Die Folgen des frühen Übertritts
Besonders gravierend ist das Problem des verschärften Übertrittsdrucks. Die Einführung der sechsstufigen Realschule vor wenigen Jahren hat die Möglichkeit eines späteren Regelübertritts auf die Realschule abgeschafft. Dies hat zu einem massiven Druck auf Kinder, Eltern und Lehrer geführt, der jeglicher pädagogischen Vernunft widerspricht.
1. Der enorm gestiegene Übertrittsdruck in der Grundschule verhindert in vielen Fällen kreatives, ergebnisoffenes Lernen. Persönlichkeitsbildung und die Entwicklung von Selbstvertrauen werden massiv beeinträchtigt.
2. Wissenschaftliche Untersuchungen und die internationalen Vergleichsstudien haben festgestellt, dass Erfolg und Misserfolg beim Übertritt nach der 4. Jahrgangsstufe in engem Zusammenhang mit der sozialen Herkunft des Kindes stehen. In kaum einem vergleichbaren Land ist dieser Zusammenhang so gravierend wie in Bayern.
3. Die Übertrittsempfehlung basiert auf den messbaren Leistungen der Schüler in der 4. Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch, Mathematik, Heimat- und Sachkunde. Sie machen keine Aussage über das zukünftige Entwicklungspotential der Kinder. Es ist wissenschaftlich unumstritten, dass eine Prognose auf der Grundlage von kognitiven Leistungen von Zehnjährigen wenig Aussagekraft für die Einschätzung der späteren Lernpotentiale hat.
4. Die Auswirkungen des Übertrittsdrucks (Auflösung von Freundschaften, Versagensängste, Lernhemmungen) auf die soziale und emotionale Stabilität, auf das Selbstwertgefühl und auf die Lernmotivation der Kinder sind dramatisch. Experten aus der Kinderpsychiatrie bestätigen dies. Berichte über stressbedingte psychische Symptome und damit einhergehend drastisch steigenden Medikamentenkonsum von Grundschulkindern häufen sich. Misserfolgserlebnisse und Frustrationen in diesem Alter müssen vermieden werden. Sie können fatale Folgen für die späteren Lernbiografien haben.
5. Der enorme Auslesedruck, der auf Schülern und Eltern lastet, führt dazu, dass Kinder im Grundschulalter bereits in großem Maßstab Nachhilfeunterricht erhalten müssen. Nachhilfeunterricht aber ist teuer. Unzureichende Förderung in der Grundschule kann nicht durch finanzielle Belastung der Eltern kompensiert werden. Bildungschancen dürfen nicht noch mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
6. Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern leiden häufig unter dem Übertrittsdruck in der Grundschule. Kinder und Eltern haben die existierende Prestigehierarchie der Schulen verinnerlicht. Auch hat der Übertritt Folgen für zahlreiche Freundschaften zwischen Gleichaltrigen.
Die Grundschule ist die Schulart, die in der Öffentlichkeit neben der Förderschule und den Berufsschulen momentan am wenigsten diskutiert wird. Internationale Vergleichsstudien wie IGLU bescheinigen der Grundschule zwar ausgezeichnete Arbeit. Gleichzeitig nehmen aber von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet die pädagogischen und sozialen Probleme zu. Deshalb gilt es, die Probleme der Grundschule sachlich zu analysieren und Reformschritte einzuleiten.