Fast im Wochentakt fordert irgendeine Organisation oder ein Politiker neue Inhalte für den Unterricht. Umwelterziehung, Digitalisierung ökonomische Kompetenz, zuletzt sogar die Bereitschaft zur Organspende: Taucht irgendein Problem auf, soll es direkt in den Schulen gelöst werden. Dann braucht es gleich ein ganz neues Fach oder zumindest neue Lehrplaninhalte. Eine beliebte Alternative ist auch das Ausrufen von Wettbewerben, Projekten, Modellversuchen oder Gütesiegeln. Schule soll sich um alles kümmern, von A wie Aids bis Z wie Zahnpflege.
Diesem kurzatmigen Aneinanderreihen zusätzlicher Bildungsinhalte fehlt jedoch eine klare Vorstellung davon, was Schule wie leisten kann und soll. Der Öffentlichkeit soll durch solchen Aktionismus suggeriert werden, dass man sich eines Problems annimmt. Die Arbeit an der Lösung wird dann an Schule und Lehrkräfte delegiert. Doch unsere Schulen mühen sich schon seit langem mit einem Zuviel an Inhalten und einem Zuviel an Fächern. Lernen braucht Zeit. Lehrpläne und Stundentafeln sind keine Wunschzettel.
Lernen braucht Zeit
Zu viele Inhalte und eine zu enge Taktung von Fächern verhindern nachhaltiges Lernen. Fehlt für eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung die notwendige Zeit, so werden die Inhalte allzu oft unmittelbar nachdem sie abgeprüft worden sind, wieder vergessen. Es geht nicht darum, bestimmte Inhalte als unwichtig abzuwerten, sondern darum, dass nachhaltiges Lernen Vertiefung, Wiederholung, Vernetzung und Anwendung benötigt. Wir haben an den Schulen nicht zu wenige, sondern zu viele Fächer. Schüler begegnen dadurch häufig verschiedenen Facetten eines Themas in unterschiedlichen Fächern, ohne die Zusammenhänge zu erkennen. Noch mehr Fächer, das verstärkt die Tendenz zur Vermittlung von bloßem Faktenwissen. Es braucht aber mehr ganzheitliche Bildung, mehr phänomenologisches Lernen. Kinderwollen die Welt verstehen, ihnen ist es erst einmal egal, ob sie Antworten auf Ihre Fragen in Physik, Chemie oder Biologie bekommen. Sie wollen Phänomene verstehen.
Was soll Schule eigentlich leisten?
Hinzu kommt: Fachlichkeit erfordert die Verwendung der spezifischen Fachsprache. Doch ohne die notwendige Zeit, Dinge durchdringen zu können, werden Fachbegriffe häufig nicht wirklich verstanden, sondern einfach auswendig gelernt und oftmals sinnwidrig verwendet. Wer es versteht, die eigene Ahnungslosigkeit hinter der Begriffsnennung zu verschleiern, kann sogar gute Noten erzielen.
Deshalb bietet die Diskussion um die Verankerung von Alltagskompetenzen in der Schule auch die Chance, sich darüber zu verständigen, was Schule eigentlich leisten soll: Das Ziel muss sein, dass Schülerinnen und Schüler vielfältige Kompetenzen für ihre Zukunft erwerben. Dazu gehört mehr als Fachinhalte. Ganzheitliche Bildung umfasst auch emotionale Intelligenz, kulturelle Fähigkeiten sowie ein demokratisches Wertebewusstsein. Wir brauchen einen ganzheitlichen Unterricht mit Herz, Kopf und Hand. Wie das gelingen kann, hat der BLLV auf seiner Landesdelegiertenversammlung Ende Mai erarbeitet.
Autor: Fritz Schäffer, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik