Wahlrecht zwischen Noten und einer individuellen, kompetenzbasierten Leistungsbeurteilung für alle Schüler/innen an Grundschulen
Nachfolgend senden wir Ihnen namens des Forum Bildungspolitik in Bayern und seiner 44
Mitgliedsorganisationen eine Petition mit der Bitte um Weiterleitung an den zuständigen Fachausschuss. Bitte informieren Sie uns vorab über den geplanten Termin der Behandlung und nennen uns die Namen der Berichterstatter/innen. Bitte teilen Sie uns mit dem Beschluss auch die Voten der einzelnen Fraktionen mit.
Petitum
Schülerinnen und Schüler an Grundschulen bzw. ihre Erziehungsberechtigten haben das Recht, zwischen Noten und einer individuellen, kompetenzbasierten Leistungs- beurteilung (nicht Persönlichkeitsgutachten) zu wählen.
Begründung
Ausgangspunkt dieser Petition ist die UN-Kinderrechtskonvention: das Kind als Rechtssubjekt und der Vorrang des Kindeswohls. Die Präambel der UN-Kinderrechtskonvention betrachtet Kinder als gleichwertige und gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft mit der allen Menschen innewohnenden Würde und der Gleichheit.
Leistungsbeurteilungen haben in unserem Schulsystem nicht nur unterschiedliche, sondern oft widersprüchliche Funktionen zu erfüllen: Als Beschreibungen orientieren sie über den individuellen Leistungsstand und über Möglichkeiten zu dessen gezielter Verbesserung; sie
sind damit ein pädagogisches Medium zur Förderung des Lernens. Als Bewertungen dienen sie der Disziplinierung und Selektion.
Eine demokratische Schule hat die Persönlichkeit der Schüler/innen zu achten. Diesem Anspruch werden weder Persönlichkeitsgutachten noch Ziffernnoten gerecht. Ziffernnoten als Belohnungs-/Bestrafungssystem sind einem modernen Bildungssystem nicht mehr angemessen, da es sachlichere Möglichkeiten der Rückmeldung an die Schülerinnen und Schüler über den individuellen Stand ihrer Lern- und Leistungsentwicklung gibt (vgl. die individuelle kompetenzbasierte Leistungsbeurteilung ohne Ziffernnoten im Zeugnismuster einer internationalen Schule in Bayern mit der Möglichkeit zur Ablegung des Internationalen Abiturs (IB= International Baccalaureat), Jahrgangsstufen 1 - 4, und in den „Informationen zum Entwicklungs- und Lernprozess“ IzEL des Montessori Landesverbands, ebenfalls Jahrgangsstufen 1 - 4, Auszüge).
Es gilt darüber hinaus, im Sinne der Bewusstseinsbildung für Kinderrechte die Akzeptanz für eine individuelle, kompetenzbasierte Leistungsbeurteilung zu verbreitern.
Vorteile eines Wahlrechts zwischen Noten und einer individuellen, kompetenzbasierten
Leistungsbeurteilung nach dem Vorbild der Zeugnismuster (vgl. Anlage):
- Stärkung von Kinderrechten im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention (KRK)
Das Recht, auf Antrag von Ziffernnoten befreit zu werden, ist geeignet, die Subjektstellung eines Kindes im Rahmen des Schulbesuchs zu stärken, da nicht mehr der Vergleich mit den Mitschüler/innen, sondern das Individuum im Vordergrund steht. - Kinderschutz ist Stärkung von Elternrechten (Art. 5 UN-KRK)
Kinderschutz geschieht an erster Stelle durch Stärkung von Elternrechten. Eltern können künftig individuell entscheiden, welche Bedeutung sie den Ziffernnoten für die Entwicklung ihres Kindes einräumen. In Verbindung mit einer Rechtsfolgenaufklärung können sie abwägen, welche Konsequenzen sie im Falle eines Verzichts auf Ziffernnoten tragen wollen.
Das Recht, auf Ziffernnoten zu verzichten, ist ein Beitrag zu einer neuen, kindeswohl- orientierten Rechtskultur im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention. Es ist darüber hinaus ein Baustein für die Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Schule. - Zusätzliches Angebot im staatlichen Bildungssystem
Viele Eltern bevorzugen Privatschulen, weil sie unter anderem eine individuelle kompetenzbasierte Leistungsbeurteilung ohne Ziffernnoten bevorzugen. Für diese Eltern könnte das staatliche Schulsystem ein zusätzliches Angebot bereithalten. - Individuelle Förderung
Ein Recht, auf Antrag von Ziffernnoten befreit zu werden, begünstigt die Öffnung der Schule für die Entwicklung einer inklusiven Didaktik und stärkt den Anspruch der Schule auf die individuelle Förderung aller Kinder. - Initialzündung
Für ein individuell ausgestaltetes Recht, auf Ziffernnoten zu verzichten, bedarf es keines gesellschaftlichen Konsenses. Das Wahlrecht könnte jedoch die Initialzündung für eine neue Qualität der Leistungsbeurteilung und -bewertung sein, die auch auf breiter gesellschaftlicher Ebene Anerkennung findet. - Fantasie für Inklusion
Ein Recht auf die Wahl einer neuen Form der Leistungsbewertung für das einzelne Kind kostet kein Geld und könnte ein Zwischenschritt auf dem Weg in ein inklusives Bildungssystem sein.
Der Ausschuss Bildung, Jugend und Sport des Bayerischen Landtags hat die Petition am 4.12.2014 beraten. Die CSU-Mehrheitsfraktion lehnte die Petition ab (§ 80,4 GO, "erledigt durch Erklärung der Staatsregierung"). SPD und Grüne stimmten für die Umsetzung der Petition ("Berücksichtigung", § 80,3 GO). Die FW stimmten dafür, die Petition der Staatsregierung als "Material" zu überweisen (§ 80,3 GO)