MARTIN GÜLL
Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Kultus im Bayerischen Landtag - Bildungspolitischer Sprecher der SPD- Landtagsfraktion – SPD-Direktkandidat in Dachau
„Die Menschen mitnehmen“
Martin Güll ist durch und durch ein Bildungspolitiker. Nach 32 Jahren als Lehrer und später auch Schulleiter ging es für ihn in die Politik. Er wechselte von der Mittelschule Markt Indersdorf direkt in den Bayerischen Landtag.
Was hat Sie dazu bewogen in die Politik zu gehen?
Eigentlich gar nichts. Ich wollte nie in die Politik gehen. Ich bin da zufällig reingeschlittert, weil mein Schulleiter-Vorgänger, ein etablierter SPDler im Landkreis Dachau, kurz vor der Wahl fragte, ob ich für den Landtag kandidieren möchte. Dabei war ich gar kein SPD-Mitglied. Ich war 55 Jahre alt und dachte mir, das wäre doch mal was in die Politik zu gehen und dort zu erzählen, wie es tatsächlich ist in der Schule. Aber ehrlich gesagt, ich habe mir nicht viele Chancen ausgerechnet. Dass es auf Anhieb gelungen ist, das hat mich dann selbst überrascht.
Wie war der Wechsel von der Schule in den Landtag?
Als ich im Oktober das Beurlaubungsschreiben von der Regierung bekommen habe, da realisierte ich erst, dass ich meinen Schulleiterposten aufgeben muss. Bei aller Freude es geschafft zu haben, hat es doch eine Zeit gedauert, bis ich das annehmen konnte. Ich war weder Kommunalpolitiker noch in einer Parteifunktion, sondern immer nur bildungspolitisch engagiert gewesen. Deswegen bin ich gewählt worden, weil ich im Landkreis als Bildungsmensch bekannt war.
Ich habe jetzt auch viel Arbeit in der Politik, aber es ist nicht vergleichbar mit dem Stress, den ich als Schulleiter hatte.
Was haben Sie an der Arbeit als Schulleiter vermisst?
Das aktive Gestalten: ein Projekt für Kinder und Jugendliche anzustoßen und es auch umzusetzen. Das ging. Und in der Politik ging gar nichts mehr. Da fing ich wieder von vorne an und war mit 55 Jahren ein Nobody. Das hat mich am Anfang Nerven gekostet. Dafür habe ich als Politiker die Chance Leute kennenzulernen und Schulen zu besuchen. Ich habe so unzählig viele gute Schulen anschauen können und hatte die Möglichkeit mich in den Unterricht zu setzen, mal zu schauen wie und ob es funktioniert. Zudem war der Stress als Schulleiter extrem. Ich habe jetzt auch viel Arbeit in der Politik, aber es ist nicht vergleichbar mit dem Stress, den ich als Schulleiter hatte. Es ist etwas ganz anderes immer von 7 bis 17 Uhr nonstop gefordert zu sein.
Was muss ein Bildungspolitiker in Bayern mitbringen?
Er braucht Ideen, Hartnäckigkeit und natürlich viel Einfühlungsvermögen, da Bildung ein ganz sensibles Thema mit vielen Befindlichkeiten ist. Ein Bildungspolitiker sollte die Menschen mitnehmen können. Es funktioniert nicht sich etwas auf dem Papier auszudenken, wenn die Leute nicht dabei sind. Wir haben in Bayern natürlich gute Schulen. Dann noch was anders zu machen, das muss man gut begründen. Ein Beispiel sind die Gemeinschaftsschulen. Da wird dann gesagt: Wir haben die besten Realschulen, die besten Gymnasien, die besten Mittelschulen, warum brauchen wir jetzt noch Gemeinschaftsschulen? Aber wenn du davon überzeugt bist und die Vision hast, dass damit Bildungsgerechtigkeit nochmal ein Stück besser geht, dann musst du dir überlegen, wie du die Leute mitnehmen kannst. Das ist der Dreh- und Angelpunkt.
Ich habe auch das Gefühl, dass wir im Ganztag ein bisschen weiterkommen.
Auf welches bildungspolitische Ziel, das Sie in den vergangenen Jahren umsetzen konnten, sind Sie besonders stolz?
Stolz ist der falsche Ausdruck. Aber es macht mich zufrieden, dass wir das G9 einigermaßen auf den Weg gebracht haben. Ich sage einigermaßen, weil ich mir noch nicht so sicher bin, dass es auch inhaltlich so wird, dass man es eine gute Entwicklung nennen kann. Ich habe auch das Gefühl, dass wir im Ganztag ein bisschen weiterkommen. Da gibt es ein Umdenken im Ministerium, dass man den Ganztag anders organisieren muss. Die Konzepte, die entstehen, laufen in die richtige Richtung. Das sind so Dinge, bei denen ich sage: ja, das ist ein bisschen auch unser Verdienst. Auch wenn es lange gedauert hat.
Was hätten Sie noch gerne erreicht?
Enttäuschend ist, dass wir die Gemeinschaftsschule nicht weiterbringen. Es ist bitter, dass wir keinen Schritt nach vorne geschafft haben. Ich glaube, dass die Gemeinschaftsschule ein ganz dringender Schritt ist, um aus dieser Sackgasse mit dem Übertritt herauszukommen. Ich bin wirklich hundertprozentig davon überzeugt, dass wir für die Kinder, die in einer Gemeinschaftsschule sein können, ein ganz anderes Lebensgefühl erzeugen, weil der Druck in der Grundschule wegfällt. Ich glaube auch, dass sie ein Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit und Chancenverbesserung ist. Wenn ich Kultusminister wäre, ich würde es machen wie in Baden-Württemberg: Mit zehn Schulen sofort anfangen, im zweiten Jahr folgen weitere hundert Schulen und dann wird nach Bedarf aufgebaut. Die Leute sollen entscheiden, was sie wollen. Wenn die Eltern und Kommunen sich für Gemeinschaftsschulen entscheiden, weil sie gut sind, weil sie erfolgreich sind, dann hat Bayern etwas dazugelernt.
Wie entscheidend sind Bildungsthemen für die Landtagswahl?
Die Bildung strahlt in die ganze Familie hinein. Es ist immer ein Thema, aber ein sehr heterogenes Thema, das sich nicht richtig bündeln lässt. Es gibt viele unzufriedene Leute, die aber unzufrieden sind aufgrund ihrer eigenen Erfahrungswelt. Jemand steckt mit seinem Kind in der vierten Klasse und findet den Übertritt schlimm. Ein anderer bräuchte dringend einen Ganztagsschulplatz und es gibt keinen. Deswegen ist Bildung ein ganz zentrales Thema, aber es ist wahnsinnig schwer, es im Wahlkampf erfolgreich umzusetzen. / juha