Von Kindern, die sich nicht aufhalten lassen
Einblick in das Leben von Jugendlichen mit schwerer körperliche Behinderung vermittelt "Ungebremst". Ein Plädoyer für mehr Selbstbewusstsein stellt "Nicht genug" dar: Die Tipps vom Forum Lesen für den August!
Ungebremst
Von Ruth Anne Byrne
- Verlag: Tulipan
- Seiten: 179
- ISBN: 978-3-86429-541-6
- Preis: 15 Euro
- Altersempfehlung: ab 12 Jahren
Zwei Jahre nach ihrem Reitunfall weiß Nina: Sie hat keinerlei Gefühl in ihren Beinen und wird voraussichtlich zeitlebens auf den Rollstuhl angewiesen sein. Als sie gemeinsam mit ihrem Mitschüler Fabian, einem begeisterten Skater, das Rollstuhl-Skaten entdeckt, ist sie wie elektrisiert.
Ein sehr lesens- und empfehlenswerter Roman, der einen Einblick in das Leben von Jugendlichen mit einer schweren körperlichen Behinderung vermittelt und WCMX als Sport für Rollstuhlfahrer vorstellt.
Inhalt
Zwei Jahre nach ihrem Reitunfall weiß Nina: Sie hat keinerlei Gefühl in ihren Beinen, sie wird voraussichtlich zeitlebens auf den Rollstuhl angewiesen sein. Den Umgang damit hat sie während eines monatelagen Aufenthalts in einer Rehaklinik gelernt. Trotzdem ist sie in ihrem Alltag oft auf Hilfen von anderen Menschen angewiesen, obwohl ihr das zuwider ist. Harsch reagiert sie daher, wenn ihre Mutter oder andere versuchen, ihr Dinge abzunehmen, die sie selbst kann.
Aus Gründen der Barrierefreiheit musste sie die Schule wechseln und trifft nun an der neuen Schule auf neue Barrieren - in Gestalt von Max und Fabian, die sie in ihrer Situation sogar noch verspotten. Das ändert sich allerdings, als Fabian, begeisterter Skater und der Schwarm aller Mädchen der Schule, Nina näher kennenlernt. Sie beeindruckt ihn so sehr mit ihrer Sportlichkeit und Kraft, dass er seine Überheblichkeit ablegt und auf die Idee kommt, sie mit in den Skater Park zu nehmen, wo er seine ganze Freizeit verbringt. Gemeinsam entdecken sie WCMX und nun ist Nina wie elektrisiert. Genau das ist es, was sie lernen will – waghalsige Tricks im Skatepark, wie sie die anderen mit den Skateboards machen, nur mit dem Rollstuhl. Ein großes Hindernis gibt es allerdings: ihre Mutter, die davon unter keinen Umständen erfahren darf.
Bewertung
Die Ich-Erzählerin Nina lässt den Leser eintauchen in ihre Welt, die in Teilen so ganz anders ist als die gleichaltriger Teenager, muss sie sich doch mit Fragen herumschlagen, die für Jugendliche normalerweise überhaupt kein Problem sind, z.B. ob sich auf dem Schulweg steile Treppen oder andere Hindernisse befinden, die sie allein mit dem Rollstuhl nicht bewältigen kann. Schwierig wird manches für sie auch durch das Verhalten der anderen, das sie immer wieder verunsichert. Andererseits hat sie genau die gleichen Bedürfnisse wie ihre Mitschüler*innen. Dazu gehört, eine beste Freundin zu haben und von den Gleichaltrigen akzeptiert zu werden, insbesondere aber auch, sich von den Eltern abzulösen und Eigenständigkeit zu entwickeln oder auch sich zu verlieben. Das alles ist für einen jungen Menschen mit einer gravierenden körperlichen Behinderung viel schwieriger als für andere. Ninas Ankerpunkt wird dabei das Rollstuhl-Skaten. Mit eisernem Willen überwindet sie alle Hürden und befreit sich so auch aus der Überbehütung durch die Mutter.
Der flott geschriebene Roman vermittelt einen authentischen Einblick in die Situation von Jugendlichen, die nach einem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen sind. Dass das unbeschwerte frühere Leben in wunderschönen Träumen zurückkehrt und dass das Erwachen aus diesen Träumen jedes Mal wieder schmerzhaft ist, wer würde das nicht nachempfinden können! Nina hasst es, auf Hilfe angewiesen zu sein. Deutlich wird, dass es aber auch für die anderen, insbesondere für die unmittelbar mitbetroffenen Eltern, sehr schwierig ist, das richtige Maß an Hilfestellung zu finden. So ist der heftige Widerstand besonders der Mutter gegen Ninas sportliche Ambitionen mit dem Rollstuhl-Skaten durchaus nachvollziehbar.
Ein sehr lesens- und empfehlenswerter Roman, der einen Einblick in das Leben von Jugendlichen mit einer schweren körperlichen Behinderung vermittelt und WCMX als Sport für Rollstuhlfahrer vorstellt.
Nicht genug
Von Maria Scrivan
- Verlag: Loewe
- ISBN: 978-3-7432-1045-5
- Preis: 15 Euro
- Seiten: 240
- Altersempfehlung: ab 8 Jahren
Natalie hat ein großes Problem: Sie denkt, nichts wirklich gut zu können: Sie hält sich z.B. selbst für uncool, unsportlich und unmusikalisch. In Wirklichkeit stimmt das natürlich überhaupt nicht!
Der Auftaktband der „nICHt-genug“-Reihe ist ein sehr empfehlenswerter, einfühlsam geschriebener und gezeichneter Tagebuch-Comic-Roman, der in mehrerer Hinsicht die jungen Leserinnen dort abholt, wo sie stehen, und ein Plädoyer für mehr Selbstvertrauen darstellt.
Inhalt
Natalie hat ein großes Problem: Sie denkt, nichts wirklich gut zu können: Sie hält sich insbesondere für uncool, unsportlich und unmusikalisch. In Wirklichkeit stimmt das überhaupt nicht: Natalie kann tolle Comics zeichnen und besucht regelmäßig die Stunden des BFP, des Begabtenförderprogramms, in denen sie beispielsweise das 01 Programmieren lernt und zusätzlichen Fremdsprachenunterricht hat. Verstärkt wird dieses Gefühl, „nicht genug“ zu sein, dadurch, dass sie bei ihrer ehemaligen besten Freundin Lily ‚abgemeldet‘ ist, seit die sich mit der coolen Alex angefreundet hat. Nicht nur, dass Lily nicht mehr mit Natalie redet; sie klebt sogar Zettel an ihren Spind, auf denen sie Natalie als Nerd bezeichnet und ihr sagt, dass sie uncool sei. Dabei würde Natalie alles dafür tun, sie als Freundin zurückzugewinnen, auch wenn die nette Zoe versucht, ihr die Augen zu öffnen, und ihr sagt, was man von einer solchen „Freundin“ zu halten hat. Sie und Flo raten, ganz einfach sie selbst zu sein. Es dauert eine ganze Weile, bis Natalie merkt, was sie an Zoe und Flo hat, und sich insbesondere auch selbst mehr zutraut.
Bewertung
Mit der Reihe „GRAPHIX Loewe - Comic-Bücher für Kinder“ - setzt der Verlag die Ergebnisse der Leseforschung um, die in Comics den niederschwelligen Einstieg von Kindern in die Welt des Lesens sieht. Zielgruppe dieses Comic-Romans sind Mädchen, die sich mit dem Lesen ein wenig schwertun. Dementsprechend ist auch die Sprache eher einfach gehalten. Mit der Ich-Erzählerin Natalie, einer begabten Comic-Zeichnerin, lernen sie eine liebenswerte Protagonistin kennen, die sich mit genau den Problemen herumschlägt, die sie selbst oft nur zu gut kennen: Selbstzweifel quälen sie, hässliche Bemerkungen von Mitschülern verstärken diese und die sogenannte Freundin entpuppt sich als ‚fieses Miststück‘.
Gerade der Kummer, den das bei der Protagonistin verursacht, ist in den ausdrucksstarken Illustrationen hervorragend veranschaulicht. Er spiegelt sich im Gesichtsausdruck ebenso wider wie in der Farbgestaltung und den Formaten der Panels. Dies gilt in gleicher Weise natürlich für freudige Momente. Die flächige, farbenfrohe Bildgestaltung und das klare Schriftbild unterstützen noch ungeübtere Leserinnen.
Die Botschaft des Romans ist klar: Hab Selbstvertrauen und sei du selbst, dann geht vieles im Leben viel einfacher. Und auch Scheitern kann manchmal durchaus lustig sein, z.B., wenn man auf der Bühne bei der Aufführung eines Musicals als Papagei mit „dem Baum“ zusammenstößt und zu Boden geht – der Applaus des Publikums lässt das peinliche Gefühl verschwinden…
Der Auftaktband der „nICHt-genug“-Reihe ist ein sehr empfehlenswerter, einfühlsam geschriebener und gezeichneter Comic-Roman, der in mehrerer Hinsicht die jungen Leserinnen dort abholt, wo sie stehen, und so ein gelungenes Angebot für Grundschülerinnen ab acht Jahren darstellt. Er wurde mit dem Leipziger Lesekompass 2022 ausgezeichnet.