Wenn einer von sich behaupten kann, die Entwicklung des Lehrerberufs hautnah mitbekommen zu haben, dann die 97jährige Gertraud Blaschke. Im Rückblick erkennt Blaschke: "Der BLLV hat viel erreicht."
Aber von vorn: Nach ihrer Ausbildung trat die damals 19jährige Ingolstädterin ihren Dienst als Volksschullehrerin an. Kurz vor Ende des 2. Weltkriegs, 1944. Ihr Verdienst damals: 120 Reichsmark.
Blaschke erinnert sich: "Ich habe mit meinen Schülern gesungen, ihnen Geschichten erzählt und Kopfrechnen geübt. Aber eine Zeit lang habe ich nicht nur gelehrt, sondern musste auch die Schule leiten, da der Schulleiter und seine Vertreter mit den Nationalsozialisten in Verbindung gestanden hatten und deswegen Lehrverbot bekamen."
Bis in die 50er bekamen Lehrerinnen weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen und mussten dabei sogar noch mehr Stunden halten - bis der BLLV Gleichbehandlung durchsetzte
Die Zeiten waren herausfordernd auf vielen Ebenen: 50 Kinder in einer Klasse waren keine Seltenheit. Vormittags unterrichtete Blaschke die Klassen 7 und 8, nachmittags die Klassen 5 und 6. In den Sommerferien gab es kein Gehalt. Trotzdem übte sie ihren Beruf mit großer Hingabe aus: "Ich habe sehr auf die geschaut, die weniger gekonnt haben." Jedes Kind habe andere Fähigkeiten – unabhängig von seinem Erfolg in der Schule.
Blaschke wohnte, wie alle Lehrkräfte, im Schulhaus im Speicher. Außerdem mussten Lehrkräfte nach dem Krieg am Wochenende und in den Ferien Feldarbeit leisten: mit der Hand dreschen und weitere Arbeiten erledigen, die eben auf dem Feld anfielen. Lehrerinnen mussten den Amerikanern Essen kochen – nur von was, wenn es keine Lebensmittel gab? Um aufkeimende Konflikte und Sprachbarrieren zu überwinden, wurde Gertraud Blaschke vom Feld als Dolmetscherin geholt, da sie die einzige war, die Englisch konnte.
Verklemmte Sexualmoral: Sichtbar schwangere Lehrerinnen wurden aus dem Klassenzimmer verbannt
Unglaublich aus heutiger Sicht: Damals durften Lehrerinnen durften nicht mehr in die Schule, wenn sichtbar wurde, dass sie schwanger sind (an bezahlte Elternzeit war nicht zu denken). Blaschke dazu: "Schließlich könnte der dicke Bauch des Fräuleins die Moral der Kinder verstören. Die gesamte Sexualität hat man damals nicht angesprochen. Erst 1965 hat man langsam den Sexualkundeunterricht eingeführt."
Gertraud Blaschke gehört 1946 zu den Gründungsmitgliedern des KV Ingolstadt
Als 1946 der Ingolstädter Kreisverband des BLLV gegründet wurde, gehörte Gertraud Blaschke zu den Gründungsmitgliedern. Die Mitteilungsblätter fuhr sie mit dem Fahrrad aus. Denn der BLLV setzte sich für die Belange der Volksschullehrinnen und Volksschullehrer ein und trug dazu bei, dass Ende der 50er beide Geschlechter bei gleicher Stundenzahl das gleiche Gehalt verdienten. "Darum war ich auch bereit, den BLLV zu unterstützen, zum Beispiel bei Veranstaltungen", erklärt Blaschke ihre Motivation im BLLV.
Ergebnis der Bemühungen des BLLV: Seit den 70ern studieren Grund- und Mittschullehrkräfte an Unis
Als in den 70ern die Pädagogischen Hochschulen gegründet wurden und fortan Grund- und Mittschullehrkräfte an Unis studierten, wurde auch dem Berufsstand von Gertrud Blaschke mehr Anerkennung zuteil. Auch dies ein Ergebnis der Bemühungen des BLLV.
2010: Beförderungsämter für GS, MS und RS; 2022: A13 für GS und MS angekündigt
Die Vorsitzende des KV Ingolstadt, Karin Leibl, erinnert außerdem an weitere Erfolge des BLLV: Die Abschaffung des konfessionellen Unterrichts (1968) und konfessionellen Studiums (1972); 2010 das neue Dienstrecht, das Beförderungsämter für Grund-, Mittel- und Realschullehrer einführte. Und jetzt, 2022, ein weiterer Meilenstein für den BLLV, um die Gleichwertigkeit aller Lehrämter herzustellen: Die Verkündung von Söder, A13 für Grund- und Mittelschule einzuführen.
Ein Angebot, als erste weibliche Kreisvorsitzende zu fungieren, lehnte Blaschke einst ab: Es wäre ihr zu viel geworden. 2010 wurde Karin Leibl die erste Kreisvorsitzende.