Pressemitteilung/München - Auf einer Gedenkfeier im NS-Dokumentationszentrum München haben gestern Abend Gäste aus ganz Bayern an 160 ermordete Lehrerinnen und Lehrer jüdischer Herkunft aus Bayern erinnert. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, sprach in seiner Gedenkrede über die Herausforderungen einer modernen Erinnerungskultur. Schüler/innen des Luisengymnasiums München lasen die Namen der Opfer vor. Im Rahmen der Gedenkfeier wurden auch Projekte von sechs Schulen aus Bayern vorgestellt, die sich in unterschiedlicher Weise mit Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung jüdischer Pädagogen und Schüler während der Nazizeit auseinandersetzen. Initiiert wurde die Veranstaltung vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum München und dem Verein „Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ Dachau“ zwei Tage vor dem Holocaustgedenktag. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann bedankte sich bei den Lehrerinnen und Lehrern, „die sich heute noch intensiv für die Erinnerung an diese dunkle Zeit in der Geschichte Deutschlands einsetzen und ihre Schüler durch außergewöhnliche Projekte für die Thematik der Ausgrenzung und des Antisemitismus sensibilisieren.“
„Auch über 70 Jahre nach dem Ende des Naziregimes müssen wir uns dieser schrecklichen Zeit der deutschen Geschichte stellen“, sagte Fleischmann. „Dies ist und bleibt Aufgabe der Schulen, auch wenn der zeitliche Abstand für unsere Schülerinnen und Schüler den Zugang zum Holocaust schwieriger macht.“ Weil es immer weniger Zeitzeugen geben würde, müsse die Auseinandersetzung mit dem Holocaust heute anders aussehen als früher, betonte sie. Viele Betroffene hätten in der Vergangenheit immer wieder Klassen besucht und von ihren persönlichen Leidensgeschichten erzählt - das könne heute nur noch vereinzelt stattfinden. „Wir brauchen daher neue Formen der Erinnerung.“ Dass viele Schulen nach solchen Wegen suchen würden, verdiene Anerkennung und müsse entsprechend gewürdigt werden.
Vor der Gedenkfeier hatten Schüler/innen und Lehrer/innen verschiedener Schulen aus Bayern ihre Projekte einem interessierten Publikum präsentiert. In der Fortbildung, die unter dem Motto „Die Zukunft des Erinnerns“ stand, wurden schulische Initiativen wie die Erarbeitung von Biografien verfolgter jüdischer Bürger/innen, die Gestaltung eines Audioguides sowie Ortsführungen von Schüler/innen zur regionalen jüdischen Geschichte vorgestellt. Auf dem Programm standen auch eine szenische Lesung, ein Theaterstück und eine Ausstellung.
Die Auseinandersetzung mit diesem ernsten Thema sei alles andere als einfach. Dennoch gebe es spannende und bewegende Formen der Aufarbeitung, so Fleischmann. Ein Ziel der Veranstaltung vom Donnerstag sei es daher auch gewesen, diese Bemühungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Diese Art der Auseinandersetzung und Konfrontation mit der Geschichte an deutschen Schulen sei aber ohne das besondere Engagement vieler Lehrerinnen und Lehrer nicht möglich, betonte sie. Mit einem „formalen Abarbeiten“ von Lehrplaninhalten sei es dabei nicht getan. Schülerinnen und Schüler müssten das Unrecht spüren können - und das gelinge am besten mit Hilfe von Projekten, in denen die Formen der Ausgrenzung und Gewalt sichtbar gemacht werden würden. Die Darstellung von Einzelschicksalen spiele hierbei eine besondere Rolle. Schüler/innen würden an solchen Schicksalen nachempfinden können, was Ausgrenzung, Verfolgung bis hin zur Ermordung bedeute. „Der Transfer in unsere Zeit fällt dann angesichts der Zunahme von fremdenfeindlichen und antisemitischen Vorfällen nicht mehr schwer.“
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, unterstrich in seiner Rede die Bedeutung einer modernen Erinnerungskultur. „Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende stehen wir in unserer multikulturellen Gesellschaft vor der Aufgabe, eine moderne Gedenkkultur zu entwickeln, die auf die Fragen der jungen Generation eine Antwort gibt. Zeitzeugen geben mit ihren Berichten den abstrakten Daten und Zahlen ein Gesicht. Ihre Geschichten berühren zutiefst und schaffen Empathie. Leider sinkt die Zahl der Zeitzeugen dramatisch. Daher müssen wir neue Wege des Erinnerns finden. Eine moderne Gedenkkultur sollte auf gesellschaftliche Veränderungen eingehen, sie darf jedoch nicht dem Zeitgeist unterliegen.“
Hintergrund:
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten in Bayern nach Recherchen des BLLV ca. 800 bis 900 Pädagogen jüdischen Glaubens. Sie unterrichteten an Gymnasien, Oberrealschulen, jüdischen Volksschulen und als Religionslehrer an allen Schularten. Dem BLLV sind nach mehrjähriger Archivrecherche etwa 800 Lehrerinnen und Lehrer mit Namen und Kurzbiografien bekannt, darunter 160 Namen von ermordeten jüdischen Lehrerinnen und Lehrern aus Bayern.
Jüdische Lehrkräfte waren selbstverständlicher Teil des kulturellen Lebens in Bayern. Neben München, Augsburg, Nürnberg, Fürth, Regensburg und Würzburg gab es zahlreiche kleine jüdische Landgemeinden. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde diese Kultur vernichtet, die Lehrerschaft vertrieben, deportiert und ermordet.
Auch die bayerischen Lehrervereine haben in dieser Zeit Schuld auf sich geladen. Als Berufsverband sieht sich der BLLV deshalb in der Verantwortung, das Gedenken an Leben und Wirken der jüdischen Kolleginnen und Kollegen in Bayern wach zu halten. So macht ein vom BLLV vor sechs Jahren ins Leben gerufene Biografie-Projekt an Schulen spürbar, welche Auswirkungen Ausgrenzung, Diskriminierung, Verfolgung, Terror, Gewalt, Gettoisierung oder Rassismus auf den Einzelnen haben können.
Andrea Schwarz, BLLV-Pressereferentin M.A. Tel: 089/ 72 100 129, presse (at) bllv.de