lehrplans zu behandeln. Diskutiert wurde dabei auch die Rolle von Zeitzeugen, die Geschichte ganz anders vermitteln können als Bücher. "Wenn wir früher zum Beispiel Max Mannheimer bei mir an der Grund- und Mittelschule in Poing eingeladen hatten, dann hast du da eine Stecknadel fallen hören können. Schülerinnen und Schüler, die man mit dem Pythagoras wenig hinter dem Ofen vorlocken konnte, haben sehr schnell verstanden, was jetzt hier passiert und mit welcher Authentizität hier jemand Dinge erzählt, die man zwar auch im Buch lesen kann, die einen dann aber nicht so angreifen und fesseln. Diese Zeit geht bei diesem Thema jetzt natürlich vorbei und ich sage mal ganz ehrlich, das ist sehr schade. Vor allem, weil ich noch nie erlebt habe, dass gerade Schülerinnen und Schüler in dem Alter der siebten, achten oder neunten Klasse kognitiv so erreicht werden und dabei so emotional und sehr betroffen über dieses Thema diskutieren, wie mit diesen Zeitzeugenbegegnungen", so Simone Fleischmann.

Lernen mit Herz, Kopf und Hand

Die Wichtigkeit dieses Erlebens und emotionalen Verstehens wurde auch von Frau Prof. Dr. Schreiber betont. Was das aus ihrer Sicht für den Begriff des Lernens bedeutet, erläuterte die BLLV-Präsidentin: "Was ist denn eigentlich Lernen? Und natürlich geht es dabei nicht um das 'nur angerührt sein'. Aber wenn ich das nicht habe, fällt mir der Lernprozess schwerer. Dann fällt es mir viel schwerer, bei den Kindern etwas zu erreichen. Ja, wir wollen, dass die Kinder nachdenken und dahinter blicken. Wir wollen, dass sie kritisch reflektieren, Wir wollen, dass sie nachdenken. Wir wollen, dass sie Zusammenhänge zur aktuellen Fake News Debatte herstellen. Wir wollen, dass sie recherchieren. Was wird zurzeit im Netz oder in sozialen Netzwerken über die NS Zeit Richtiges gesagt? Was wird Falsches gesagt? Wie bewertest du das? Wie bringst du das von damals mit dem heutigen zusammen? Aber dazu musst du dir die Freiheit nehmen - weg von allen anderen Lehrplänen oder Fachprofilen. [...] Und da brauchst du dann als Lehrerin, als Lehrer die Freiheit zu sagen: Gut, dann packen wir das, was ich heute noch plante, weg. Weil ich jetzt merke, dass ihr ganz aktuelle Fragen habt, weil ich merke, dass Schülerinnen und Schüler mit der aktuellen Pressefreiheit, mit der aktuellen Propaganda, mit den aktuellen Tendenzen in den Medien nicht mehr zurechtkommen."

Wird es die "Verfassungsviertelstunde" richten?

Gegen Ende der Diskussion kam das Thema auch noch auf die so genannte "Verfassungsviertelstunde", die ab dem kommenden Schuljahr, in allen Schulen in Bayern eingeführt werden soll. Danach gefragt sagte Simone Fleischmann: "Also der Hintergrund, die Demokratiebildung in den Vordergrund zu rücken, ist ja erstmal eine gute Idee. Es wäre auch fatal, wenn die politische Spitze in Bayern sagen würde, wir machen alles andere aber lassen die Demokratiebildung weg. [...] Aber eine Viertelstunde pro Woche ausweisen im Sinne von: 'Da hake ich das dann ab'? No way! Es ist nicht getan mit dieser Viertelstunde. Und was ich sehr scharf kritisiere - und es sollen jetzt demnächst auch die Bestimmungen zu dieser Verfassungsviertelstunde rauskommen - ist, wenn wir dann womöglich auch noch überlegen, wo dann da wieder der Lehrplan ist oder welche Lieder wir singen müssen oder welche Noten wir geben müssen. Und dann stelle ich schon mal sehr pointiert die Frage: Note vier im Fach Demokratie und dann ist die Demokratie der Zukunft gerettet? Da sehe ich ein Fragezeichen!

Die ganze Sendung "Kulturleben" hören Sie hier bei Bayern 2

Perspektivwechsel - Wie Demokratieverständnis an Schulen verbessert werden kann: Brauchen wir an unseren Schulen mehr Geschichtsunterricht oder zumindest einen Geschichtsunterricht, der den Nationalsozialismus früher behandelt? Warum diese Frage? Weil Kinder und Jugendliche zum Beispiel in Filmen ...
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