Mit der Hilfe des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) wehrt sich eine Grundschullehrerin gegen das verpflichtende Arbeitszeitkonto, das seit diesem Schuljahr gilt. Am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof klagt sie gegen den Freistaat Bayern. „Die Belastung von Grundschullehrkräften ist kontinuierlich gestiegen. Das Arbeitszeitkonto war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, sagt Petra Falter, die seit 30 Jahren Lehrerin und seit 2017 Rektorin an zwei Grundschulen ist. „Ich bin seit diesem Schuljahr von der Maßnahme betroffen, da ich zu der ersten Kohorte gehöre. Jetzt muss ich fünf Jahre lang pro Woche eine Unterrichtsstunde mehr arbeiten.“
Lehrkräfte büßen für Lehrermangel
Als Notmaßnahme gegen den Lehrermangel gab Kultusminister Michael Piazolo die Einführung eines Arbeitszeitkontos im Frühjahr 2020 bekannt - bereits damals gegen großen Widerstand des BLLV. „Der BLLV und seine Personalräte haben schon bei der damaligen Stellungnahme Widerstand bekundet“, erläutert der 1. Vizepräsident Gerd Nitschke. „Es gab viele Gespräche mit dem Kultusministerium, aber keine Lösungen. Dann müssen eben die Gerichte entscheiden.“
Die Bayerische Staatsregierung erließ die Verordnung zum Schuljahresbeginn. An den Grundschulen in Bayern hatten zu diesem Zeitpunkt viele Lehrkräfte schon ihre Grenze erreicht. „Viele Lehrer und Lehrerinnen haben sich beim BLLV gemeldet“, schildert Nitschke die Situation. „Wir haben Petra Falter ausgewählt, die wir nun stellvertretend für viele Betroffene bei ihrer Klage unterstützen.“
Der aktuelle Schulalltag ist ein Notbetrieb – geprägt von Corona-Pandemie und
Lehrermangel. In dieser zugespitzten Situation verpflichtete das Kultusministerium alle Lehrerinnen und Lehrer bis zum Alter von 56 Jahren zu unbezahlter Mehrarbeit. Dabei gilt für Grundschul-Lehrkräfte bereits die höchste Unterrichtsverpflichtung. Zudem wurden die Kriterien für Teilzeit und Ruhestand verschärft. Für die Dauer von fünf Jahren müssen Lehrkräfte an Grundschulen nun eine Unterrichtsstunde pro Woche mehr leisten. Hinzu kommt noch die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Erst nach einer anschließenden Wartezeit von drei Jahren beginnt die fünfjährige Ausgleichsphase, in der eine Unterrichtsstunde weniger zu halten ist. Die Regelung wird schrittweise nach Altersgruppen gestaffelt umgesetzt, so dass die letzte Kohorte bis im Schuljahr 2027/28 auf das Arbeitszeitkonto einzahlt. Die lange Dauer der Mehrarbeit beruht jedoch auf einer systematischen Fehleinschätzung des Kultusministeriums beim Bedarfshorizont für Lehrkräfte. Wie die Klage aufzeigt, wurden die Bedarfszahlen für die Jahre 2021 - 2025 um 25 bis 35 Prozent zu hoch eingeschätzt.
Fehlplanung oder gar Missbrauch?
Das eingeführte Arbeitszeitkonto erzeugt deutlich mehr Unterrichtsstunden als an den Grundschulen benötigt werden. Angesichts des Ausmaßes an Fehlplanung drängt sich die Frage auf, ob hier falsch gerechnet wurde oder ob die Regelung für einen anderen Zweck missbraucht wird. Die Lehrerbedarfsprognose des Kultusministeriums zeigt nämlich, dass es andere Schularten gibt, die ganz besonders stark und lang anhaltend unter dem Lehrkräftemangel leiden: die Mittel- und Förderschulen.
An den Mittelschulen fehlen in den kommenden Jahren 2021 bis 2025 ungefähr die 1.400 Vollzeitkapazitäten, deren Fehlbedarf das Kultusministerium an den Grundschulen verortet hat. Dieser Fehlbedarf kann, jedenfalls rechnerisch, durch den Überhang an Grundschullehrkräfte, der durch die Einführung des Arbeitszeitkontos generiert wurde, ausgeglichen werden. Das Kultusministerium spricht die Möglichkeit, fehlende Lehrkräfte von Grundschulen an Mittelschulen abzuordnen, sogar selbst in seiner Lehrerbedarfsprognose an. An den Mittelschulen ist es zudem nicht möglich, ein verpflichtendes Arbeitszeitkonto einzuführen, da dort der Personalbedarf nicht vorübergehend, sondern permanent ist. In gleicher Weise gilt dies auch bei den Förderschulen. „Das ist unseres Erachtens rechtlich nicht zulässig“, erklärt Dr. Michael Bihler, Anwalt der Klägerin. „Dem Dienstherrn ist es verboten, personalpolitische Ziele mit unlauteren Mittel zu verfolgen.“
Grundlegende Probleme bei Lehrerbildung und Planung von Lehrerbedarf angehen
„Die Lehrkräfte an Grundschulen sollen ausbaden, was das Kultusministerium an den Mittelschulen versäumt hat“, sagt die BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Das Kultusministerium hat versäumt, das grundlegende Problem anzugehen und mit den üblichen und zugelassenen personalpolitischen Mitteln Anreize für den Unterricht an der Mittelschule zu schaffen. Das Arbeitszeitkonto erhöht lediglich die Anzahl der Lehrerstunden, nicht jedoch die Zahl der zur Verfügung stehenden Lehrkräfte, deren Fehlen der eigentliche Grund für die Notsituation ist.
„Der Lehrermangel an den Mittelschulen wird nur mit konsequenter Personalpolitik zu beheben sein“, so Fleischmann. Der BLLV fordert deswegen bessere Arbeitsbedingungen, eine, den anderen Lehrämtern entsprechende Eingangsbesoldung nach A13 für Grund- und Mittelschullehrkräfte und eine flexible Lehrerbildung. „Nur durch solche Maßnahmen lässt sich das Problem Lehrermangel langfristig in den Griff bekommen“, sagt die BLLV-Präsidentin. „Wir erwarten dazu von der Staatsregierung ein eindeutiges Bekenntnis.“