Wir Lehrerinnen und Lehrer werden in den nächsten Jahren mit grundlegenden Herausforderungen konfrontiert sein. Das ist meine Überzeugung und die vieler Experten. Unabhängig von der Schulart, an der wir unterrichten, werden wir Antworten finden müssen auf veränderte Sozialisations- und Lebensbedingungen unserer Kinder und auf eine veränderte Arbeitswelt.
Die traditionellen Inhalte tragen nur noch bedingt, Wissen hat eine völlig andere Bedeutung als noch vor 20 Jahren. Heute geht es neben den fachlichen Kompetenzen mehr denn je um pädagogische, psychologische und soziale Kompetenzen - an allen Schularten.
Die Bevölkerung will die Selektion
50 Jahre lang haben wir in der Bildungspolitik weitgehend ergebnislos eine Strukturdebatte geführt. Darüber haben wir die eigentlichen pädagogischen Fragen immer wieder aus den Augen verloren. Heute stelle ich fest: Die Systemfrage ist beantwortet. Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht ein selektives Schulsystem - ob wir das als Pädagogen wahrhaben wollen oder nicht. Wir brauchen die ideologisch geführte Strukturdiskussion aus dem 20. Jahrhundert nicht mehr.
Allerdings brauchen offensichtlich andere diese Strukturdiskussion. Ich höre folgendes: "Lehrer ist nicht gleich Lehrer". Und ich höre leider auch "Denen geht es nur um die Gemeinschaftsschule mit Einheitslehrer." Dieses Argument wird seit 1974 reflexartig wiederholt, wenn man den Widerspruch zwischen pädagogischen, schulischen Zielen und strukturellen Problemen unseres Schulsystems diskutiert wird. Übrigens auch umgekehrt. Auch Kritiker des Schulsystems tendieren dazu, andere, pragmatische Lösungen zu verwerfen und die Systemfrage in den Mittelpunkt zu stellen. Ich spiele da nicht mehr mit!
Lehrer ist Lehrer - ob an der Mittelschule oder am Gymnasium
Eine Wahrheit aber, die hinter dieser sogenannten ideologischen Diskussion steht, wird nicht benannt. Es soll der soziale Abstand zwischen Gymnasial- und Realschullehrern und Grund- und Mittelschullehrern bewahrt werden. Dieser Abstand aber ist angesichts der Herausforderungen in allen Schularten im 21. Jahrhundert nicht mehr zu rechtfertigen. Das verstehen auch immer mehr Eltern und Politiker.
Es ist nicht mehr vertretbar, die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen an bestimmten Schularten deutlich schlechter zu bezahlen und ihnen deutlich weniger Aufstiegsmöglichkeiten zuzugestehen. Ich kann niemanden erklären, warum die Lehrerin für die kleinen Kinder weniger verdient als der Lehrer für die großen Kinder.
Seit der Zeit der Aufklärung fühlen sich Gymnasiallehrer als Teil der bürgerlichen Oberschicht. Sie formten die Eliten der Gesellschaft, sie hatten über deren Kinder direkten Zugang in die Netzwerke der "Oberen". Deshalb ist das Gymnasium die Höhere Schule für die "Oberen" und die Volksschule die "niedere Bildung" für das Volk.
Kampfbegriffe wie "Einheitsschule" sind antiquiert
Das hat sich geändert. Begriffe wie "Einheitsschule" und "Einheitslehrer" sind politische Kampfbegriffe der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung um die Einführung einer gemeinsamen Grundschule. Diese Kampfbegriffe haben fast einhundert Jahre überdauert. Diese Diskussion ist antiquiert und da spiele ich nicht mehr mit.
Es geht um die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Schulen insgesamt. Lehrer brauchen ein gemeinsames Professionsverständnis unabhängig von der Schulart, an der sie unterrichten. Dieses Professionsverständnis trennt nicht, es führt uns zusammen in unserer herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung.