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Krisenpädagogik braucht sensible Profis

Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) fordert, Schulen sollen Kinder mit Bundeswehrvertretern auf Krisen und Kriege vorbereiten. BLLV-Präsidentin Fleischmann: Bei solchen Themen braucht es Profis, um zu erklären, Ängste zu nehmen und sensibel zu begleiten!

Update vom 24. März 2024 aus der BR-Sendung 1 Thema, 3 Köpfe "Zivilschutzübungen an Schulen: Ist Krieg das neue Normal?"

Die Bundesbildungsministerin hatte gefordert, dass Schulen mehr in die Verantwortung gezogen werden müssen und hat dabei auf Großbritannien verwiesen. Dort gehören Übungen für den Katastrophenfall an Schulen zum Alltag und "davon können wir lernen", so Stark-Watzinger. Denn ihrer Meinung nach müsse unsere Widerstandsfähigkeit gestärkt werden. Elternverbände reagieren sehr skeptisch auf den Vorschlag. Auch von der Opposition handelte sich die Bundesbildungsministerin für ihren Vorschlag  Kritik ein. In der BR-Sendung 1 Thema, 3 Köpfe "Zivilschutzübungen an Schulen: Ist Krieg das neue Normal?"  vom 24. März 2024 antwortete die BLLV-Präsidentin erneut auf den Vorstoß und sieht das Thema weiterhin skeptisch.

Schon 2003 hat die BLLV-Präsidentin ein Buch geschrieben mit dem Titel "Was tue ich, wenn...?" über schwierige Situationen im Grundschulalltag. Das Thema: Der Umgang mit Kindern in Ausnahmesituationen.

Untenstehend lesen Sie die Einlassungen von Simone Fleischmann in der Sendung im Wortlaut.

Das Wichtigste: "Darüber reden!"

"Wir müssen ganz gut nachdenken, was Kinder jetzt brauchen. Kinder sind eben Kinder und haben Ängste. Und Kinder müssen da sensibel herangeführt werden. Ich kann da nur eine Lösung sagen: Wir Lehrerinnen und Lehrer sind die Profis. Wir haben das gelernt, wir sind Pädagogen, wir sind oftmals auch Psychologen. Wir haben in der Schule gelernt, Herausforderungen der Gesellschaft anzunehmen, und das ist jetzt eine sehr große. Und wir müssen uns gut überlegen: Wer geht diese Aufgabe an? Wir haben Offenheit gegenüber jedem, der uns helfen will. Wir brauchen auch durchaus Vertreterinnen und Vertreter aus dem Bereich der Polizei, aus dem Bereich der Bundeswehr, Vertreterinnen und Bundeswehrvertreter. Die Frage ist nur, wie wir kooperieren und ob Bundeswehroffiziere in der jetzigen Situation uns hier unter die Arme greifen können und wie wir das machen. Und darüber können wir gerne reden. Weil ich glaube, eins ist ganz klar: Die Angst vor Krieg ist bei den Kindern da. Die Fragen um den Krieg, um die Katastrophen liegen auf der Straße und sind deswegen auch in der Schule. Also ja, wir müssen das miteinander thematisieren."

"...was wir wollen, ist, thematisieren, was Kinder bedrängt, alles, wovor sie Angst haben ... . Keiner von uns wird sagen alles ist gut. Aber ich bin dann kompetent mit einer Krise umzugehen, wenn ich überhaupt die Fakten kenne. Ich bin sehr bei Ihnen. Bildung heißt, ich muss verstehen, was in der Gesellschaft passiert. Ja, wir wollen die Kinder sensibilisieren. Wir wollen mit ihren Ängsten umgehen, diese thematisieren und keinesfalls unter die Decke kehren."

Über Kooperationen mit Institutionen und Schulen

"Wie schön ist es denn, wenn die Feuerwehr in der Schule ist? Wie schön ist es, wenn Kinder wissen, dass der Jugendpolizist mir hilft. Wir wollen Kinder fürs Leben bilden und erziehen. Welche drei Menschen kannst du gleich anrufen, wenn du in Sorge bist? Was bedeutet das eigentlich, eine Bundeswehr zu haben? Was machen die eigentlich? Wir müssen mal auseinander kriegen, wenn es jetzt darum geht. Wo haben wir in Krisen Stützen und Hilfen und das müssen Kinder wissen. Das bin ich absolut d'accord. Das machen wir auch als Schulen in Projektwochen oder aber, wie Sie sagten, in Rollenspielen oder aber einfach so im Unterricht, wenn man in der Zeitung was liest. Und man liest da über Unterstützungssysteme, die wir hier Gott sei Dank in Deutschland haben .... Es gibt Menschen, die dir helfen, wenn wir Krisen haben. Und diese Ängste den Kindern so zu nehmen, ist gut.

Über die Aussagen der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger man solle ein "unverkrampftes Verhältnis" zur Bundeswehr an deutschen Schulen haben.

"Wenn sie jetzt sagen, es kommt dieses unverkrampfte Verhältnis zur Bundeswehr, dann kommt natürlich ein Duktus rein, wo wir ganz große Ängste haben, dass irgendwas Verherrlichendes passiert oder wenn Bomben fallen. Also entschuldigen Sie mal, wir haben momentan an allen Schulen Migrationskinder. Wir haben leider Kinder, die Kriegserfahrungen und Fluchterfahrungen haben. ... und deswegen reagieren da manche sehr hektisch. Aber wir dürfen jetzt nicht das Kind mit dem Badewasser ausschütten und über Bomben fallen diskutieren und über Kriegsgeschehen, das morgen hier ist, weil dann ist es kontraproduktiv. ... das nimmt den Kindern nicht die Ängste."

"Wir müssen immer gut überlegen, über welche Altersgruppe sprechen wir? Über welche Schulart sprechen wir und welche Ansprachen brauchen wir vielleicht sogar ergänzend zu uns Lehrerinnen und Lehrern? Ich glaube, das unverkrampfte Verhältnis wäre, wenn die Schulen vor Ort mit ihrem Kollegium, mit den Schülern zusammen sehr partizipativ auch mit den Eltern entscheiden: Wie wollen wir die Kinder bilden, wie wollen wir ihnen Ängste vor Kriegen nehmen, wie wollen wir sie aufschlauen? Was bedeutet eigentlich Europa? Was bedeutet die NATO? Welche Gefahren drohen denn hier weltpolitisch? Und da kann man sehr gut miteinander. Das können wir auch bei anderen Herausforderungen überlegen, wie wollen wir es hier an unserer Schule machen? ... Ich glaube, das Wichtigste ist, man soll das nicht überstülpen. Und wenn es Widerstände gibt, ... dass es Abwehrreflexe bei Lehrkräften gibt, dann hilft es nichts, wenn von oben gesagt wird: Du musst! Sondern dann müssen wir gucken, dass wir als Schulleiterinnen und Schulleiter - ich war 15 Jahre selber eine an einer Grund- und Mittelschule in Bayern - dann muss man gucken: Ja, Hey Leute, was könnten die uns denn helfen? Oder warum wollen wir sie nicht? Also viel Eigenverantwortung. Das Thema ist sehr, sehr wichtig ... und ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir uns als Lehrerinnen und Lehrer gut überlegen, mit wem zusammen machen wir das..."


HINTERGRUND: Beitrag vom 18. März 2024

Wenig Verständnis erntet Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) für einen Vorstoß gegenüber Medienvertretern, dass an Schulen mehr Zivilschutzübungen stattfinden sollen, in denen Kinder auf Katastrophen und Kriege vorbereitet werden sollten. Dazu sollten auch Bundeswehroffiziere eingesetzt werden, die Kindern nahebringen sollten, was die Bundeswehr für das Land leiste.

Auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann stellt dazu im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung klar: „Das sehen wir sehr kritisch! Wir sehen die Aufgabe der Schulen darin, Kindern Ängste zu nehmen, Situationen bestmöglich zu erklären und sensibel mit ihnen zu besprechen.“ Dafür braucht es aber Profis in genau diesen Bereichen: „Wir müssen diese Themen mit geschulten Pädagoginnen und Pädagogen parieren“, macht Fleischmann deutlich.

Gerade bei schwierigen Themen ist pädagogische Expertise gefragt

Die BLLV-Präsidentin weist darauf hin, dass Schule das aktuelle Zeitgeschehen natürlich aufgreift und Kinder und Jugendliche in Ihren Fragen, Nöten und Ängsten begleitet: „Gesellschaftliche Herausforderungen wie Kriege Pandemie und Naturkatastrophen sind immer Aufgabe von Schule“, sagt Simone Fleischmann im Interview. Die ersten Bezugspersonen dafür seien immer die Klassenleiter, nicht Jugendoffiziere der Bundeswehr: „Sensibilität ist gefragt, Ängste fangen Pädagoginnen und Pädagogen auf“, so Fleischmann.

Ob es überhaupt gelingen könne, in diesen Zeiten bei Schülerinnen und Schülern ein, wie von Stark-Watzinger gefordert, „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ zu transportieren, stellt die BLLV-Präsidentin infrage: „Das könnte eher schwierig werden.“

Lehrkräfte können auf Ängste reagieren

Das sieht auch der Vorsitzende des BLLV-Dachverbands VBE (Verband Bildung und Erziehung), Gerhard Brand, so. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagt er:

„Viele dieser Herausforderungen lösen bei Kindern Angst aus. Hier ist es die Aufgabe der Lehrkräfte an den Schulen, den Kindern diese Angst zu nehmen, indem wir die Situationen bestmöglich erklären und aufarbeiten. Dazu ist es nicht notwendig, Vertreterinnen und Vertreter großer privatwirtschaftlicher Unternehmen, der Bundeswehr oder der Politik in die Schulen einzuladen.“

Zuvor hatte sich der BLLV bei einem Vorstoß der Staatsregierung, an Schulen über die Arbeit im öffentlichen Dienst beispielsweise bei Polizei und Bundeswehr zu informieren, grundsätzlich offen gezeigt, dafür aber klare Bedingungen formuliert: Wichtig sei dann eine klare Trennung zwischen politischer Bildung und Berufsorientierungsangeboten.

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