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Ständige Bereitschaft: Tomi Neckov berichtet von seinem Pandemie-Alltag als Schulleiter Startseite
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"Viele Kollegen wollen diesen Wahnsinn nicht mehr mitmachen"

Schulen durch die Pandemie zu führen, ist eine Mammutaufgabe. Mit der stehen Schulleiter ziemlich alleine da, berichtet Tomi Neckov, 2. BLLV-Vizepräsident. Bürokratische und organisatorische Aufgaben führen zu extrem hohem Arbeitsdruck für Schulleiter.

Frage: Sie sind seit sechs Jahren Schulleiter. Wie hat sich ihr Beruf in diesen sechs Jahren verändert?

Tomi Neckov: Es ist grundsätzlich viel mehr Bürokratie geworden. Wir müssen jetzt Aufgaben erledigen, die nicht zu unserem eigentlichen Berufsbild gehören. Jüngstes Beispiel: Wir Schulleiter müssen jetzt auch noch die Impfpässe vom ganzen Personal und auch von den Schülerinnen und Schülern auf Masernimpfung überprüfen. Auch zum Beispiel russische und portugiesische Impfpässe, von denen ich natürlich erstmal keine Ahnung habe und mir die Sprachkenntnisse fehlen. Und das ist wirklich nur ein Beispiel von vielen. Für das, warum ich eigentlich Schulleiter geworden bin, nämlich Schule zu gestalten, fehlt mir vor lauter Verwaltung immer häufiger die Zeit.

Zur Person - Tomi Neckov, 2. BLLV-Vizepräsident

Der 47-Jährige Schweinfurter ist seit sechs Jahren Schulleiter – seit drei Jahren an der Frieden-Mittelschule in Schweinfurt. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Wie hat sich Ihr Beruf seit Beginn der Pandemie verändert?

 Durch Corona ist eine Vielfalt an organisatorischen, bürokratischen Aufgaben hinzugekommen. Ich muss Konzept, über Konzept, über Konzept schreiben - Hygienekonzept, Pausenkonzept etc. - und dabei den ganzen Vorgaben des Kultusministeriums gerecht werden. Ich schreibe unzählige Elternbriefe, um die Eltern zu den Corona-Regeln zu briefen. Ich bekomme unzählige Anrufe mit der Frage: Mein Kind hat eine Rotznase - kann es zur Schule kommen? Verständlicherweise trauen sich viele Lehrkräfte nicht, im Corona-Kontext Entscheidungen zu treffen, sondern wenden sich mit einer Vielzahl von Fragen an mich. Hinzu kommen tausend Kleinigkeiten, die aber in der Summe enorme Zeitfresser sind. Um ein Beispiel zu geben: Die Informatik-Lehrerin kommt auf mich zu, weil sie ein Desinfektionsspray haben will, was besonders fein zerstäubt, damit die Tastatur nicht beschädigt wird. Kurz darauf kommt die andere Lehrerin, die eine FFP2-Maske haben möchte. Außerdem gibt es immer wieder Auseinandersetzungen: Kürzlich hielt sich bei Unterrichtsende eine Gruppe von Müttern, die trotz Betretungsverbot und Maskengebot auf dem Schulhof standen, auf - ohne Maske. Als ich sie darauf anspreche, tickt die eine Mutter total aus, schreit mich an. Als sie mich auf meinen erneuten Hinweis auf die Maskenpflicht nur noch weiter anschreit, muss ich damit drohen, die Polizei zu holen. Daraufhin hat sie dann den Schulhof verlassen.

Wie hat sich ihr Arbeitszeitpensum erhöht während Corona?

 Ich habe im Moment eine 60-Stunden-Woche mit ständiger Bereitschaft. Ich rechne immer damit, dass auch wir bald einen Corona-Fall haben. Und dann muss ich für das Gesundheitsamt die Kontakte von allen Schülern und vom kompletten Personal in allen möglichen Fallkonstellationen nachweisen - auch am Wochenende - und die habe ich in diversen Exceltabellen immer auf dem neuesten Stand. 

Was denken Sie: Wie lange können Sie und die anderen Schulleiter dieses Pensum physisch und psychisch durchhalten?

 (Seufzt) Mei, wir sind halt so pflichtbewusst… Ich rechne damit, dass es einige Schulleiter geben wird, die vielleicht krank werden und ihren Posten aufgrund von zu hoher Belastung zurückgeben werden. Immer öfter höre ich Stimmen von Kollegen, die sagen: „Ich mag diesen Wahnsinn bald nicht mehr machen.“

Was würden Sie sich denn jetzt seitens der Politik wünschen?

Jetzt gerade im Moment will ich von der Staatsregierung einfach nur das Eingeständnis, dass kein Regelbetrieb herrscht. Das würde uns als Lehrerinnen und Lehrern den Druck gegenüber den Eltern nehmen, die denken, dass sie Anspruch auf normalen Unterricht haben. Eltern gehen von einem Regelbetrieb aus, aber in der Realität der Schulen herrscht Notbetrieb. Ich habe keine Lehrkraft mehr in Reserve - das geht mindestens 70 bis 80 Prozent der Schulen in Bayern so. Gleichzeitig kommen jetzt Herbst und Winter - die normale Grippe- und Erkältungssaison beginnt. Natürlich werden Lehrkräfte krank werden und ausfallen. Vor Corona konnten wir die Klassen dann einfach auf andere Klassen verteilen - geht jetzt wegen Corona-Vorgaben nicht mehr. Was dann? Ganz zu schweigen von Corona-Fällen an der Schule und dem Quarantäne-Prozedere, die auf uns zukommen werden. 

Die Regelungen des Kultusministeriums sehen jetzt vor, dass, sollte Distanzunterricht wieder nötig sein, dieser verpflichtend sein soll - im Gegensatz zu den Zeiten des Lockdowns, wo das noch nicht so geregelt war. Wie schätzen Sie das ein?

In der Theorie ist das gut, in der Praxis sehe ich das nur schlecht umsetzbar. Viele unserer Kinder haben zum Beispiel keine Endgeräte. 

Haben Sie denn keine bekommen?

Doch, 16 Stück – wir haben fast 400 Schülerinnen und Schüler. Die Laptops reichen natürlich nicht bei Weitem. Mit der derzeitigen Ausstattung an Endgeräten dürfen an meiner Schule maximal zwei Klassen in Quarantäne gehen, mehr nicht. Traurigerweise darf ich die noch gar nicht rausgeben, weil ich auf die Leihverträge der Kommune warte. Ohne die werde ich die Laptops nicht verleihen.

Endgeräte sind die eine Sache. Aber man muss ja auch mit den Endgeräten umgehen können, entsprechende Software installieren und bedienen können. Wie bereiten Sie Ihre Schule darauf vor?

Meine Lehrkräfte haben sich in den Sommerferien in Microsoft Teams und die Schulcloud eingearbeitet. Seit dem Start ins neue Schuljahr üben wir mit den Kindern ein, wie sie diese Tools bedienen sollen im Falle von Distanzunterricht. Sie sollen alle Kommunikationswege beherrschen, mit denen wir mit ihnen in Kontakt treten wollen. 

Ich möchte mit Ihnen einen Blick zurückwerfen auf die Zeit des Lockdowns. Wie gut hat denn der Unterricht auf Distanz funktioniert?

 Es hing davon ab, wie selbstständig die Kinder schon vor dem Lockdown gelernt haben und welche Unterstützung und Ausstattung mit digitalen Endgeräten auch von zuhause gegeben war. Wir haben ja auch Schüler, die aus prekären Verhältnissen kommen, die sind total zurückgefallen. Manche Schüler hat man ja auch gar nicht erreicht. Bei einem Schüler ist jede Kontaktaufnahme fehlgeschlagen seitens der Lehrer. Da haben wir dann einen Jugendsozialarbeiter vorbei geschickt. Aber auch der stand vor verschlossenen Türen. Dieses Kind haben wir erst wieder nach dem Lockdown gesehen. Kein gutes Gefühl für uns Lehrer.

Die Krise hat gezeigt, dass Kinder, die es ohnehin nicht leicht haben, in der Krise besonders abgehängt werden. Können Sie uns aus Ihrem Alltag von konkreten Beispielen erzählen?

 Ein Beispiel: Ein Kind kam ein halbes Jahr vor dem Lockdown nach Deutschland ohne jegliche Deutsch-Sprachkenntnisse. Bis zum Lockdown konnte es einigermaßen deutsch. Während des Lockdowns sprach er zuhause aber drei Monate nur arabisch, weil die Eltern selbst keine Deutsch können. Als er wieder in die Schule kam, konnte er kaum noch deutsch sprechen und hatte fast alles wieder verlernt. Solche Kinder werden extrem abgehängt. Und natürlich ist es auch frustrierend für Lehrer, wenn Lernerfolge nach dem Lockdown verschütt gehen.

Abseits von den unterschiedlichen Lernständen der Kinder nach dem Lockdown: Wie haben die Schülerinnen und Schüler auf sie gewirkt, als sie wieder in die Schule gekommen sind?

Ich erinnere mich an eine ungewohnte Stille im Schulgebäude - und bei uns geht es ja schon manchmal etwas lauter und stürmischer zu. Aber die Kinder sind wirklich durch die Gänge geschlichen, weil sie so verunsichert waren: Was dürfen wir machen? Wie sollen wir uns jetzt verhalten? Grundsätzlich haben sich die Kinder total auf die Schule gefreut, das hat man auch gemerkt. Natürlich kamen einige Kinder ohne jegliches Material am ersten Schultag. Noch nicht einmal einen Stift oder einen Schreibblock hatten sie dabei. Manche sind fast eingeschlafen - die mussten erst wieder in einen normalen Tagesrhythmus bringen. 

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