Diese Zahlen erschrecken: Jedes fünfte Kind ist psychisch belastet, fast jeder sechste Schüler wird gemobbt, 13% sind in Bayern armutsgefährdet (BLLV-Exzerpt zu aktuell relevanten Studien). Es wäre leicht, die Liste an deprimierenden Zahlen weiterzuführen – an denen mangelt es nicht. „Doch was machen wir jetzt mit Zahlen?“ fragt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann beim Pressegespräch in die Runde der geladenen Journalisten. Sie gibt zu bedenken: „Hinter jeder einzelnen Zahl steckt ein Kind. Und wir Lehrer wollen keines verlieren.“
Wir dürfen kein Kind verlieren
Lehrer bekommen mit, wenn Schülerinnen und Schüler Probleme haben. Sie leiden selber darunter, wenn sie ihnen in schwierigen Situationen nicht gerecht werden können. Simone Fleischmann wirft deshalb die Frage auf: Wie muss sich Schule ändern, damit Kinder mit psychischen Problemen besser aufgefangen werden können? Denn die Zahl der Kinder mit psychischen Auffälligkeiten wächst, wie Experte Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität München, bestätigt: „Psychische Krankheiten sind kein Minderheitenproblem“.
Je nach Alter der Schüler, Geschlecht, Schulart und sozioökonomischem Hintergrund treten bestimmte psychische Krankheiten besonders gehäuft auf. Typischerweise kämpfen im Grundschulalter Kinder mit ADHS und Verhaltensauffälligkeiten, in den fortführenden Schulen mit Depressionen und Angststörungen. Besonders bei den Übergängen kämpfen Kinder mit psychischen Problemen: Bei der Einschulung in die Grundschule und beim Übergang von Grundschule zu weiterführenden Schulen.
Psychische Krankheiten sind kein Minderheitenproblem
Professor Dr. Schulte-Körne wünscht sich deshalb bessere Kooperation und einen einfacheren Wissensfluss zwischen den jungen Patienten, den behandelnden Ärzten und Psychologen sowie der Schule. Erst wenn alle wichtigen Beteiligten – selbstverständlich inklusive Elternhaus – auf demselben Stand sind, kann das betroffene Kind optimal versorgt werden. Dieser Informationsaustausch soll laut Simone Fleischmann in entsprechend eingerichteten „Teamzeiten“ stattfinden.
Fleischmann zufolge können Lehrer zukünftig nur mit multiprofessionellen Teams allen Kindern gerecht werden. Das Bild eines Lehrers, der sich alleine um die Bedürfnisse von 30 Kindern kümmert, habe ausgedient. Vielmehr benötige es mehr Lehrer pro Klasse und größere multiprofessionelle Teams, etwa von Schulpsychologen.
Auch in der Lehrerbildung müssen psychische Krankheiten bereits angehenden Lehrern vermittelt werden. Denn Prof. Dr. Schulte-Körne berichtet, dass psychische Krankheiten immer noch mit einem starken Stigma behaftet seien, weil viele Menschen immer noch zu wenig darüber wüssten.
Wir müssen Schule neu denken
Die Gesellschaft, in der Kinder aufwachsen, befindet sich im Wandel. Altgediente Familienstrukturen brechen auf. Nur eines bleibt immer gleich: die Schulstruktur. Simone Fleischmann plädiert deshalb dafür, dass Schule ganz neu gedacht werden muss: „Bitte nicht auf Strukturen beharren, die vor Jahrzehnten einmal aufgestellt wurden. Denn wir wissen heute vieles besser.“