Was zählt ist der Erfolg, nicht die Leistung
Die meisten übersetzen ,Leistung' mit ,sich so richtig anstrengen', begann Prof. Dr. Lars Distelhorst (FHCH Potsdam) seine Kritik des Begriffs Leistung. Wäre dem so, müssten in der Schule, diejenigen, die sich am meisten mühen, die besten Noten bekommen.
Leistung aus sozialwissenschaftlicher Sicht: Prof. Dr. Lars Distelhorst
Dem ist aber nicht so. Ob einem Schüler das Lernen leicht fällt oder er sich seine Leistungen hart erarbeiten muss, zählt nicht. Was zählt, ist das Endergebnis: die Note. Das bedeute allerdings, so Distelhorst, dass Schule nicht die Leistung eines Schülers messe, sondern seinen Lernerfolg. Und ERfolg gebe es nur im Vergleich.
Erfolg lebt vom Vergleich und produziert neben Gewinnern immer auch Verlierer. Wo es gute Schüler gibt, gibt es automatisch auch schlechte. Wenn alle ,die Besten' sind, ist es letztlich keiner. Diese Differenzierung unter den Schülern müsste nicht sein. Sie sei aber gewollt, ja sogar gesellschaftlich gefordert, so Distelhorst. Denn der Vergleich diene der Selektion und liefere damit Argumente für die Verteilung des Nachwuchses auf sozio-ökonomische Positionen.
Erfolg als Ideologie. Begründet werde die soziale Auslese mit einem gesellschaftlichen Narrativ: Jede echte Anstrengung führe irgendwann zum Ziel. Wer es nicht schafft, hat sich eben nicht genug angestrengt. Sozialwissenschaftler nennen das die "Individualisierung eigentlich sozial verursachter Probleme", kurz: selbst schuld.
Es genüge schon, Kunst oder Philosophie studiert zu haben, um zu wissen, dass das nicht stimmt, hielt Distelhorst dagegen. Niemand werde ernsthaft behaupten wollen, dass die Absolventen jener Studienfächer weniger geleistet hätten, als ihre Kommilitonen aus den Betriebs- oder Ingenieurswissenschaften. Trotzdem seien sie häufiger schlechter bezahlt oder arbeitslos.
Erfolg als Eigenschaft. Vor diesem Hintergrund sei Erfolg zu einem Persönlichkeitsmerkmal umdefiniert worden. Entweder man hat ihn oder man hat ihn nicht. Auf jeden Fall müsse man aber an sich arbeiten, um erfolgreich zu werden. Diese Erfolgskultur habe ein Klima geschaffen, das auch auf die Schule übergreife. "Hier sind es die Noten, die zum Ausdruck der Persönlichkeit werden", so Distelhorst. "Kein Wunder, dass manche Kinder in Tränen ausbrechen, wenn sie nur eine 3 bekommen."
Der Grund, weshalb man trotzdem am Erfolgsprinzip festhalte: Die Leistungsgesellschaft habe den Erfolg zur Ideologie erhoben. Ihr Ziel: die Reduktion der kognitiven Dissonanz, also dem erlernten Wissen, Anstrengung zahlt sich aus, und der eigenen, oft ganz gegensätzlichen Erfahrung, alle Anstrengung war umsonst. Anders gesagt: "Ideologie ist die Verschleierung eines tatsächlichen Zustands durch die Suggestion eines akzeptablen Zustands."
Distelhorst: "Das macht das Leistungsprinzip sehr gut. Es integriert, indem es ausschließt und diesen Ausschluss zugleich rechtfertigt. Jeder kann theoretisch etwas werden, praktisch aber nicht, auch wenn das bedauerlich ist." Solche Dissonanzen würden sich in einer selektiven Leistungsgesellschaft übrigens zwangsläufig einstellen.
Denn das Leistungsprinzip erodiert. Über den Wert eines Menschen entscheide heute nicht mehr nur dessen Leistungswille und Produktivität, sondern auch dessen Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt.
Das Wort ,Schuleʻ kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich: Muße. Muße ist eine freie Form der geistigen Tätigkeit, der es um das gute Leben geht und in der Menschen die Möglichkeit haben, in Auseinandersetzung mit sich selbst oder im Gespräch mit anderen, die Welt und ihren Platz in ihr zu verstehen.
Wenn Schule jedoch weiterhin im Sinne des Bildungsideals der Aufklärung wirken wolle, müsse sie jedem Vereinnahmungsversuch der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes kritisch gegenüber stehen, wandte sich Distelhorst an die Lehrer/innen und knüpfte seine Schlussfrage an: Kann man einen Lern- und Denkprozess vergleichen und bewerten? Auch der Wechsel zu alternativen Bewertungsmethoden würden an diesem Dilemma nichts ändern. Auch diese würden nur den Vergleich fördern. Besser sei, das gemeinsame Lernen und Denken ins Zentrum von Schule zu rücken, sagte der Sozialwissenschaftler und erinnerte an die Ur-Bedeutung von Schule: Muße, Zeit für eine freie Form der geistigen Tätigkeit. sha
- Dischner-Vogel, G. (2010): Muße als Voraussetzung des Denkens. In: G. Böhme (Hrsg.): Kritik der Leistungsgesellschaft, S. 135-145. Bielefeld: Sirius
- Neckel, S. / Dröge, K. / Somm, I. (2004): Welche Leistung, welche Leistungsgerechtigkeit? Soziologische Konzepte, normative Fragen und einige empirische Befunde. In: P. A. Berger/ V. H. Schmidt (Hrsgg.): Welche Gleichheit, welche Ungleichheit? Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft.