„Zum Regelangebot gibt es quasi keine Alternative“

Auf die Frage, wie es nach Auslauf des Modellversuchs am 31.07.2019 mit dem Islamischen Unterricht an Schulen weitergeht, gab es sowohl für Teilnehmer/innen als auch Akteur/innen des Studientags nur eine Antwort: Der Modellversuch muss in ein Regelangebot münden.

Auch die Presseerklärung des Bayerischen Kultusministeriums, die just zu Beginn des Studientags in Nürnberg erschien, wies in diese Richtung: Der Modellversuch habe sich als erfolgreiches Angebot bewährt. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen werde rechtzeitig getroffen. Im Interview erklärt der zuständige Ministerialrat Dr. Ulrich Seiser, weshalb die Ausweitung des Angebots nach 2019 mehr als folgerichtig ist.

Herr Ministerialrat, die zentrale Frage des Studientags Islamunterricht lautet: Wie geht es 2019, wenn der Modellversuch zum Islamischen Unterricht ausläuft, weiter? Können Sie darauf schon eine Antwort geben?
Zukunft ist eine Folge von Tradition. Blicken wir zurück: Der Islamunterricht an Schulen hat bereits eine Geschichte von 30 Jahren. Seit 1987 schon gab es eine Vorform dieses Unterrichts, die Islamische Unterweisung, die allerdings an den konsularischen Unterricht gekoppelt ist, einem muttersprachlichen Ergänzungs- und türkischen Kulturunterricht.

Seit 2001 haben wir uns davon abgekoppelt und Islamischen Unterricht in deutscher Sprache ausprobiert, zunächst in Nürnberg an der Holzgartenschule und in München an der St.-Martin-Schule. Damals kam es in der politischen Diskussion zu einem Paradigmenwechsel: Islamischer Religionsunterricht wurde erstmals als wesentlicher Faktor zur Integration betrachtet.

Dann kam zwei Jahre später mit dem Erlanger Modell der nächste Qualitätsschub. Dazu haben wir einen Lehrplan in Zusammenarbeit mit dem ISB erarbeitet in Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinde in Erlangen. Das ist quasi das Alte Testament unserer Unterrichtsinhalte, wenn ich das so sagen darf. Vom Erlanger Lehrplan ausgehend haben wir dann in der Folge die Unterrichtsinhalte ständig weiterentwickelt.

Zukunft ist eine Folge von Tradition. Was wie der Islamische Unterricht in Bayern auf 30 Jahren Erfahrung fußt, wird auch Bestand haben,

ist Ministerialrat Dr. Ulrich Seiser überzeugt.

                                                                                             ist Ministerialrat Dr. Ulrich Seiser überzeugt.

2009 waren wir soweit, dass wir alle Vorstufen vereinheitlichen konnten, und zwar im Modellversuch Islamischer Unterricht. Der ist dann nach fünf Jahren einmal verlängert worden. 2019 läuft die zweite Phase nun aus.

So viel Tradition hat auch Zukunft. Deshalb ist es - zumindest für mich - schwer vorstellbar, dass es nach 2019 nicht weiter geht. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: den islamischen Religionsunterricht. Dazu braucht es aber nach Artikel 7 (3) des Grundgesetzes bekanntlich eine Religionsgemeinschaft als Kooperationspartner. Diesen zu finden, ist in den Jahren nicht leichter geworden. Die zweite Möglichkeit ist, das Angebot, das wir jetzt vorhalten, zum Regelangebot zu machen. Das ist die Alternative.

Also ist die Einführung des Regelangebots quasi "alternativlos"?
Ja, wenn Sie so wollen. Denn es ist ja auch eine gewisse Nachfrage da. Auch in den Schulen, die bislang keinen Islamischen Unterricht genießen. Ich muss aber auch sagen, ob und wie es tatsächlich zu einer Entscheidung kommt, hängt von den politischen Entscheidungsträgern ab.


Gesetzt den Fall, es kommt zum Regelangebot. Gibt es dafür schon einen Aktionsplan?

Natürlich machen wir uns darüber Gedanken. Jeder Unterricht hat Eckpunkte, ohne die er als staatlicher Unterricht nicht möglich wäre. Das sind Lehrplan, Lehrkräfte, Lehrerbildung und Personalressourcen. Der Lehrplan wäre noch nach Schularten zu differenzieren. Daran arbeitet das ISB (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung) gerade.

Für ein landesweites Angebot sind vor allem die Personalressourcen entscheidend. Hier wäre zu überprüfen, ob die Stellen der Lehrkräfte, die aktuell im Modellversuch noch mit befristeten Verträgen arbeiten, entfristet werden können. Damit sind bestimmte Qualitätsanforderungen zu verbinden: was müssen die Lehrkräfte können, um unbefristet unterrichten zu dürfen? Anschließend wäre zu prüfen, wie die Ressourcen für ein bayernweites Angebot erweitert werden müssen.

Gibt es da schon Zahlen?
Zahlen haben wir nur für das Bestehende: 337 Schulen, darunter auch vier Realschulen und zwei Gymnasien. Derzeit wird auch die Ausweitung auf Berufsschulen erprobt. Das sind die Ressourcen, die schon eingerichtet sind. Diese sind sogar stärker aufgestellt als in anderen Bundesländern, lässt man Nordrhein-Westfalen mal außer Acht.

Man kann sich das selbst ausrechnen: Wenn wir aktuell 15% der Muslime schon unterrichten und davon ausgehen, dass mindestens die Hälfte der jungen Muslime Interesse am Islamischen Unterricht hat – es ist ja nicht gesagt, dass alle Muslime den Islamunterricht dem Fach Ethik vorziehen – dann haben wir mehr Lehrerressourcen nötig, als jetzt eingerichtet sind.

Jahrgangsübergreifende Klassen sind immer ein Kunstgriff, übrigens auch in der Katholischen und Evangelischen Religionslehre.

Weitere Lehrerstellen sind aber auch für diejenigen Schulen nötig, die bereits am Modellversuch teilnehmen. Oft wird dort in jahrgangsübergreifenden Klassen unterrichtet.
Natürlich sind die Arbeitsbedingungen ein wichtiger Faktor. Es ist kaum zumutbar, Lehrkräfte an vielen Schulen unterrichten zu lassen, weil sie so nicht im Kollegium verankert sind. Hier muss eine Verbesserung eintreten. Das aber ist ein Wunsch, der dann im Rahmen der Möglichkeiten beantwortet wird.

Klar ist, dass jahrgangsübergreifende Klassen immer ein Kunstgriff sind, übrigens auch in der Katholischen und Evangelischen Religionslehre, dort in der Diaspora, wo die eigene Religion in der Minderheit ist. Der gemeinsame Unterricht von Schülern verschiedener Jahrgangsstufen hat aber auch seine Grenzen. Das ist klar. Man darf aber keine Wunder erwarten. Wir tun immer das Mögliche.

Wie steht es um den Status des Fachs?
In den Anfängen eines neuen Faches ist es immer klug, bei der Lehrerbildung mit einem Erweiterungsfach zu operieren. Das ist auch für den flexiblen Einsatz der Lehrer wichtig. Wann ein weiterer Ausbau kommt, hängt von vielen Faktoren ab: von der landesweiten Abdeckung, aber auch von den Universitäten. Es wäre durchaus wünschenswert - ist aber abhängig von den Planungen der Universitäten - wenn wir mehr Ausbildungsstandorte bekämen - vorausgesetzt, das Interesse an dem Fach nimmt tatsächlich zu.

Tut es das nicht?
Im Moment ist es so, dass ein zweiter Standort wohl kaum ausgelastet wäre. Eine Nachfrage über das Erlanger Angebot hinaus ist im Moment nicht ersichtlich. In Erlangen haben wir aktuell vielleicht einige Dutzend, die studieren. Das kann sich natürlich ändern.

Was sagen Sie dazu, dass einige dieser wenigen Erlanger Absolventen es vorziehen, in einem anderen Bundesland tätig zu werden, weil dort die Rahmenbedingungen besser sind?

Wir haben unser Angebot in Bayern langsam und solide aufgebaut. Die anderen Länder sind auch nicht unsolide, haben aber mehr Spielraum in manchen Bereichen. Wir halten keinen auf, bedauern es aber natürlich, wenn die Jungen, die wir ausgebildet haben, gehen. Umgekehrt kann aber ja auch eine Gegenbewegung denkbar sein, nämlich dass Absolventen aus Münster oder Tübingen zu uns kommen, sobald in Bayern der Islamunterricht weiter etabliert ist.

Absolventen aus anderen Bundesländern können also auch in Bayern ihre Lehrtätigkeit aufnehmen? Grundsätzlich ja.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass andere Bundesländer in Sachen Islamunterricht jetzt Bayern den Rang ablaufen? Immerhin war Bayern lange Vorreiter im Islamunterricht.
Diese Entwicklung könnte sich auch wieder zurückdrehen. Es ist so, dass Hessen beispielsweise Islamische Religionslehre in Kooperation mit DITIB anbietet und derzeit via Gutachter prüfen lässt, ob DITIB wirklich ein Kooperationspartner sein kann - DITIB ist ja geradezu lehrbuchmäßig von der Türkei abhängig.

In Nordrhein-Westfalen hat man sich entschieden, die muslimische Religionsgemeinschaft, die es so nicht gibt, durch einen Beirat mit Vertretern aus Wissenschaft und Islamverbänden zu ersetzen. Die beiden großen islamischen Dachverbände, der Islamrat und der Zentralrat der Muslime, haben dagegen sogar geklagt. Sie wollten nicht nur Beiratsmitglied sein, sondern als Religionsgemeinschaft anerkannt werden, um den islamischen Religionsunterricht in alleiniger Verantwortung zu gestalten.

Laut inzwischen erfolgtem Urteil des OVG Münster lässt sich jedoch aus den Satzungen der beiden Dachverbände lasse sich die notwendige Sachautorität und -kompetenz für identitätsstiftende religiöse Aufgaben nicht ableiten. Zudem müsse die religiöse Autorität der Dachverbände bis hinunter zu den Moscheegemeinden Geltung haben. Auch das sei nicht der Fall. Das bewegt natürlich die Bundesländer, weil manche ihr Unterrichtsmodell nun neu überdenken müssen.

Wen könnte sich das Kultusministerium denn in Bayern als Partner vorstellen?
Vorbild sind natürlich immer die Kirchen, die sich hierzulande aus der universitären Diskussion kontinuierlich weiterentwickelt haben. Der Weg zur anerkannten Religionsgemeinschaft führt meines Erachtens immer über die Universitäten.

Also denken Sie an einen wissenschaftlichen Beirat?
Ja.

In Nürnberg und Erlangen wurden für den Modellversuch auch Elternvereine als Ansprechpartner gegründet. Was halten Sie davon?
Das war eine Übergangslösung. Eltern haben den Vorteil, dass sie sehr nah am Schulleben sind. Allerdings kann man nicht bei allen religiöse Kompetenz voraussetzen. Die Gründung der Elternvereine geht zurück auf eine Zeit, als wir uns im Zuge der Entwicklung des Modellversuchs für lokale Lösungen entschieden haben. Lokal funktionierte das gut, in die Fläche übertragbar ist diese Variante aber nicht.

Wann kann also Ihrer Einschätzung nach das Regelangebot starten?
Mit Ablauf des Modellversuchs 2019. Wir hatten jetzt zehn Jahre Zeit, das Modell zu erproben. Das sollte als Probelauf genügen. Bis das Angebot bayernweit steht, können allerdings noch Jahre vergehen.

 

 

*Zur Person

Dr. Ulrich Seiser ist Leiter des Referats für Integration, Pädagogische Grundsatzfragen und das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) in Bayern und hat die Entwicklung des Islamischen Unterrichts an bayerischen Schulen in dieser Funktion von Anfang an begleitet – auch in konstruktiver Zusammenarbeit mit dem BLLV.

Sein Interesse für den Islam rührt von seiner Fächerwahl her: Dr. Seiser war Lehrer am Gymnasium für die Fächer Deutsch, Französisch und Italienisch. Teil des landeskundlichen Französischunterrichts ist die Geschichte der französischsprachigen Maghrebstaaten. Er habe ein Faible für Sprachen und Interkulturelle Fragen, sagt er von sich selbst.