Der Fall
Eine Junglehrerin im 2. Dienstjahr fiel die Woche vor den Weihnachtsferien aus und kam am ersten Schultag im Januar wieder in ihre Klasse. Am Ende des Schultages kam die Klassenelternsprecherin auf die Kollegin zu und betonte, dass sie ihr im Namen der gesamten Klasse (24 Schülerinnen und Schüler) ein nachträgliches Dankeschön zu Weihnachten überreiche. Es wurde mehrfach betont, dass diese Aufmerksamkeit nicht von ihr als Privatperson und einzelner Mutter übergeben werden sollte, sondern als gesammelter Dank und Willkommensgruß nach der Genesung dienen sollte.
Überreicht wurden in einer transparenten Geschenkfolie eine kleine Kerze, eine 0,2-Liter-Flasche Mango-Sekt (Wert: 1,59 Euro), eine Tafel Schokolade sowie ein Umschlag, der vermeintlich eine Grußkarte enthielt. Nach Aussage der Klassenelternsprecherin stammten die überreichten Gegenstände, außer der Grußkarte, aus ihrem häuslichen Besitz und wurden somit nicht für diesen Zweck angeschafft. Zudem bestätigte die Klassenelternsprecherin, dass die Beteiligung der Klasseneltern an dem Geschenk auf freiwilliger Basis stattfand.
Da für die Kollegin zu dieser Zeit einige essenziell wichtige dienstliche Aufgaben anstanden, wie die Organisation und Durchführung der Lernentwicklungsgespräche sowie ihre Einzellehrprobe, ließ sie den Umschlag zunächst verschlossen. Erst nach geraumer Zeit öffnete sie das überreichte Geschenk und stellte fest, dass die mutmaßliche Grußkarte einen Geschenkgutschein eines Cafés im Wert von 15 Euro beinhaltete. Diese Summe entspricht also gerundet 0,63 Euro pro Kind. Ungeachtet dieser Geringfügigkeit wollte sie die Schulleitung ansprechen und sich mit ihr beraten, ob sie das Geschenk annehmen dürfe, verspürte aber wegen des geringen Wertes keine Dringlichkeit, dies umgehend zu erledigen.
Die Anschuldigung
In der folgenden Woche ging beim Kultusministerium einan Minister Piazolo adressiertes anonymes Schreiben ein. Darin behauptete der Verfasser, der Junglehrerin sei „ein Geschenk in vermutlich beträchtlicher Höhe überreicht“ worden, und sie habe dieses auch angenommen. Weiterführt er aus: „Bei diesem Geschenk kann es sich nicht nur um eine kleine, geläufige Aufmerksamkeit handeln, es hatte Paketgröße!“. Der anonyme Schreiber nennt auch Datum und Ort sowie die beteiligten Personen. Er hatte also offensichtlich Kenntnis der Situation, hat diese aber böswillig und verleumderisch übertrieben.
Die Rechtslage
Zunächst einmal gilt bundesweit für alle Beamtinnen und Beamten ein grundsätzliches Verbot, Geschenke anzunehmen. Dies regelt das Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) in § 42 Abs. 1: „Beamtinnen und Beamte dürfen (…) keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder eine dritte Person in Bezug auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen.“
Es gibt aber die Möglichkeit, sich Ausnahmeregeln durch vorgesetzte Dienststellen genehmigen zu lassen. Dies ist in Art. 6 Abs. 5 des Bayerischen Beamtengesetzes (BG) geregelt: „Ausnahmen von dem Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen (…) bedürfen der Zustimmung der obersten oder der letzten obersten Dienstbehörde. Die Befugnis zur Zustimmung kann auf andere Behörden übertragen werden.“ Für angestellte Lehrkräfte regelt es § 3 Abs. 3 TV-L analog.
Verstoßen Beamte gegen diese Vorschriften, so stellt dies ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 BeamtStG dar und kann disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Daneben kann, in besonders gravierenden Fällen,der Straftatbestand der Vorteilsnahme (§ 331 StGB) oder der Bestechlichkeit (§ 332 StGB) erfüllt sein, was bei einer Verurteilung zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe führen kann. In diesen Fällen käme auch für die Eltern eine Strafbarkeit nach § 334 StGB (Vorteilsgewährung) oder § 335 StGB (Bestechung) in Betracht.
Die Allgemeine Geschäftsordnung für die Behördendes Freistaates Bayern (AGO) sieht in § 17 Abs. 2 die Möglichkeit vor, anonyme Schreiben nicht zu bearbeiten: „Eingänge, die die absendende Stelle nicht oder unzureichend erkennen lassen, werden grundsätzlich nicht bearbeitet. Unabhängig davon sind zum Schutz privater und öffentlicher Güter und Rechte die notwendigen Maßnahmenzu ergreifen und andere Behörden zu informieren. “Da der anonyme Verfasser aber von erheblichen Geldwerten sprach, hielt es das KM doch für angebracht, der Sache nachzugehen.
Hätte die Kollegin ihr Geschenk, also den Umschlag, gleich geöffnet und die Schulleitung informiert, dass der darin befindliche Gutschein einen Wert von 15 Euro hatte, wäre ihr unter Umständen viel unnötige Aufregung erspart geblieben. Die Schulleitung hätte nämlich vom Schulamt die Erlaubnis zur Annahme einholen können, was angesichts des Betrages wohl kein Problem dargestellt hätte. So aber wurden alle von der anonymen Anklage überrollt.
Das Verfahren
Auf Seiten des KM musste man aufgrund der vorgebrachten Anschuldigung von einer groben Pflichtverletzung der Beamtin ausgehen. Man beauftragte daher die Bezirksregierung und diese danach das zuständige Schulamt, der Sache auf den Grund zu gehen, indem man von der Junglehrerin, ihrer Schul- und auch der Seminarleitungeine Stellungnahme einforderte.
Die Rechtsabteilung des BLLV ließ sich zunächst von der Kollegin eine Vertretungsvollmacht ausstellen, um in ihrem Namen auftreten zu können. Anschließend wurde gegenüber den oberen Behörden Akteneinsicht beantragt. Besonders interessiert waren wir an dem anonymen Schreiben in der Hoffnung, man könne über den Schreibstil oder andere Merkmale etwas zum anonymen Verfasser erfahren und diesen dann wegen Verleumdung strafrechtlich belangen. Dies war leider nicht möglich, sodass von uns letztendlich nur die eingeforderte Stellungnahmean die Regierung verfasst wurde.
Der Begriff der "Geringwertigkeit"
Obgleich es grundsätzlich verboten ist, Geschenke anzunehmen, und Ausnahmen eigentlich einer Genehmigung bedürfen, schreibt selbst das KM auf seiner Internetseite, dass kleine Aufmerksamkeiten von geringem Wert möglich seien: „Lehrkräfte müssen wie alle Beamte jeden Anschein vermeiden, im Rahmen ihrer Amtsführung für persönliche Vorteile empfänglich zu sein. Es ist ihnen deshalb grundsätzlich verboten, Belohnungen oder Geschenke anzunehmen. Eine geringwertige Aufmerksamkeit als Ausdruck der persönlichen Verbundenheit, die sich im Lauf eines oder mehrerer Schuljahre eingestellt hat, wäre jedoch nicht zu beanstanden. Feste Grenzen, bis zu welchem Gesamtbetrag Aufmerksamkeiten unbedenklich sind, gibt es aber nicht. Hier sind jeweils die Umstände des Einzelfalls zu beachten. (…)“ [Zu finden im Abschnitt „Geschenke für Lehrer“ unter www.km.bayern.de unterdem Pfad „Eltern“, „Was tun bei ...“, „Rechte &Pflichten“]
Fazit
In seiner Stellungnahme hat der BLLV den Vorgang zunächst geschildert und die Geringwertigkeit des Geschenkes betont. Dies auch vor dem Hintergrund der Äußerungen des KM auf dessen Webseite. Die Rechtsabteilung kam daher zu dem Schluss, dass unser Mitglied nicht gegen ihre dienst- und beamtenrechtlichen Pflichten verstoßen habe und man im vorliegenden Fall die Geringfügigkeit des „Vergehens“ bejahen könne. Dem schloss sich die Regierung an. Der Fall wurde abgeschlossen, sodass an der jungen Kollegin nichts hängen blieb.
Andreas Rewitzer, Leiter der Rechtsabteilung des BLLV
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