2020: Was für ein Jahr! Es hat unsere gesamte Welt, die Welt der Politik und der Schule in unvorstellbarer Weise herausgefordert. Lockdown, Hygienepläne, Distanzunterricht, Wechselunterricht, Notbetrieb... Kein wirklicher Grund zur Zuversicht. In der Schule stehen wir im Brennpunkt der Entwicklungen. Für uns besonders dramatisch: Die Krise in der Krise. Der gravierende Lehrermangel an den Grund-, Mittel- und Förderschulen.
Weder Corona noch die zunehmenden sozialen Spannungen machen vor der Schultür Halt und warten, bis genügend Lehrkräfte einsatzfähig sind. Im Gegenteil: Diese Spannungen sind mit voller Wucht in unseren Schulalltag eingebrochen. Panische Eltern, verunsicherte Kolleginnen und Kollegen, Orientierung suchende Kinder, abgehängte Schülerinnen und Schüler, und ein Management der Schulen, das selbst an seine Grenzen stößt.
Wir müssen uns unsere Überforderung zugestehen - auf allen Seiten
Eine angemessene Unterrichtsversorgung, die den stets steigenden Herausforderungen rund um Integration, Inklusion, Ganztagsschule, Digitalität und Individueller Förderung gerecht wird, war schon vor Corona nicht mehr möglich. Und jetzt die Pandemie oben drauf. Am liebsten würde man am Morgen aufwachen und feststellen, das war ja alles nur ein schlechter Traum.
Wie können wir uns in dieser Gemengelage in der Bildungspolitik professionell aufstellen? Ich höre täglich die Hilferufe vieler Kolleginnen und Kollegen, die einerseits Vollgas geben und andererseits einfach nicht mehr können. Ich höre die Mischung aus Resignation und Wut einerseits und riesigem gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein, pädagogisch-professionellem Anspruch andererseits. Immer wieder frage ich mich: Wie können wir als BLLV dazu beitragen, die Kolleginnen und Kollegen über unsere konkreten Hilfsangebote hinaus zu schützen vor Überforderung, vor Schuldzuweisungen, vor Resignation? Wie können wir der Politik die Not bewusst machen und die enorme soziale Verantwortung, die wir tragen?
Es gibt keine einfachen Antworten
Einfache, für alle richtige Antworten gibt es nicht. Wer sensationswütig jeden Tag neue, unrealistische Forderungen aus dem Hut zaubert, will nicht wahrhaben, dass es viel mehr braucht, als mal schnell ein paar scheinbar prima Lösungen. Es geht um die demokratische, soziale und wirtschaftliche Stabilität unserer Gesellschaft. Dessen ist sich der BLLV bewusst. Das ist unser Anspruch an unser politisches Handeln. Wir müssen alles tun, um unseren politischen Gesprächspartnern und den Medien diese enorme Verantwortung von uns Lehrerinnen und Lehrern bewusst zu machen. Dazu müssen wir überzeugen, überzeugen, überzeugen – jeder in seinem Umfeld.
Überforderung und Angst nehme ich auch bei vielen politischen Entscheidungsträgern und im aktuellen Management der Schulen wahr. Das müssen wir uns alle zugestehen. Wir müssen in dieser Phase der Unsicherheit zusammenhalten, die Gemeinsamkeiten suchen, nicht den Konflikt. Das kann aber nur gelingen, wenn die Praxis, also wir als die Experten für Bildung und Erziehung, ernst genommen werden.
Es wird eine Zeit nach Corona geben. Dann wird die Frage, wie diese Gesellschaft mit den Schulen und uns umgegangen ist, zu reflektieren sein. Und wir werden grundsätzliche Forderungen stellen. Dafür werden wir als BLLV sorgen. Wir werden für eine Neuorientierung kämpfen. Wir waren im Dialog, wir sind in Zukunft bereit für den Dialog – aber auch bereit für den Konflikt. // Simone Fleischmann