In den vergangenen Jahren ist das Thema „Gendergerechte Sprache“ zunehmend Gegenstand einer intensiven und oftmals polarisierten Debatte geworden. Diese Diskussionen sind häufig von einer politisch-populistischen Dynamik geprägt und lassen dabei den wissenschaftlichen Diskurs, wie er in der Sprachwissenschaft geführt wird, in den Hintergrund treten. Zudem scheint diese Thematik andere bedeutsame Fragen, wie den bereits bestehenden und sich voraussichtlich verschärfenden Fachkräftemangel, zu überlagern und ihnen somit die notwendige Aufmerksamkeit zu entziehen. Es mangelt den Diskussionen oft an einer fundierten, einheitlichen Wissensbasis, was sie in ihrer Zielführung einschränkt.
Das Referat GLEICHBERECHTIGT! im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hat sich, unabhängig von politischen Entwicklungen, der Aufgabe gewidmet, relevante Informationen und Fakten aus der aktuellen sprachwissenschaftlichen Forschung zusammenzutragen. Lehrkräfte, als Experten in diesem Diskursfeld, sollten sich von polemischen Äußerungen distanzieren und auf fundierte Argumente zurückgreifen, um effektiv an solchen Debatten teilzunehmen.
Mehrheit der 18- bis 39-Jährigen für "das Gendern"
Eine von der Zeitung „Die Welt“ im Jahr 2020 in Auftrag gegebene Umfrage von Infratest Dimap ergab eine Mehrheit gegen „das Gendern“. Diese und ähnliche Umfragen werden jedoch kritisiert, da es an differenzierten Fragestellungen mangelt. Es stellt sich die Frage, ob die Ablehnung spezifisch auf bestimmte Aspekte des Genderns, wie den Glottisschlag oder die Verwendung von Binnen-I, Sternchen, Doppelpunkt und Unterstrich, die den Sprachfluss beeinflussen könnten, oder auf die generelle Einbeziehung aller Geschlechter in die Sprache bezogen ist. Eine Analyse der Altersstruktur der Befragten zeigt, dass insbesondere in der Altersgruppe der 18- bis 39-Jährigen eine knappe Mehrheit für das Gendern vorhanden ist.
Studien bestätigen: Sprache beeinflusst das Denken
Bereits 1984 veröffentlichte die Germanistin Luise F. Pusch die Textsammlung „Das Deutsche als Männersprache: Diagnose und Therapievorschläge“. Sie führte das Binnen-I als eine Alternative zu den häufig als umständlich empfundenen Doppelnennungen ein. Trotz des Zeitablaufs von fast vier Jahrzehnten existiert in Deutschland bis heute kein Lehrstuhl, der sich explizit mit der gendergerechten Sprache und ihrer Wirkung befasst. Dennoch bestätigen neuere empirische Studien die These, dass die Form der Sprache das Denken beeinflusst. Professorin Carolin Müller-Spitzer vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache weist auf empirische Belege für diesen Zusammenhang hin.
Eine Studie der Universität Freiburg zeigt, dass Probanden, denen eine Berufsbezeichnung im generischen Maskulinum präsentiert wurde, bei anschließend gezeigten Bildern einer Frau in diesem Beruf eine längere Reaktionszeit aufwiesen. Dies deutet darauf hin, dass das generische Maskulinum mental eher mit Männern assoziiert wird. Ähnliche Ergebnisse ergaben sich auch in Untersuchungen zur Verwendung von Doppelformen (wie „Lehrerinnen und Lehrer“).
Interessante Experimente zum Gendern
Ein Experiment von Prof. Müller-Spitzer untermauert diese Erkenntnisse. Probanden, die mit Texten konfrontiert wurden, die männliche Formen nutzten und mit weiblichen Fortsetzungen endeten, zeigten längere Reaktionszeiten. Dies wurde dahingehend interpretiert, dass durch die Verwendung der männlichen Form zunächst ein bestimmtes Bild im Kopf entstand, welches dann „umgedacht“ werden musste.
Ein illustratives Beispiel liefert ein YouTube-Video mit dem Titel „A Class That Turned Around Kids' Assumptions of Gender Roles!“. In diesem Experiment malten Kinder mehrheitlich Männer, basierend auf einer männlichen Form der Berufsbezeichnung. Die Überraschung der Kinder war groß, als weibliche Vertreterinnen der jeweiligen Berufe den Raum betraten. Dies verdeutlicht, wie Sprache die Wahrnehmung und Vorstellungen prägt.
Sprachhistorischer Wandel und gesellschaftliche Veränderungen
In der Diskussion um gendergerechte Sprache wird oft das Argument angeführt, dass der Glottisschlag und ähnliche sprachliche Formen den Redefluss stören könnten. Dem wird entgegnet, dass dies ebenso für das generische Maskulinum gelten kann, insbesondere in Kontexten, in denen offensichtlich weibliche Personen gemeint sind, aber ausschließlich die männliche Form verwendet wird.
Der sprachhistorische Wandel steht in enger Verbindung mit gesellschaftlichen Veränderungen. So wurde beispielsweise der Begriff „Gästin“ bereits in Grimms Wörterbuch von 1876 aufgeführt. In den Niederschriften der Grimms zu den Kinder- und Hausmärchen wurden neutrale Formulierungen statt rein männlicher verwendet, was die Historizität des Sprachwandels unterstreicht.
Sprache verändert sich fortwährend
Prof. Müller-Spitzer betont die Notwendigkeit, sich auf den Übergangsprozess zu einer gendergerechteren Sprache einzulassen und verschiedene sprachliche Varianten zuzulassen. Sprache verändert sich fortwährend und spiegelt oft den gesellschaftlichen Wandel wider. In der Diskussion um gendergerechte Sprache ist es daher wichtig, sachlich zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass sich die effektivsten Lösungen im Sprachgebrauch durchsetzen werden.
In Schulen wird derzeit gemäß den geltenden Rechtschreibregeln unterrichtet, die keine Genderzeichen vorsehen und stattdessen Doppelformen oder neutrale Begriffe empfehlen. Ziel ist es, Kindern einen sensiblen Umgang mit Sprache zu vermitteln, damit sich alle Schülerinnen und Schüler angesprochen fühlen.
Für weiterführende Informationen sei auf die Werke von Anja Steinhauer und Gabriele Diewald verwiesen, sowie auf die Websites genderleicht.de und geschicktgendern.de.
Text von Claudia Nußmann (NLLV)