Michaela Gerstner wurde am 5. September 1891 in Würzburg geboren, besuchte die höhere Töchterschule und danach die Lehrerbildungsanstalt Würzburg mit Abschluss Lehramt für Volksschulen (1912). Während ihrer dann folgenden beruflichen Tätigkeit absolvierte sie noch ein zweijähriges Studium an der Universität Erlangen im Fach Französisch. Mit diesem Studium war ein einjähriger Studienaufenthalt (1912/13) in Frankreich verbunden. Das Studium an der Universität Erlangen schloss sie mit der Staatsprüfung für Französisch und der Lehrbefähigung für höhere Schulen ab. Sie bildete sich jedoch auch noch später akademisch weiter und studierte an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg, an der sie die Lehrberechtigung für Berufs- und Fachschulen erwarb.
Michaela Gerstner (1891 –1963)
Michaela Gerstner setzte sich mit großem Nachdruck und herausragendem Engagement für die Eingliederung der Frauen in den bayerischen Lehrerverein ein. Auf der 54. Landesdelegiertenversammlung des BLLV wurde sie postum zum Ehrenmitglied ernannt.
Margit Heidecker (Vizepräsidentin des BLLV von 1984 bis 1990) erinnert sich an Michaela Gerstner.
1912 bis 1921 war sie Lehrerin an der Volksschule in Nürnberg, 1921 bis 1927 Lehrerin an Berufs- und Fachschulen in Nürnberg, von 1927 bis 1939 Dozentin am Nürnberger Seminar für Wirtschaftslehrerinnen und Kindergärtnerinnen, 1940 bis1945 Lehrerin an der Frauenfachschule Nürnberg und Lehrkraft für Erziehungslehre am Städtischen Mädchengymnasium an der Labenwolfstraße. Von 1945 bis zu ihrer Pensionierung war sie Direktorin, dann Oberstudiendirektorin an der Frauenfachschule Nürnberg (Strehler, 1959, 187f).
Durch zahlreiche eidessstattliche Erklärungen im Rahmen des Entnazifizierungsprozesses ist belegt, dass Michaela Gerstner während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihre kritische Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus beibehielt und zahlreichen wegen ihrer politischen Überzeugungen oder ihrer jüdischen Herkunft verfolgten Menschen beistand. Unmittelbar nach Ende des NS-Regimes wurde sie zur Leiterin der Frauenfachschule Nürnberg ernannt. Auch diese frühe Ernennung zeigt, dass sie politisch als unbelastet galt und dass sie auch während des Dritten Reiches ihre schon früh - vermutlich mindestens seit 1912 - ausgebildete demokratische Einstellung nicht aufgegeben hatte.
Größte Leistung
Bereits seit 1912 hat Michaela Gerstner sich offensichtlich in Lehrerinnenvereinigungen engagiert. Sie ist 1912 in den Bayerischen Lehrerinnenverein Nürnberg eingetreten. Archivalisch ist belegt, dass sie 1929 zu dessen 2. Vorsitzende gewählt worden ist. Diese Funktion hat sie aber wohl schon eine Anzahl Jahre vorher ausgeübt (Strehler, S. 188), ohne dass dieses Faktum archivalisch benannt war. 1927 bis 1933 hatte sie die Funktion der Schriftführerin im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins (ADLiV) wahrgenommen, ebenso hat sie das Amt der 1. Vorsitzendendes Landesverbands Bayern der Lehrerinnen an Berufs- und Fachschulen bekleidet. 1946–1962 war sie Leiterin des Frauenreferats des BLLV und ab 1956 auch 1. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Nürnberg-Fürther Frauenverbände (Strehler, S. 188).
Ihre verbandspolitisch sicher größte Leistung besteht darin, dass sie bereits 1945 bemüht war, die Lehrerinnen zu bewegen, auf die Gründung bzw. Wiedergründung eigener Lehrerinnenvereine zu verzichten und sich - in Bayern - dem Bayerischen Lehrerverein anzuschließen. Auf allen Ebenen der traditionellen Gliederung des BLV hat sie sich für dieses Ziel eingesetzt und Mitstreiterinnen gesucht und gefunden. Sie war 1945 Gründungsmitglied des Nürnberger Lehrervereins, 1946 Gründungsmitglied des Landesverbandes des BLV und 1947 Gründungsmitglied des Mittelfränkischen Kreis(heute: Bezirks-)lehrervereins (Liedtke 2014, 120). Ihr und ihren Mitstreiterinnen ist es zu verdanken, dass aus dem BLV ein BLLV wurde, seit 1951 in der Satzung des BLLV und des NLLV abgesichert.
Um ihr Engagement und ihre vereinspolitischen Ziele angemessen zu würdigen, ist noch einmal daran zu erinnern, dass Michaela Gerstner auch im Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein (ADLiV) aktiv war. Dieser beschloss auf seiner Versammlung in Detmold am 9./10. 1. 1947 sich mit gewerkschaftlich orientierten Lehrern zum Allgemeinen deutschen Lehrer-und Lehrerinnenverband (ADLLV) zusammenzuschließen (vgl. Heinzel, F.1990, 135). Die Bedingungen waren, dass die Lehrerinnen im Verbandsnamen erwähnt werden, dass der Vorstand durch drei Frauen erweitert wird und eine Vorsitzendenposition mit einer Frau besetzt wird. ( Heinzel, F. a. a. O. )
Motto: „das zweite L auf ewig“
Michaela Gerstner legte immer Wert darauf, dass das zweite L im Verbandsnamen des BLLV aus der Vereinigung des Lehrerinnenvereins mit dem Lehrerverein herrührt. So konnte sie trotz einer heftigen internen Diskussion und massiver Gegenkräfte innerhalb des Bayerischen Lehrervereins ausreichend Mandatsträger für eine Namensänderung des BLV gewinnen. Sie hat damit die Lehrerinnen, die vor der Nazidiktatur im Bayerischen Lehrerinnenverein aktiv waren, in den BLLV geführt. Ihr Motto „das zweite L auf ewig“ begriff sie auch als Programm für die Gleichberechtigung der Frauen auf allen Ebenen.
1949 wurde aus dem ADLLV die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände (AGDL), die im Wesentlichen aus dem BLLV (Bayern)und der GEW (andere Bundesländer) bestand. Am 12. und 13. November 1955 fand in Kassel eine gesonderte Frauenversammlung der AGDL statt. Thema: „Die Mitarbeit der Lehrerinnen aller Schulformen in der AGDL“, Hauptreferentin war Michaela Gerstner. Ihr Referat „Welche besonderen Anforderungen für Mädchen sind an den Oberbau der allgemeinbildenden Volksschulen zu stellen, um sie für das Berufsleben und die Aufgaben als Mutter und Hausfrau vorzubereiten?“ (Heinzel, a. a. O., 137), zeigt den damaligen Zeitgeist auch in den Lehrerorganisationen.
Wie viele Führungsfiguren der Lehrerinnen Ende des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts war Michaela Gerstner hoch gebildet. Diese Frauen entstammten in der Regel bürgerlichen Familien mit hohem Bildungsanspruch. Die Töchter erwarben häufig die Eingangsvoraussetzungen für den Besuch der Lehrerinnenseminare in den höheren Mädchen- oder Töchterschulen (Lyzeum u.ä.). Diese Schulen legten großen Wert auf literarische Bildung und Fremdsprachenunterricht, besonders in Französisch aber auch in Englisch.
Die männlichen Lehramtsbewerber für die Volksschulen kamen über die schwerpunktmäßig auf den Volksschullehrerberuf ausgerichteten Präparanden-Anstalten in die Lehrerseminare. Sie kamen mehrheitlich aus ländlichen Verhältnissen und waren Kinder von Handwerkern oder Bauern. So waren die Lehrerinnen oftsprachlich gewandter und umfassender gebildet als die damaligen Lehrer (vgl. Liedtke 2014, 116f).
Literatur
Heinzel, Friederike (1990): Frauen für Fraueninteressen. Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Frauenarbeit in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft seit 1947, München.
Liedtke, Max (2014): 150 Jahre BLLV Mittelfranken. Geschichte in Beispielen des Erinnerns, Übersehens, Vergessens, Verschweigens, Weißenburg.
Strehler, Adolf: Fünfzig Jahre Bildungsarbeit im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverein, München 1959
Anmerkung zur Quellenlage:
Eine Personalakte zu Michaela Gerstner war weder im Nürnberger Stadtarchiv noch im Nürnberger Staatsarchiv zu finden, ebenso nicht im Hauptstaatsarchiv München. Desgleichen gibt es keinen dokumentarischen Nachlass. Die biografischen Daten sind im wesentlichen der Kurzbiografie aus A. Strehler 1959, S. 187f. entnommen. Die dortigen Angaben dürfen insoweit als verlässlich gelten, als sich A. Strehler bei den Kurzbiografien der seinerzeit noch lebenden Führungspersonen des BLLV hochwahrscheinlich an konkreten Informationen, um die er die vorgestellten Personen gebeten hatte, orientiert hat. Angaben über die Mitgliedschaft und die Funktion Gerstners im Bezirkslehrerinnenverein Nürnberg (bis 1933) sind archivalisch belegt. Die lehrervereinsgeschichtlichen Aktivitäten Michaela Gerstners ab 1945 sind allesamt aus Protokollen oder aus Notizen in Schriften des NLV, des BLV bzw. des BLLV belegbar. Überdies sind die zentralen Aussagen durch Margit Heidecker, Nürnberg, 1984-1990 stellvertr. Präsidentin des BLLV, bezeugt. Sie war Schülerin von M. Gerstner und seit 1948 Kollegin.
Frauen im Lehrberuf: Dossier "Starke Frauen"
Ehrentafel: Ehrenmitglieder des BLLV