Eine Sängerin im Abendkleid, die ihre Stimme hinter der Bühne vor dem Auftritt aufwärmt, ein Radiomoderator, der vor der Moderation mit Zungenbrechern seine deutliche Aussprache trainiert: Sofort tauchen gewohnte Bilder vor unserem inneren Auge auf, wenn wir uns diese Situationen vorstellen. Aber eine Lehrerin, die nach dem Unterricht Übungen macht, um ihren Kiefer, die Lippen oder die Zunge zu entspannen oder ein Lehrer, der in Coachings übt, moduliert zu sprechen: Das sind Bilder, die für die meisten von uns neu sind.
Was Sänger*innen, Schauspieler*innen und Lehrkräfte gemeinsam haben
Wie wichtig die Stimme im Lehrerberuf ist, wissen nur wenige, die sich für ein Lehramtsstudium einschreiben. Selbst erfahrene Lehrkräfte plagen sich mit vermeidbaren Stimmproblemen, weil ihnen ein Werkzeugkasten für ihr wichtigstes Instrument fehlt.
Dafür, dass diese Bilder genauso gewohnt werden wie die der sich warmsingenden Sängerin, setzt sich Christian Gegner ein. Er ist Dozent für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung am Zentrum für Sprache und Kommunikation an der Universität Regensburg und Teil des Communication and Voice Center for Teachers (CoVoC-T) sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "ReSt – Regensburger Stimmtraining". Gegner setzt damit besonders in der Lehrerausbildung an, um ein Bewusstsein zu schaffen, wie elementar wichtig die Stimme für die Ausübung des Berufs ist. "Wie stimm- und sprechintensiv dieser Beruf ist, ist besonders Studierenden noch gar nicht klar", weiß Gegner.
Nach Ausmaß der stimmlichen Anforderungen können Berufe in vier Gruppen eingeteilt werden. Während Sänger*innen und Schauspieler*innen zu den Hochleistungsstimmberufen zählen, gelten Lehrkräfte als Berufssprecher ("professional voice user"). Dies bedeutet, dass Lehrkräfte auf eine gesunde und leistungsfähige Stimme zur Ausübung ihres Berufes angewiesen sind.
Bayern bereitet - im Gegensatz zu anderen Bundesländern - angehende Lehrkräfte im Studium besonders schlecht in Sachen Stimme vor
Das Problem: Lehrkräfte werden im Gegensatz zu Sänger*innen oder Schauspieler*innen in ihrer Ausbildung darauf kaum vorbereitet. Sie lernen ihre Stimme als Werkzeug - wie sie funktioniert, welche Probleme auftreten können und wie man sich Abhilfe verschafft - nicht kennen.
Bayern ist im Gegensatz zu anderen Bundesländern in diesem Punkt besonders schlecht aufgestellt: Es gibt kaum Veranstaltung in diesem Bereich und erst recht keine verpflichtenden. In anderen Bundesländern ist man da weiter, bedauert Gegner.
Die Folge: Lehrkräfte starten in den Beruf und bemerken plötzlich Probleme mit der Stimme. Bereits nach wenigen Unterrichtsstunden gelingt es nicht mehr, sich stimmlich zu behaupten. Die Stimme wird weniger tragfähig, vielleicht auch rauer und man muss sich ständig räuspern, was die Stimme aber noch mehr angreift. Vielleicht hat man sogar Schmerzen beim Sprechen.
Zahlreiche Studien zeigen, dass Stimmprobleme und sogar Stimmstörungen, die auch zu Berufsausfällen führen, im Lehrberuf signifikant häufiger vorkommen, als in anderen Berufsgruppen. "Manche Lehrkräfte denken, dass im Jahr mehrere Wochen Heiserkeit eben dazugehören. Dem ist aber ganz bestimmt nicht so!", versichert Gegner. Die betroffenen Lehrkräfte würden nur noch mit großen Einschränkungen ihren Beruf ausüben und psychisch unter großem Druck stehen. Dabei stünde Lehrkräften häufig ihr hoher Leistungsanspruch im Weg: Anstatt die angegriffene Stimme auszukurieren, stehen sie weiterhin jeden Tag vor der Klasse und ignorieren körperliche Warnsignale.
So weit muss es aber erst gar nicht kommen, sagt Gegner. Denn auch Lehrkräfte, die sich in ihrer Ausbildung nicht mit ihrer Stimme beschäftigt haben, können sich bei den entsprechenden Anlaufstellen (Infos und Tipps auf der Website des CoVoC-T) mit ihrer Stimme beschäftigen, diese analysieren lassen, stimmschonendes Sprechen üben oder lernen, moduliert zu sprechen, um Inhalte spannender zu vermitteln. Hierfür entwickelt die Universität Regensburg in Kooperation mit dem Arbeitsmedizinischen Institut für Schulen in Bayern (AMIS-Bayern) auch gerade eine App: "ReSt-Regensburger Stimmtraining". Die App soll 2025 der bayerischen Schulfamilie kostenlos zur Verfügung gestellt werden.
Gerne erinnert sich Gegner an Lehrkräfte, die sich in scheinbar eingefahrenen stimmlichen Problemsituation an ihn wandten und für sich zum Schluss eine gute stimmliche Situation erarbeiten konnten. "Lehrkräfte mobilisieren alle Kräfte, wenn sie wissen, was sie machen können und welche Expert*innen ihnen dabei helfen können", weiß Gegner. //
Tipps für den Lehreralltag: Was Christian Gegner rät, damit die Stimme lange gesund bleibt
"Entwickeln Sie eine Wahrnehmung gegenüber Ihrer Stimme und beschäftigen Sie sich mit ihr. Wenn Sie Einschränkungen bemerken, fragen Sie sich, woran es liegen kann: Wie ist Ihre Körperhaltung? Haben Sie zu viel Spannung oder zu wenig? Achten Sie auf eine Tiefenatmung beim Sprechen. Achten Sie auf Ihre Tiefenatmung. Machen Sie morgens Ihre Stimme warm z.B. mit Summen und den Brustkorb dabei sanft abklopfen Lippenflattern, Wangen ausstreichen, Kiefermuskulatur lockern. Versuchen Sie zwischen den Unterrichtsstunden Ihren Sprechapparat immer wieder aufzulockern. Trinken Sie viel, aber nicht zu viel Koffein und säurehaltigen Saft, lutschen Sie keine scharfen Hustenbonbons. Statt Räuspern, lieber einen Schluck Wasser trinken. Bei Erkältungen, die auf die Stimme gehen: Nicht quälen, sondern daheimbleiben. Mit einer Kehlkopfentzündung fallen Sie viel länger aus. Bei anhaltenden Problemen zum Phoniater gehen, dem Arzt, der sich um die Stimme kümmert."