Im September 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise und angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer und rechtsextremer Kräfte in Deutschland, haben wir das Manifest: HALTUNG ZÄHLT im BLLV verabschiedet. Der Inhalt dieses Manifestes ist aktueller denn je. Heute, drei Jahre später, müssen wir feststellen: Unsere Sorgen haben sich nicht erledigt, sie sind größer geworden. Die bis dato konsensfähigen Werte der Empathie, des Respekts, der Toleranz und der Menschenrechte, auf denen unsere Gesellschaft fußen sollte, scheinen in der öffentlichen Auseinandersetzung um Flüchtlinge und Asyl verloren zu gehen.
Als Lehrerinnen und Lehrer haben wir, ohne zu klagen und ohne zu jammern, die Herausforderungen der Integration zehntausender geflüchteter Kinder und Jugendlicher - viele von ihnen traumatisiert - angenommen. Ich sage sehr selbstbewusst, wir haben Menschlichkeit gelebt und Empathie geübt, und wir tun es weiter, auch wenn wir immer häufiger dafür kritisiert werden.
Lehrerinnen und Lehrer sind dem Kind und dem Menschen verpflichtet. Es ist unser Berufsethos und unser professionelles Selbstverständnis, alle Kinder und Jugendlichen anzunehmen und zu fördern, unabhängig davon, ob sie aus einer wohlsituierten bürgerlichen deutschen Familie stammen, in einem sozial marginalisierten bildungsfernen Umfeld aufwachsen, ausländischen Hintergrund haben oder gar die Traumata des Krieges, der Folter oder der Flucht in sich tragen.
Sie alle sind Menschen. Sie alle haben Anrecht auf Zuwendung und Förderung. Sie alle wollen angenommen werden. Keines dieser Kinder hat es verdient, verachtet, marginalisiert und ausgegrenzt zu werden. Mit großer Betroffenheit beobachten wir als Lehrerinnen und Lehrer, dass dieser Grundkonsens im Zuge der Verrohung unserer Sprache von bestimmten Kräften immer offensiver in Frage gestellt werden.
Lehrerinnen und Lehrer sind keine Traumtänzer. Wir wissen, wie schwierig es ist, die durch Krieg und Flucht traumatisierten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zu integrieren. Aber wir wissen auch, dass es in zahllosen Fällen gelingt, und dass wir diesen Menschen Orientierung und Hilfe sein können. Als Lehrerinnen und Lehrer erleben wir es in unserer täglichen Unterrichtspraxis.
Natürlich sind wir uns auch bewusst, dass Migrations- und Flüchtlingsbewegungen gesteuert und einem klaren Regelwerk folgen müssen. Natürlich wissen wir, dass es keinen unkontrollierten Zugang nach Europa und nach Deutschland geben kann. Aber wir wissen auch, dass die in Europa ankommenden Flüchtlinge Menschen sind. In unserem Grundgesetz heißt der erste Satz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Organe." Als Lehrerinnen und Lehrer fühlen wir uns dem Grundgesetz verpflichtet und wollen danach handeln.
Was mich aber ebenso beunruhigt wie die Verrohung der Sprache und der Verlust von Menschlichkeit ist die Zuspitzung des gesellschaftlichen Diskurses auf die Frage von Migration und Integration. Es ist ein Faktum, dass die Integration der Geflüchteten quantitativ längst nicht mehr das zentrale Problem der deutschen Gesellschaft ist. Und dennoch fixiert sich die Politik ganz im Sinne der Rechtspopulisten auf dieses Thema, als gäbe es keine anderen größeren und bedeutenderen Aufgaben.
Die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidet sich ganz wesentlich in unseren Schulen. Wer eine offene, liberale Gesellschaft will, der braucht neben einer prosperierenden Wirtschaft und funktionierenden staatlichen Institutionen vor allem starke Schulen mit motivierten Lehrerinnen und Lehrern. Es wird höchste Zeit, dass wir diese Fragen diskutieren und endlich Schluss damit ist, Themen in den Mittelpunkt zu rücken, die unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt in Frage stellen und unsere menschlichen Werte gefährden.