Lehrer stecken in einem Dilemma: Sie wollen ihre Schüler so gut wie möglich unterrichten, können das aber oft nicht, weil das die Rahmenbedingungen verhindern. Wie kann man diesen Widerspruch aushalten?
Welzien-Schiemann: Dazu muss ich mich stärken, indem ich mir einerseits selbst helfe, meine persönlichen Bedürfnisse anerkenne und nach außen vertrete. Andererseits sollte ich akzeptieren, was ich nicht ändern kann.
Das klingt ja deprimierend.
Finde ich nicht. Ich muss mich fragen, was ich an den äußeren Umständen verändern kann, wo es Spielräume für mich gibt. Wenn ich daran nichts verändern kann, sollte ich eine andere innere Einstellung dazu finden. Diese hängt oft mit unbewussten Denkmustern zusammen.
Was steckt hinter diesen unbewussten Annahmen?
Das sind innere Haltungen, die wir in der Kindheit erlernt und nie wirklich hinterfragt haben. Etwa die Angst, nicht perfekt zu sein. Dann bewerten wir selbst bestimmte Umstände negativ, obwohl diese ein Außenstehender vielleicht ganz anders wahrnimmt. Ein Beispiel: In meiner Klasse darf es nicht zu laut sein, wenn der Schulleiter draußen vorbeigeht. Dahinter könnte die Angst stecken, dass der Schulleiter glauben könnte, ich hätte die Klasse nicht im Griff und sei unfähig. Das muss aber nicht so sein. Der Schulleiter könnte auch denken „Was ist hier los? Was geschieht hier Spannendes, dass die Kinder so begeistert sind? Das interessiert mich!“ und hält mich in Wirklichkeit gar nicht für unfähig.
Es ist also alles immer eine Frage des Standpunkts?
Alles natürlich nicht. Doch häufig projiziert man seine Gedanken und unbewussten Haltungen auf andere.
Den Druck mache ich mir also selbst?
Zumindest einen Teil davon. Ob ich etwas als schwierig oder belastend empfinde, hat auch mit mir selbst zu tun. Zu erkennen, welchen Teil des Drucks ich selbst erzeuge und welcher Anteil von außen stammt, ist aber schwer.
Wie kann ich diesen unbewussten Einstellungen auf die Spur kommen?
Indem ich sie reflektiere und mir bewusst mache. Hilfreich wäre es, ein Tagebuch zu führen, um darin meine Gefühle zu einer Situation zu erforschen und mich zu fragen, ob ich dieses Gefühl auch von anderen Situationen kenne. Ich kann auch mit einem Freund oder in einem Seminar wie hier beim BLLV darüber sprechen. Zu erleben, wie andere mit der gleichen Situation umgehen, bewirkt, dass ich mich nicht so allein damit fühle. Schon das kann äußerst bereichernd sein. Zu erkennen, dass es verschiedene Sichtweisen gibt, kann mir helfen, etwas verändern.
Es geht also um Selbstreflexion?
Genau. Selbstreflexion bedeutet, sich innerlich zweizuteilen in eine Seite, die fühlt und eine, die neutral darauf schaut, um so mit einer anderen Perspektive auf die Dinge zu blicken.
Belastende innere Einstellungen können krank machen. Wie drückt sich das aus?
In psychosomatisch bedingten Symptomen. Der Stützapparat ist häufig betroffen, also Muskeln, Gelenke, Knochen, der Rücken kann schmerzen, ich bekomme Herzrhythmusstörungen, Migräne, Schlafstörungen, Bluthochdruck oder schlimmstenfalls sogar eine Depression, etwa in Form eines Burn-Out-Syndroms.
Dass es uns immer schwerer fällt, die innere Balance zu finden, hat doch aber auch mit den steigenden Anforderungen im Beruf zu tun.
Das stimmt. Lehrer befinden sich hier in einer Sandwich-Position. Sie müssen sich gegenüber der Schulaufsicht rechtfertigen und alles dokumentieren. In Bayern ist dieser Zwang besonders groß. Auch die Eltern werden immer anspruchsvoller. Das engt den persönlichen Spielraum ein. Dabei trägt gerade die Möglichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten, wesentlich zur Berufszufriedenheit und damit zur Entspannung bei.
Reicht es aus, nur meine Einstellung zu den Umständen ändern?
Nicht in jedem Fall. Manchmal müssen sowohl äußere Zwänge minimiert als auch die innere Bewertung verändert werden. Um meine Einstellung zu verändern, brauche ich eine innere Weite, die aber gerade im erschöpften Zustand nur noch schwer möglich ist, und ich brauche Selbstbewusstsein. Grenzen zu ziehen und mögliche Spielräume auszuloten und bei Vorgesetzten oder Eltern einzufordern, erfordert Mut. Dazu muss ich aber auch die Möglichkeit haben, abzuschalten und Kraft zu tanken. Je ausgebrannter man sich fühlt, desto ohnmächtiger und hilfloser fühlt man sich.
Also muss ich mir den Ausgleich im Privatleben suchen?
Ja, aber das Privatleben allein kann nicht alles ausgleichen. Auch da muss man genau hinschauen. Wie steht es mit meinen Beziehungen? Gebe ich nur oder bekomme ich von meinen Freunden oder meinem Partner auch Unterstützung? Kann ich mit ihnen auch Freude leben? Wenn man das Gefühl hat, über seine Grenzen hinaus zu gehen, betrifft das häufig Privatleben und Beruf. Bei fortgeschrittener Erschöpfung ziehen sich die Betroffenen meist von allen anderen Kontakten zurück.
Wie kann ich denn dann die innere Balance finden?
Mein Leben und mein Beruf haben sicher auch positive Seiten. Deren sollte ich mir stärker bewusst werden. Ich würde mir Zeit nehmen, um mich in Ruhe daran zu erinnern, was mir früher an meiner Arbeit Freude gemacht hat, was das Gute daran ist, dass ich genau diesen Beruf habe. Macht mir etwas überhaupt keine Freude, sollte ich auch nicht so tun als ob, sondern mit dem Vorgesetzten oder Kollegen aushandeln, was unbedingt nötig ist und wie ich mich anderweitig einbringen kann. Zudem sollte ich meine persönlichen Grenzen akzeptieren und anderen gegenüber vertreten, denn es muss ja auch Zeit bleiben für Familie, Freunde und Hobbys. Sie sind wichtige Faktoren, um die persönliche Balance zu erreichen.
*Zur Person: Barbara Welzien-Schiemann war als Realschullehrerin tätig, bevor sie in die Lehrerfortbildung wechselte. Seit zehn Jahren arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis als Therapeutin.