… erste Berührung mit dem Ganztag:
Erste Berührung mit dem Ganztag hatte ich 2008 noch als Schulleiterin einer Mittelschule, als er als Schulversuch ausgeschrieben wurde. Der ganze Tag rhythmisiert gestaltet mit einem hohen Anspruch an Pädagogik, an ganzheitliches Lernen – das wollten wir unbedingt. Mein bildungspolitisches Herz hat ganz hoch geschlagen, als sich Kinder aus dem Förderzentrum, der Grund-, Mittel- und Realschule in Arbeitsgruppen zusammengefunden haben. In der AG Zirkus hat der Zehntklässler den Erstklässler durch die Gegend gewirbelt, Förderschüler waren mit Mittel- und Realschülern zusammen in einer Theater-AG oder haben im Pausenhof gemeinsam ein Schiff gebaut. Das war gelebte Heterogenität und gelebte ganzheitliche Bildung – genau so würde ich mir das für ganz Bayern wünschen.
… über die Ganztagslandschaft in Bayern
Es hat sich eine Vielfalt an Modellen entwickelt. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist das positiv, weil wir mit der breiten Palette auch den unterschiedlichen Bedürfnissen der Eltern gerecht werden. Bildungspolitisch sehe ich das eher kritisch. Warum können wir es uns in Bayern denn nicht leisten, professionellste Bildung anzubieten – auch gerne mit Trägern und Externen zusammen? Das verstehe ich einfach nicht. Deshalb ist und bleibt der gebundene Ganztag für mich DAS pädagogische Modell. Er macht unseren Bildungsbegriff der ganzheitlichen Bildung möglich. Er wird den Kindern insofern gerecht, als dass wir sie in einer Schule begrüßen, die nicht nur Lernstätte, sondern auch Lebensraum ist.
… über ihre Sorge um die Zukunft des Gebundenen Ganztags
Mir wird angst und bang, wenn ich sehe, was gerade in der Mittelschule läuft. Ich selbst bin damals mit 19 zusätzlichen Lehrerstunden gestartet und die Gemeinde hat noch on top finanziert. Später waren es 12 Stunden, jetzt sind wir nur noch bei 9 zusätzlichen Stunden. Viele Kolleginnen und Kollegen in der Schulleitung sagen: Das ist nicht mehr der Ganztag, den ich mir vorgestellt habe. Das biete ich lieber nicht mehr an.
… über das neue Modell des „Kooperativen Ganztags“
Der „Kooperative Ganztag“ hat viele Vorteile – dass die Ferien abgedeckt sind und die Vor- und Nachbetreuung gewährleistet ist zum Beispiel. Aber der Kritikpunkt für mich ist, dass hier die Betreuung im Vordergrund steht und nicht die Bildung. Natürlich kann professionelle Bildung auch im Kooperativen Ganztag gelingen, aber ich würde immer den gebundenen Ganztag bevorzugen.
… über multiprofessionelle Teams im Ganztag
Wir brauchen die Kooperationen, wir wollen andere Professionalitäten in der Schule haben. Wir wollen Kommunikation auf Augenhöhe mit einem Träger, mit externen Experten und mit Menschen, die unsere Schule bereichern. Dieser professionelle Austausch ist eine unglaubliche Bereicherung. Mal eine andere Perspektive zu hören und ganz neue Seiten an einem Schüler, einer Schülerin festzustellen als die, die man selbst sieht – das ist toll. Aber dafür braucht es professionelle Rahmenbedingungen und Zeit. Es braucht Teambesprechungen mit allen, die mit einem Kind arbeiten, es braucht Supervisionen. Das geht nicht abends um 19.30 Uhr in einer whatsApp-Gruppe. Das kann man nicht alles on top leisten.
… über den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und ministerielle Zuständigkeiten
Wenn der Rechtsanspruch dem Ziel dient, dass Eltern Beruf und Familie gut vereinbaren können und die Idee des Ganztags ganzheitlich, professionell und kooperativ umgesetzt wird, dann macht es Sinn. Dafür brauchen wir zunächst ein klares Bekenntnis der Politik für einen höchst professionellen Ganztag, und dann muss man ihn anders ausstatten.
Heißt der Ganztagsanspruch aber, wir haken ab, was die Bundesregierung beschlossen hat, und wir machen das ohne hohen pädagogischen Anspruch – dann ist das schade. Die Kinder hätten etwas anderes verdient. Wenn die Staatsregierung diesen Weg geht, dann ist das nicht der Bildungsanspruch, den wir als BLLV haben und den ich persönlich gut finde. Aber es wäre zumindest ehrlich. Dann bekennt man sich dazu, dass es um Betreuung geht und nicht um Bildung. Dann packt man diesen - hoffentlich guten – Betreuungsanspruch in die Zuständigkeit des Sozialministeriums und das Kultusministerium ist raus, genauso wie die Schulleitung und die Schulfamilie vor Ort. Allerdings darf ich mich im Nachhinein dann nicht darüber beklagen, dass es hohen Bildungsansprüchen nicht gerecht wird.
… über ihren Wunsch für den schulischen Ganztag im Jahr 2030
Mein Wunsch ist, dass der Ganztag 2030 ein Bekenntnis der Staatsregierung zur Bildung hat und zur Kooperation mit Trägern. Höchste Professionalität – das heißt nicht in Ministerien gespalten zu denken, sondern miteinander denken, gemeinsam überlegen, wie wir diesen Kindern gerecht werden. Nicht nur am Vormittag, auch am Nachmittag, nicht nur im Bereich der Betreuung, sondern auch in der Bildung – und das geht halt nur zusammen.