Warum sollten wir mit der Aufklärung schon in der Grundschule beginnen?
Daniela Huber: Die Pubertät beginnt heute früher als noch vor 30 oder 50 Jahren – bei Mädchen wie bei Jungen. Bei Mädchen setzt teilweise schon in der vierten Klasse die Menstruation ein. Das kann sie verängstigen, weil sie nicht mit diesem frühen Zeitpunkt gerechnet haben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sexuellem Missbrauch vorzubeugen. Wenn ich Kindern klar mache, dass es kein Tabu ist, darüber zu sprechen, trauen sie sich eher Hilfe zu holen.
Sexualpädagogik ist ein kontroverses Thema. Wie gehe ich mit Vorbehalten von Eltern um?
Oft haben Eltern völlig falsche Vorstellungen davon, wie Sexualpädagogik in der vierten Jahrgangsstufe aussieht. Sie befürchten, es könnte um Verhütung oder Sexualpraktiken gehen. Das ist überhaupt nicht der Fall. Es geht darum, den Kindern altersangemessene Informationen zu geben, etwa zu den körperlichen Veränderungen, die sie durch die Pubertät erleben. Breiten Raum nimmt die Sozialerziehung ein. Es geht darum, einen fairen Umgang miteinander zu vermitteln, Grenzen zu achten, die eigenen, aber auch die von anderen.
Ein wichtiges Thema ist also die Frage der Selbstbestimmung?
Und das in unterschiedlichen Situationen. Wenn ich zum Beispiel ein Spiel nicht mitspielen möchte, darf ich dann „Nein“ sagen oder bin ich dann ein Spielverderber? Es dreht sich vieles um Fragen wie „Was ist Privatsphäre?“ und „Darf ich mich abgrenzen?“.
Sollte man besser getrennt geschlechtlich arbeiten, vielleicht in einem Team mit einer Lehrerin für die Mädchen und einem Lehrer für die Jungen?
Wenn man die Möglichkeit dazu hat, kann das bei manchen Themen sinnvoll sein, zum Beispiel beim Thema Körper. Wenn Mädchen erleben, wie sich ihr Körper verändert, ist es leichter für sie, in einer getrennten Gruppe darüber zu reden. Aber man sollte Jungen und Mädchen nicht die ganze Zeit über trennen. Sie wollen schließlich etwas übereinander erfahren und sollten lernen, über das Thema miteinander sprechen zu können.
Wie gelingt es Lehrkräften eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen?
In dem man Absprachen trifft und Regeln aufstellt. Zum Beispiel, dass man respektvoll miteinander umgeht, dass man nicht weitersagt, was die anderen Kinder erzählt haben. Um ihre Grenzen zu respektieren, können die Kinder ihre Fragen auch anonym auf Zetteln stellen. Das Ziel sollte jedenfalls nicht sein, dass die Mädchen und Jungen sich total öffnen. Das ist der entscheidende Punkt. Denn sie sollen ja lernen, dass sie nicht mit jedem und in jeder Situation über so etwas Intimes wie ihre Gefühle und körperliche Veränderungen sprechen müssen. Ein Kind sollte ein Gespür dafür entwickeln, wem es sich anvertrauen kann, wenn es Kummer oder Fragen hat.
Was mache ich, wenn Kinder derbe Sprüche klopfen, die einem die Schamesröte ins Gesicht treiben?
Kichern ist erlaubt, das ist bei dem Thema ganz normal. Bei derben Sprüchen sollte man klären, ob sie auf andere gerichtet sind und ob die Worte als verletzend oder beleidigend empfunden werden. Ist das der Fall, sollte man Grenzen setzen und sagen „Ich will nicht, dass so geredet wird, vor allen Dingen nicht, dass andere Kinder beleidigt werden.“ Benutzen Kinder derbe Begriffe, weil sie es nicht anders kennen, dann muss man an der Sprachebene arbeiten.
Fragen: Robert Haberer
* Zur Person
Daniela Huber ist Sexualpädagogin bei pro familia in München und unterstützt als Dozentin die BLLV-Akademie, für die sie das Seminar "Sexualpädagogik in der Grundschule" hält. Bei pro familia berät sie Jungen und Mädchen, Erziehungsberechtigte, Lehreinnen und Lehrer und Erzieher zum Thema. Pro familia bietet zudem sexualpädagogische Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche an sowie Fortbildungen für Eltern, Lehrkräfte, Erzieherinnen und alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.