In der öffentlichen Wahrnehmung werde der Islam viel zu oft gleichgesetzt mit Terrorismus und Gewalt. Muslime in Deutschland sähen sich in der Folge unter Rechtfertigungsdruck. Dies könne in einer pluralistischen Gesellschaft aber kein Dauerzustand sein, befand Benjamin Idriz in seiner Bestandsaufnahme eingangs seines Vortrags. Eine Kultur der Wertschätzung und des respektvollen Umgangs sei daher alternativlos – und müsse genauso für Christen in muslimischen Ländern gelten.
Aus Sicht des Penzberger Imams wird der Islam von der Öffentlichkeit sehr einseitig als etwas Bedrohliches wahrgenommen – zu Unrecht, wie Idriz aufzuzeigen versuchte. Er stellte den universellen und flexiblen Charakter des Islam heraus, der auch nur deshalb zur Weltreligion werden konnte, weil er sich an jeden Ort und jede Zeit anpassen konnte und kann.
Idriz sieht im Zuge dessen die Muslime in Deutschland gefordert, sich stärker in der Gesellschaft zu engagieren, um das oft vorherrschende Misstrauen zu entkräften. Es sei kein Widerspruch, sich im Einklang mit Grundgesetz und Menschenrechten in Deutschland und Europa zu engagieren und überzeugter Muslim zu sein.
Zeitgemäße Interpretation des Islam nötig
Idriz wandte sich klar gegen jede Radikalisierung der Religion. Anhand einiger Suren aus dem Koran zeigte er exemplarisch auf, welche gemeinsamen Wurzeln und Überzeugungen Christentum, Judentum und Islam haben. Mit diesen Textstellen machte er deutlich, dass die Interpretation des Koran nicht den Extremisten überlassen werden dürfe – und dass eine zeitgemäße Interpretation des Islam ständig neu von ausgebildeten Theologen entwickelt werden müsse.
Scharia sei eigentlich ein Konzept aus dem 11. Jahrhundert, das fünf Grundwerte (Recht auf Leben, auf Glauben, auf Freiheit, auf Besitz, auf Würde) beinhalte, erläuterte der Geistliche. Der Begriff ‚Scharia‘ selbst tauche im Koran nur einmal auf (als Bund Gottes mit den Menschen), wecke aber in der westlichen Welt schlimme Assoziationen. Die Interpretation des Rechtssystems müsse aber – wie in anderen Religionen auch – lebendig sein und zeitgemäß interpretiert werden.
Frauen und Männer sind gleichberechtigt
Der Koran selbst sei in einer patriarchalischen Sprache geschrieben, die der damaligen Gesellschaft entsprach. Allerdings seien die Botschaften des Koran keinesfalls patriarchalisch, wie Idriz betonte. Einige Suren nennen Frauen vielmehr als Freunde und Geschwister der Männer. Dass Frauen in der islamischen Gesellschaft heutzutage ausgegrenzt würden sei nicht auf die Religion zurückzuführen, sondern eine weltliche Entwicklung, die Männer im Laufe der Jahrhunderte vorangetrieben hätten. Für Imam Idriz sind Frauen und Männer im Islam gleichberechtigt. Dies zu zeigen, dabei könnte der Islam in Europa eine Vorreiterrolle spielen. Selbst arabische Touristen betrachten den offenen, gleichberechtigten Umgang zwischen Männern und Frauen in der Penzberger Moschee oft mit Neid, berichtete Idriz.
Deutsche Universitäten bilden Imame aus In Deutschland gehören fast alle Moscheen zu einem Dachverband. Deren Imame werden dann meist von muslimischen Ländern entsandt und bezahlt. Auch wenn sie oft nicht auf Deutsch predigten, seien sie doch gut ausgebildet. Doch gerade unter den deutsch predigenden Imamen fänden sich viele Salafisten, warnte Idriz. Große Hoffnung setzt er auf die Ausbildung von muslimischen Theologen/innen an deutschen Universitäten. Diese wird bereits an sechs Standorten angeboten. Eine der ersten Universitäten war Erlangen. Der BLLV war entscheidend an der Einrichtung des Studiengangs beteiligt. Nicole Leber
Unser Gast: Imam Dr. Benjamin Idriz
Idriz, der 1972 in Mazedonien geboren wurde, entstammt einer viele Generationen zurückreichenden Familie von Imamen und Theologen und wurde schon im Alter von 11 Jahren “Hafiz” (Ehrentitel für jemanden, der den Koran vollständig auswendig beherrscht). Nach theologischen Studien in Syrien (Abitur), Frankreich (Bachelor) und Libanon (Magister) ist er seit 1995 Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg.
Die gemeinnützige Islamische Gemeinde Penzberg e.V. (IGP) besteht seit 1994 im bayerischen Voralpenland als unabhängige, multinationale, neutrale und offene religiöse Gemeinde, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Imam Idriz ist auch Vorsitzender des Vereins “Münchner Forum für Islam”, das sich als Ort der Begegnung und des Miteinanders für die ganze Stadtgesellschaft versteht. Er ist Autor des Buchs „Grüß Gott, Herr Imam – Eine Religion ist angekommen“. Benjamin Idriz spricht Türkisch, Albanisch, Bosnisch, Arabisch, Mazedonisch und Deutsch.