11_09_20_akzente_bs_5.jpg
Akzente - 5/2022 Themen
Akzente Schulleitung

Führungskultur? Widerspruch!

In dieser krisenhaften Zeit wird auf einmal das Prinzip Eigenverantwortung propagiert. Selbst Personalentscheidungen werden vor Ort getroffen. Aber geht es da vielleicht doch mehr um das Abschieben von Verantwortung als um eine wirklich neue Führungskultur?

Es ist schon ein Widerspruch: Führung an den Schulen soll mehr und mehr geteilt werden. Mitwirkung ist angesagt, Mitgestaltung. Im Moment scheint es gar nicht anders zu gehen: Lehrermangel, Pandemie und Integration ukrainischer Flüchtlinge – das sind drei Krisen auf einmal. Und die Lösung heißt plötzlich: Innovationskraft, Management und Führungskraft vor Ort. Das Gesamtset­ting bleibt aber das alte: Das Bildungssystem ist hierarchisch aufgebaut und dementsprechend autoritär. Führung vor Ort mit Partizipation in einem Top-down-System – wie soll das gehen?

Was von oben nach unten kommt, sind zum Beispiel die berüchtigten Kultusministeriellen Schreiben. Ansagen, die gerne mal am Freitag eintreffen und am Montag umgesetzt sein sollen. So lief lange Zeit das Corona-Management. Gleichzeitig ist es auf einmal zum Beispiel Aufgabe der Schulleitungen und der Schulverwaltung vor Ort geworden, Personal zu rekrutieren. Das war noch vor ein paar Jahren undenkbar. Ein guter Schul­leiter ist auf einmal einer, der vor Ort alles managt.

Hauruck-Paradigmenwechsel?

Es wäre schon erstaunlich, wenn das, was in der Unterneh­menswelt „Change-Management“ heißt, wenn der Wechsel von einer überholten Betriebskultur zu einer neuen im Schul­system quasi über Nacht implementiert worden wäre. Die Erfahrung lehrt: Ein Change-Management-Prozess kann in Krisen helfen, ja, aber wenn er unvermittelt einsetzt, wenn er nicht gemeinsam erarbeitet wird, ist es kein gesunder Prozess. Dann gibt es Widerspruch.

Viele Beamtinnen und Beamte haben verinnerlicht, dass es darauf ankommt, ihre Pflicht zu erfüllen, Vorgaben durch- zureichen, nicht aufzumucken. Wie soll da auf einmal moder-nes Führungsmanagement, shared Leadership und delegierte Verantwortung gelingen? Also doch lieber zurück zum alten Stil? Wieder abwarten, was von oben kommt? Als treue Staats­diener erfüllen, was sich die Menschen in den höheren Etagen überlegt haben, fern der täglichen Praxis, die unsereiner haut­nah erlebt und durchschaut?

"Mal so eben nebenbei" ist nicht professionell

Führungskultur ist dann professionell, wenn sie von allen verstanden wird, wenn sie transparent und auf die Ziele einer Organisation perfekt zugeschnitten ist. Wie Shared Leadership geht, kann ich aus eigener Erfahrung als Schulleiterin sagen. Was damals an meiner Grund- und Mittelschule gelebt wurde, war delegierte Verantwortung. Wir haben Schulentwicklungs­themen in unterschiedliche Arbeitsgruppen gepackt, Verant­wortlichkeiten auf Kompetenzteams delegiert und Gesamt- konferenzen eher selten abgehalten. Stattdessen haben wir Entscheidungen aus Kleingruppen protokolliert und im Umlauf­verfahren abgestimmt.

Die Grenzen solcher Art von Führung, geteilter Führung, sind natürlich schnell erreicht im derzeitigen Schulsystem: Wenn ich Verantwortung übernehme, wenn ich Aufgaben professionell manage, und wenn ich diese dann auch vor Ort an der Schule ins Feld setze, dann brauche ich auch entsprechende Bedingun­gen. Zum Nulltarif, einfach on top, geht's halt nicht.

Lernen durch Vorbild? In Bayern scheinbar lieber nicht...

Apropos top: Professionelle, zeitgemäße Führungskultur will vorgelebt werden. Aber was erleben wir da in der Staatsführung? Einen Ministerpräsidenten, der in allen politischen Bereichen Themen setzt und letztendlich entscheidet. So je­mand muss sich fragen lassen, wie stark partizipative Elemente in Bayern gefragt sind. Und gefragt sein sollten sie: Schule und Bildung fußt auf demokratischen Prozessen, auf partizipativen Elementen und auf einem Miteinander, das nur dann gemein­schaftlich funktioniert, wenn an den unterschiedlichen Stellen jeder die eigene Verantwortung hat.

In unserer täglichen Politik im BLLV erleben wir immer wie­der, dass Kolleginnen und Kollegen auf den Kultusminister schimpfen. Er soll es richten. Er sei doch der oberste Chef aller Lehrerinnen und Lehrer. Ja, er muss diese Verantwortung tragen. Ja, er kann und muss verantwortlich gemacht werden. Was aber, wenn in Bayern immer wieder auf das Ressortprinzip gepfiffen wird? Wenn Zuständigkeiten ignoriert werden?

Partizipation und geteilte Verantwortung als demokratisches Prinzip an der Basis, zentralistische One-Man-Show an der Spitze – wie lösen wir diesen Widerspruch auf? So viel ist sicher: Moderne Führung vor Ort und Eigenverantwortung nur zu pro­pagieren, sobald es darum geht, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, läuft nicht. Wir im BLLV sprechen uns klar für einen partizipativen Führungsstil, für delegierte Verantwortung, für eigenverantwortliche Schule und für ein demokratisches Mitei­nander aus. Das muss aber ganz oben anfangen. Und dann geht es über das Kultusministerium, die Bezirksregierungen, die Schulämter, die MB-Dienstellen bis hin zu den Schulen vor Ort. Nicht nur, wenn gerade Krise ist.

Artikel aus der bayerischen schule #5/2022



Mehr zum Thema

Schlagwörter: #Akzente #Schulleitung