Es ist ein schmaler Grat: Die Realitäten an Schulen benennen, ohne denen, die eine Diskussion mit großer gesellschaftlicher Sprengkraft mit populistischen Argumenten eskalieren wollen, Futter zu liefern. Für einen ausgewogenen und exzellent recherchierten Bericht des Bayerischen Rundfunks unter dem Titel „Politische Konflikte an Schulen: ‚Wir sind ein Melting Pot‘“ stand auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann Rede und Antwort.
Einer der Auslöser der aktuellen Diskussion ist eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, nach der 64 Prozent der Deutschen glauben, dass Zuwanderung zu Problemen in Schulen führe. Allerdings sagen dies nur 37 Prozent der Schüler, die ja im Zweifel direkt betroffen sind. Fakt ist: Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ist in den letzten zehn Jahren von elf auf über 20 Prozent gestiegen: „Die Vielfalt ist krasser geworden, sodass Schule sich immer mehr mit unterschiedlichen politischen Kulturen beschäftigen muss", bestätigt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.
Der Welt anders begegnen
Entscheidend aus ihrer Sicht: Um zwischen Kulturen zu vermitteln, und bei Konflikten gegebenenfalls moderierend eingreifen zu können, brauchen Lehrerinnen und Lehrer fundierte Kenntnisse und Kompetenzen, die sie sich nicht mal eben nebenbei aneignen können:
„Empathie für andere Kulturen, für andere Religionen zu entwickeln – die brauchst du als Lehrerin, sonst kannst du mit den Kindern nicht umgehen. Das haben wir aber nicht gelernt. Auch weltpolitische Zusammenhänge, also politische Bildung der Lehrerinnen, sind nicht integraler Bestandteil unserer Ausbildung. Die Welt, so wie sie jetzt draußen ist und wie sie sich in der Schule spiegelt, muss von uns Lehrerinnen und Lehrern anders trainiert werden, wir müssen ihr anders begegnen. Dazu erlernen wir im Studium zu wenig Kompetenzen.“
Gegen die Aufregungskultur
Denn im ausgleichenden Umgang auch mit heftigen Konflikten durch Profis liegt eine große Chance. Das sieht auch Ulrich Kober so, Leiter des Programms Integration und Bildung bei der Bertelsmann-Stiftung, die die aktuelle Umfrage in Auftrag gegeben hat: "Eine Einwanderungsgesellschaft ist eine Konfliktgesellschaft, weil hier unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinanderprallen. Und gerade in dieser konstruktiven Aufarbeitung der Konflikte geschieht Integration."
Dass dies eine große Aufgabe ist, zeigen insbesondere Extremfälle, die auch entsprechende mediale Schockwellen auslösen: An einer Augsburger Schule malen Jugendliche ein Hakenkreuz in den Schnee und bedrohen einen Jugendlichen, der intervenieren will, mit dem Messer, drei Münchner Gymnasiasten leugnen in einer Whatsapp-Gruppe ihrer Jahrgangsstufe den Holocaust und der Rektor einer Mittelschule einer bayerischen Kreisstadt berichtet von türkischen Schülern oder Russlanddeutschen, die Syrer als Ausländer bezeichnen, die ihnen Arbeitsplätze und Wohnraum wegnähmen.
Schmelztiegel als Chance
Hinter manchen Konflikten stehen Vorurteile und Ressentiments, die durch eine Verrohung im Umgang miteinander, mit Sprache und mit politisch Andersdenkenden noch verstärkt werden, wie der BLLV in seinem Manifest HALTUNG ZÄHLT klargestellt hat. „Wir sind ein Melting Pot“, sagt der Mittelschul-Rektor der bayerischen Kreisstadt, der wegen seiner eigenen serbischen Wurzeln sogar schon von einer albanischen Schülerin als ihr gegenüber voreingenommen beschuldigt wurde – ein Relikt des Balkankonflikts. "Sie finden sehr viele Verschwörungstheorien, sie finden sehr rigide Religionsverständnisse", sagt der Islam- und Sozialwissenschaftler Götz Nordbruch und sieht ebenfalls den Bedarf, Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit politischen und religiösen Konflikten zu schulen.
Denn der Verweis des bayerischen Kultusministeriums auf das Gesamtkonzept für die politische Bildung an bayerischen Schulen reicht in manchen konkreten Problemsituationen nicht aus: "Mir macht schon ein bisschen Angst, wenn die Radikalisierung zunimmt und wenn es immer mehr Menschen gibt, die sich da an die Ränder stellen, dass wir in Schule damit auch mehr zu kämpfen haben", sagt Simone Fleischmann.
Miteinander sprechen statt übereinander
Dabei stellt sie klar: „Kinder, die sehr radikal auftreten, haben ein dringendes Bedürfnis danach, dass man sie sieht, dass man sie hört und dass man mit ihnen redet.“ Dafür müssten Kolleginnen und Kollegen aber professionell gerüstet sein. Dann sieht auch sie eine große Chance in der Begegnung der Kulturen und Religionen an Schulen, auch wenn sie konfliktträchtig ist: „Schule ist der gesellschaftliche Kitt und häufig die einzige Möglichkeit, um auch mit Kindern aus allen Schichten ins Gespräch zu kommen“, so die Präsidentin des BLLV.
Wie aus bewältigten Konflikten eine Haltung der Toleranz entstehen kann, zeigt eine Aussage einer muslimischen Schülerin, die sich über die Kritik einiger ihrer Mitschüler ereiferte, die ein multikulturell angelegtes Schulweihnachtsfest anprangerten: "Wenn unsere Schule sogar so tolerant ist, dass sie uns an muslimischen Feiertagen frei gibt, wieso können wir uns an diesem einen Tag nicht zusammenreißen und Weihnachten mitfeiern?"
» zum Bericht auf br24.de
Konflikte an Schulen
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In der Diskussion um Streit und Aggression an Schulen mit politischen oder religiösen Hintergründen weist BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann auf den Mangel an Vorbereitung von Lehrerinnen und Lehrern für einen professionellen Umgang hin.
Weitere Informationen
BLLV-Manifest: HALTUNG ZÄHLT
Dossier: Demokratiepädagogik
BLLV-Positionspapier: Demokratie in Unterricht und Schule leben
Ansatz des Kultusministeriums: Zum Gesamtkonzept Politische Bildung an bayerischen Schulen
Simone Fleischmann im Interview: „Persönlichkeiten bilden“