Die Autorinnen Kerstin Menzl und Julia Schuck sind die Leiterinnen des Referats ViL im BLLV
„30 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland können nicht ausreichend lesen, rechnen und schreiben“, „PISA-Schock“, „historisch schlechte Schulleistungen“ –Schlagzeilen wie diese beherrschen die Presse seit einigen Monaten, sorgen für Diskussionen in Familien, Lehrerzimmern und in der Politik. Alle sind sich einig: es muss etwas passieren! Aber was? Viele Ideen gibt es, doch vor allem der akute Personalmangen an den Schulen bremst jegliche Verbesserungsvorschläge aus. Der bayerische Versuch, eine „kostenneutrale“ Lösung durch die Umschichtung von Unterrichtsfächern, ist die neueste Maßnahme, dieser Misere zu begegnen. Ein paar Stunden Deutsch und Mathematik in der Grundschule mehr, auf Kosten der musischen Fächer sollen´s richten. Aber ist das tatsächlich der erfolgversprechende Geniestreich?
Wir brauchen Lust aufs Lernen und Spaß am Lernen
Viele Lehrkräfte stellen fest, dass nicht nur Lesen, Rechnen und Schreiben das Problem sind. Generell scheint „nur noch wenig hängen zu bleiben“, Lerninhalte sind nach kurzer Zeit schon nicht mehr verfügbar und für aufbauende Lernprozesse nur noch lückenhaft nutzbar. Nicht nur die Lust am Lesen schwindet, die Lernmotivation allgemein nimmt ab. Bulimisches Lernen ist an der Tagesordnung, auch schon in der Grundschule.
Woran das liegt? Es gibt viele Theorien, die uns allesamt nicht weiterbringen. Die Frage ist doch: Wie können wir dieser Tatsache begegnen? Was brauchen unsere Schüler und Schülerinnen, was brauchen die Lehrkräfte, die Eltern, um (wieder) Lust aufs Lernen zu wecken, um Wissen nachhaltig zu verankern, zu vernetzen, anwendbar zu machen, als bereichernd zu erleben?
Ein Ansatz ist für uns die Theorie des verständnisintensiven Lernens, Anfang der 2000er Jahre entwickelt von Prof. Dr. Fauser an der Universität in Jena:
Tiefergehendes Verständnis als Lernprinzip
Verständnisintensives Lernen ist eine pädagogische Lerntheorie, die sich darauf konzentriert, tiefergehendes Verständnis und Kompetenzen bei Lernenden zu entwickeln. Angesichts der PISA-Ergebnisse hat diese Methode an Bedeutung gewonnen, da sie eine Antwort auf die Herausforderungen bietet, die durch die Bewertung von Schülerleistungen auf internationaler Ebene deutlich wurden.
Der Ansatz des verständnisintensiven Lernens bündelt pädagogisch und psychologisch wesentliche Einsichten und Erfahrungen in einem konstruktivistischen Modell des Lernens. Es handelt sich dabei um einen Dachbegriff, der einen Rahmen für die methodische und didaktische Planung und Analyse des Unterrichts und zugleich für die Förderung des Lernens beim Einzelnen bietet, also mehr ist als nur eine besondere Methode oder Form des Unterrichts.
Verstehens als Modellierungsprozess
Lernen allgemein bezeichnet den erfahrungsabhängigen, aktiv-konstruktiven Aufbau von Kompetenzen, also von Wissen, Können und Überzeugungen. Der Begriff „verständnisintensives Lernen“ ist spezieller ausgerichtet. Er hebt die Bedeutung des Verstehens hervor und beschreibt es als einen Modellierungsprozess, der durch das Zusammenspiel von Erfahrung (eigenes Erleben und Handeln), Vorstellung (sinnesnahe, erfahrungsanaloge Formen des Denkens), Begreifen (Denken in Kategorien und Zusammenhängen) und Metakognition (selbstreflexive Begleitung und Optimierung des Lernens) strukturiert und in seiner Dynamik aufrechterhalten wird.
Erfahrung, Vorstellung, Begreifen und Metakognition bezeichnen dabei analytisch unterscheidbare Dimensionen des Lernens (s. Grafik unten). Ein verständnisintensiver Unterricht wird den unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen, Fähigkeiten und Bedürfnissen der Lernenden besser gerecht.