Kinder- und Jugendgeschichten zum Thema Neuanfänge
Im September geht es in den Buchtipps des Forums Lesen um schwierige Neuanfänge, die großen und kleinen Herausforderungen durch den Umzug der Familie und wie durch Schicksalsschläge Jugendträume zurückgestellt werden.
Dieser Sommer mit Jente
Von Enne Koens
- Verlag: Gerstenberg
- ISBN: 978-3-8369-6126-4
- Preis: 13 Euro
- Seiten: 192
- Altersempfehlung: ab 10 Jahren
Ein packend geschriebener, sehr empfehlenswerter Roman, der eine gute Portion „Lebenswelt“ im Gepäck hat - ein Jugendbuch, das es „in sich hat“.
Marie wird durch den Umzug ihrer Familie aus ihrem bisherigen Zuhause herausgerissen und muss in der neuen Umgebung und mit der neuen Freundin Jente zurechtkommen – eine große Herausforderung, wie sich herausstellt.
Inhalt:
Die fast 11-jährige Marie ist „stinksauer“: Ihre Eltern haben ein Haus in einer Neubausiedlung gekauft, die über hundert Kilometer von ihrem bisherigen Zuhause und damit von ihrer Freundin Zoe entfernt ist. Mit Zoe ist Marie befreundet, seit sie denken kann. Kaum im neuen Haus angekommen, lernt Marie die 13-jährige Jente kennen. Jente fasziniert Marie vom ersten Moment an. Sie fragt nicht lange, sondern nimmt Marie einfach mit sich, sie ist wild, laut, unbeherrscht und scheint vor nichts Angst zu haben. Immer wieder hat sie Anfälle voller ungezügeltem Zorn. Dennoch freundet Marie sich mit ihr an und bald geht Jente bei Marie ein und aus und übernachtet auch oft bei ihr.
Erste tiefe Risse bekommt die Freundschaft, als Jente eines Tages ihr geheimes Versteck, eine Kuhle, verborgen im hohen Gras, an eine Gruppe älterer Jungs verrät. Marie spürt mehr und mehr, dass ihr die Freundschaft mit Jente nicht guttut. Indem sie ihr vorwirft, ein Angsthase oder ein Baby zu sein, veranlasst Jente Marie ganz bewusst dazu, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht will und von denen sie weiß, dass sie richtig gefährlich sind. Es dauert etliche Monate, bis Marie es schafft, sich mit einem klaren „Nein“ vor Jentes Übergriffen und Zumutungen zu schützen.
Bewertung:
Ein Jugendbuch, das es „in sich hat“! Sehr feinfühlig und authentisch beschreibt die Autorin die innere Entwicklung ihrer Protagonistin, die durch den Umzug nicht nur aus dem behüteten Kinderleben mit ihrer besten Freundin Zoe herausgerissen wird, sondern, selbst am Beginn der Pubertät stehend, durch Jente auch mit einer ganz anderen Art von Beziehung konfrontiert wird. Sie ist hin und hergerissen zwischen Staunen und Faszination einerseits und immer größerer Ablehnung andererseits - eine existenzielle Erfahrung, wie sie die jungen Leserinnen durchaus in ihrer Realität erleben können. Man erlebt mit, wie Marie von Jente manipuliert wird, wie sich eine Situation an die andere reiht, in der sie von Jente unter Druck gesetzt und so inakzeptabel behandelt wird, dass es einem beim Lesen mitunter fast den Atem nimmt.
„Wenn man nicht mehr verliebt ist, macht man Schluss. Aber was macht man, wenn man keine Freundin mehr sein will?“ Das fragt sich Marie am Ende dieses turbulenten Sommers. Jente hat den Bogen überspannt und Marie hat leidvoll erfahren, dass sie, um sich zu schützen, Abstand von Jente bekommen muss. Der Leser merkt, wie gewaltig Jentes Einfluss in dieser toxischen Beziehung ist. Doch gerade noch rechtzeitig wird Marie klar, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und „Nein“ sagen muss, wie es ihr auch ihr Vater in einem ihrer intensiven Gespräche vermittelt hat. Dies ist etwas, das junge Menschen möglicherweise in ihrem eigenen Leben lernen müssen und hier bei der Lektüre antizipieren können.
Ein packend geschriebener, sehr empfehlenswerter Roman, der eine gute Portion „Lebenswelt“ im Gepäck hat.
So federleicht wie meine Träume
Von Mariko Turk
- Verlag: cbj Jugendbuch
- ISBN: 978-3- 570166147
- Preis: 20 Euro
- Seiten: 395
- Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Nach einer schweren Beinverletzung muss die begeisterte und talentierte Tänzerin Alina ihren Traum von einer Karriere als Primaballerina begraben. Erst ganz allmählich lernt Alina, ihr neues Leben anzunehmen.
Mit seinen bis in die Nebenfiguren hinein differenzierten Charakterzeichnungen hebt sich der Roman erfreulich von vielen anderen Highschool-Geschichten ab und überzeugt sowohl als Geschichte über einen schwierigen Neuanfang als auch als Geschichte von Freundschaft und erster Liebe.
Inhalt
Nach einer schweren Beinverletzung muss die begeisterte und talentierte Tänzerin Alina ihren Traum von einer Ausbildung an der American Ballet School und von einer Karriere als Primaballerina begraben. Erst als ihre neue Freundin Margot sie dazu überredet, beim Schulmusical teilzunehmen und sie tatsächlich eine Rolle im Stück erhält, beginnt sie allmählich wieder am Leben um sich herum teilzunehmen und schließt neue Freundschaften, u.a. auch mit Jude, dem gutaussehenden und einfühlsamen Nachbarsjungen, den sie bisher – voll aufs Ballett konzentriert – nicht wahrgenommen hat.
Den Kontakt zu ihrer früheren Ballettfreundin Colleen jedoch hat sie abgebrochen, schmerzt es sie doch zu sehr, deren Erfolge mitanzusehen. Auch im Umgang mit ihrer ebenfalls tanzbegeisterten Schwester und ihren neuen Freunden kommt es immer wieder zu Spannungen, wenn sie frustriert über das, was sie verloren hat, von Neidgefühlen überwältigt wütend um sich schlägt.
Erst ganz allmählich lernt Alina, ihr neues Leben anzunehmen und kann sich auf diese Weise auch mit den Schattenseiten ihrer früheren Ballettausbildung auseinandersetzen und sich für eine Beziehung zu Jude öffnen.
Bewertung
Einfühlsam beschreibt die Autorin aus der Ich-Perspektive das emotionale Auf und Ab der jugendlichen Protagonistin, die nach dem Zerplatzen ihrer Träume wieder Fuß zu fassen versucht. Ihr Schwanken zwischen Phasen der Depression, in denen sie sich zurückzieht, und ihren Versuchen, durch die Teilnahme im Musical-Projekt auf andere zuzugehen und, wenn auch in anderer Form, wieder tanzen zu können, wird psychologisch glaubwürdig dargestellt. Gerade auch durch die emotionale Unterstützung von Jude, der einfühlsam und mit viel Verständnis auf ihre Stimmungsschwankungen reagiert, gelingt es Alina zudem, sich kritisch mit den Schattenseiten ihrer bisherigen Tanzausbildung auseinanderzusetzen. Sie lernt den systemischen Rassismus, den sie als asiatisch-stämmige Amerikanerin ebenso wie die Afroamerikanerin Colleen in ihrer Ballettschule erleben musste, als solchen zu erkennen und sich aktiv dagegen zu stellen.
Mit seinen bis in die Nebenfiguren hinein differenzierten Charakterzeichnungen hebt sich der Roman gerade auch durch die Thematisierung auch dieser Probleme erfreulich von vielen anderen Highschool-Geschichten ab und überzeugt sowohl als Geschichte über einen schwierigen Neuanfang als auch als Geschichte von Freundschaft und erster Liebe. Insgesamt kann der auch sprachlich ansprechend gestaltete Roman daher als sehr lesenswert nur wärmstens empfohlen werden.