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Bildungsqualität

Multiple Lehrkräfte

Wenn die erste Krankheitswelle rollt, bleibt Schulleitungen nicht selten nur eine Wahl: Klassen zusammenzulegen. Sie müssen ja eine Beaufsichtigung gewährleisten. An pädagogisch wertvollen Unterricht ist da kaum noch zu denken.

Der Fall

Als Schulleiter M. am Morgen kurz nach 7 Uhr in sein E-Mail-Postfach schaut, sieht er zwei Krankmeldungen von Klassenlehrkräften. Bis 7.45 Uhr kommen telefonisch zwei weitere hinzu: noch eine Klassenlehrerin und der Förderlehrer. Das Schulamt teilt bedauernd mit, dass keine Mobile Reserve zur Verfügung steht. Durch die Auflösung von Gruppen in Religion/ Ethik und einige zusätzliche Stunden für Teile des Kollegiums gelingt es, alle Stunden vertreten zu lassen – bis auf die vierte Stunde in der 7b. Der Schulleiter bittet daher die Klassenlehrerin der 7a, die Parallelklasse mitzuführen. Die Begeisterung der Kollegin hält sich in Grenzen. Sie gibt zu bedenken, dass dann in keiner der beiden Klassen „richtiger“ Unterricht stattfinden würde. Vor allem aber fragt sie, wie sie ihrer Aufsichtspflicht gerecht werden soll.

Die Rechtslage

Die Aufsichtspflicht gehört zu den wesentlichen Dienstpflichten einer Lehrkraft. Ziel ist es zum einen, die Schülerinnen und Schüler selbst vor Schaden zu bewahren, aber zum anderen auch zu verhindern, dass Dritten (= Mitschülern, schulfremden Personen et cetera) durch Schülerinnen und Schüler ein Schaden zugefügt wird. Die wesentlichen Regelungen finden sich in § 22 BaySchO sowie § 5 LDO. Demnach erstreckt sich die Aufsichtspflicht der Schuleunter anderem „auf die Zeit, in der die Schülerinnen und Schüler am Unterricht oder an sonstigen Schulveranstaltungenteilnehmen (…)“ (§ 22 Abs. 1 BaySchO). Über diesezeitliche Regelung hinaus richtet sie sich auch „nach dergeistigen und charakterlichen Reife der zu beaufsichtigenden Schülerinnen und Schüler.“ (§ 22 Abs. 2 BaySchO).Und grundsätzlich gilt: „Die Lehrkraft ist verpflichtet, beider Wahrnehmung der Aufsichtspflicht der Schule mitzuwirken.(…) Insbesondere hat die Lehrkraft spätestens von Beginn des Unterrichts an im Unterrichtsraum anwesend zusein und von diesem Zeitpunkt an während der gesamten Dauer des von ihr erteilten Unterrichts, erforderlichenfallsbis zum Weggang der Schülerinnen und Schüler, die Aufsichtzu führen.“ (§ 5 Abs. 1+3 LDO)

Die drei Grundprinzipien

Zur Bewertung der Aufsicht werden drei Grundprinzipien herangezogen. Demnach muss die Aufsicht a) kontinuierlich, b) präventiv und c) aktiv geführt werden. (Anm.: Die Reihung a-c stellt keine Wertung dar). a) „kontinuierlich“ meint nicht, dass man ständig alle Schülerinnen und Schüler unmittelbar im Blick hat, sondern dass in der Aufsichtsführung keine (längere) Unterbrechung eintreten darf. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich also stets beaufsichtigt fühlen. Sollte die Lehrkraft das Klassenzimmer aus zwingenden Gründen verlassen müssen, muss die Klasse jederzeit mit der Rückkehr rechnen. b) „präventiv“ verlangt von der Lehrkraft, dass sie umsichtig und vorausschauend agieren soll, um Gefahren für Schülerinnen und Schüler oder Dritte in etwa vorauszuahnen. In diese Kategorie fallen bereits Ermahnungen und Belehrungen, die gleichzeitig den fließenden Übergang zu c) „aktiv“ darstellen. Demnach reicht es nicht, nur das erwünschte Verhalten einzufordern. Der nächste Schritt ist, zu kontrollieren, inwieweit Anordnungen und Belehrungen befolgt werden, und bei absehbarem Fehlverhalten einzugreifen. Das Ausmaß der aktiven Aufsicht richtet sich nach dem Ausmaß der möglichen Gefahren.

Verantwortung der Schulleitung

Als Lehrkraft muss man also bei der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht der Schule mitwirken. „Dabei kann sie (Anm.:die Lehrkraft) auch zur Aufsicht außerhalb ihres Unterrichtsherangezogen werden.“ (§ 5 Abs. 1 LDO) Zuständig für die notwendige Einteilung der Lehrkräfte ist die Schulleitung. Diese Aufgabe wird ihr durch Verordnung zugewiesen: „Eine besondere Einteilung der Lehrkräfte zur Wahrnehmung der Aufsichtspflicht der Schule erfolgt durch die Schulleiterin oder den Schulleiter.“ (§ 5 Abs. 2 Satz 1 LDO). Der Schulleitungkommt damit eine besondere Verantwortung für die Beaufsichtigungzu, muss sie doch die Entstehung eines „aufsichtsfreien Raumes“ verhindern. Die Klasse 7b aus dem obigen Beispiel einfach mal ohne Beaufsichtigung zu lassen, wäre ein sogenanntes Organisationsverschulden, das, sollte tatsächlich etwas passieren, auch haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

Fazit

Die Kollegin aus der 7a hat Recht. Egal, wie sie es anstellt, „richtiger Unterricht“ wird in der vierten Stunde in den beiden 7. Klassen wohl nicht stattfinden. Schließlich muss sie in beiden Klassen irgendwie präsent sein, wird also von einem Raum zum anderen und zurück pendeln müssen oder fasst beide Klassen in einem ausreichend großen Raum wie der Aula zusammen. Das mag für sie als Lehrkraft unbefriedigend und auch stressig sein, dient aber dem Schutz von Schülerinnen und Schülern, da sie als Lehrkraft zur Wahrnehmung der Aufsicht verpflichtet ist.

Kommentar: Aufsicht ja, Beaufsichtigung nein!

„Schon wieder das Thema Aufsichtspflicht?“ werden sich einige vielleicht fragen. Das hatten wir doch erst in Ausgabe #3 2024 („Klassen früher nach Hause schicken“). Leider stellt die Aufsichtaber – neben den Kernaufgaben des Unterrichtens und des Erziehens – die wohl wichtigste Pflicht für Lehrerinnen undLehrer dar. Dies kommt nicht von ungefähr: Erleidet ein Kind einen körperlichen Schaden, während es der Schule anvertraut ist, können hohe Forderungen auf den Staat zukommen. Der schützt uns Lehrkräfte zunächst über die sogenannte Amtshaftung. Sollte sich jedoch herausstellen, dass die Aufsicht grobfahrlässig oder vorsätzlich verletzt wurde, kann der Staat die verantwortliche Person in Regress nehmen.

Dass Lehrkräfte also Aufsicht führen müssen, leuchtet aber nur insoweit ein, als es den Unterricht selbst, Schulveranstaltungen, Unterrichtsgänge und dergleichen betrifft. Wenn Aufsicht jedoch zu reiner Beaufsichtigung ausartet, weil hinten und vorne die Lehrkräfte fehlen, wird es absurd. Wir sind ausgebildet für Unterricht und Erziehung. Die Lehkräfteversorgung an den Schulen sicherzustellen, ist nicht unsere Aufgabe, sondern die der Politik. Es kann nicht angehen, dass jahre oder jahrzehntelange Versäumnisse jetzt auf dem Rücken von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern ausgetragen werden. Wir wollen unseren Job machen und nicht die Lücken stopfen, welche die Politik gerissen hat. Unterricht und Aufsicht sind die Pflichten der Lehrkraft; eine ausreichende Lehrkräfteversorgung zu sichern, ist Aufgabe des Dienstherrn.

» zur bayerischen schule #5: Lückenbüßer



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