Impfungen, Tests, Masken, Lüftungsanlagen, Hygieneregeln: So kann Schule im Präsenzunterricht sein – alles perfekt geregelt! Bayern steht also mal wieder ganz wunderbar da, das hat die gestrige Pressekonferenz sowie die heutige Regierungserklärung des Ministerpräsidenten doch aufzeigen sollen. Oder ist etwa doch nicht alles gut?
Wir Lehrerinnen und Lehrer sagen – nach einheinhalb Jahren Pandemie und stets den gleichen Fragen - dazu nur noch eines: Wir haben es satt! Wir können und wollen nicht mehr nur über medizinisch-virologische Themen sprechen! Es muss doch jetzt endlich mal wieder um Bildung und Erziehung gehen! Ich kann all das Hoch- und Runterreden von einzelnen Maßnahmen nicht mehr hören! Es reicht mir einfach. Wir wollen selbstverständlich an den Schulen alles dafür tun, damit die einzelnen Maßnahmen rund um die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen umgesetzt werden: Keine Frage!
Zurück zu unserer eigentlichen Arbeit
Aber wir wollen endlich zurück zu unseren eigentlichen Aufgaben: Unterrichten, bilden und erziehen. Ampel, Firewall, 3G, Inzidenzen, Quarantäneregeln, Masken, Lüften, Testen, Impfen, Abstand … All das sind Bausteine eines Sicherheitsnetzes, wie es der Kultusminister nennt, die jetzt gesetzt sein müssen! Diese sind doch nicht mehr rauf und runter zu diskutieren und müssen jetzt kurz vor Schulstart auch nicht mehr politisch zerrissen werden – dazu hatten die Staatsregierung, das Gesundheitsministerium, das Kultusministerium und die Sachaufwandsträger nun erneut sechs Wochen Zeit.
Das macht uns so ärgerlich. Wann reden wir denn endlich mal wieder über Pädagogik, über den Unterricht, über die aktuellen Erziehungsaufgaben, über die nochmals gestiegenen heterogenen Herausforderungen, über die erneut nochmal aufgemachte Bildungsungerechtigkeit oder über die Bildungsqualität jetzt. Vielleicht auch endlich mal darüber, was denn jetzt eigentlich Aufgabe und Auftrag von Schule ist?
Die Realität an den Schulen zählt
Wir brauchen keine scheinheilige Diskussion mehr darüber, dass von der Politik alles hervorragend geplant und umgesetzt wurde. Taten statt Worten zählen! Die Realität am ersten Schultag – und den folgenden Wochen - an jeder Schule vor Ort zählt! Und wenn wir z.B. heute wissen, dass aktuell nur 10 % der bayernweiten Gelder für Lüftungsanlagen abgerufen wurden, dann ist doch klar, dass das alles Schaumschlägerei ist! Uns Lehrerinnen und Lehrern wird ständig vorgeworfen, dass wir unsere Hausaufgaben nicht machen – andersherum wird ein Schuh draus!
Thema Lüftungsanlagen: Bildungsgerechtigkeit sieht anders aus
Die Situation rund um die Lüftungsanlagen ist doch in Sachen Bildungsgerechtigkeit eine Bankrotterklärung: Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die in eine mit Lüftern ausgestattete Schule gehen, in der sich also die Sachaufwandsträger diese Anlagen leisten können, können auf vollen Präsenzunterricht zählen. Denn dort müssen laut Staatsregierung die Kinder dann eher nicht in Quarantäne, wenn es zu einem positiven Fall in der Klasse kommt. Ja, Bayern steht wirklich ganz wunderbar da: Gerade die Kinder und Jugendlichen aus sozioökonomisch schwierigeren Verhältnissen, die ja bekanntlich in den entsprechenden Regionen in Bayern zu Hause sind, sollen jetzt wieder mehr unter dieser Situation leiden müssen?
Ist das die Antwort auf Bildungsungerechtigkeit? Politisches Versagen, mal wieder ausgetragen auf den Schultern der Schwächsten?
Lehrermangel schlägt genau an den Stellen zu, wo das System ohnehin die größten Schwächen hat
Ein kleiner Ausflug: Es sind ja es schon die Schülerinnen und Schüler an den Mittelschulen, die in den kommenden Jahren am meisten leiden. Der Lehrermangel schlägt genau an den Stellen zu, wo das System ohnehin die größten Schwächen hat. Die Stunden im Ganztag werden dort gekürzt, der Lehrermangel schlägt dort jetzt und in den kommenden Jahren am stärksten zu und jetzt sind es dann dort wohl auch noch diese Jugendlichen die in Quarantäne müssen, weil die Lüfter fehlen? … Dazu jedoch mehr Anfang Oktober auf der Pressekonferenz des BLLV!
Wir leben in einer neuen Realität - mit neuen Anforderungen an Schulen
Wir forderten zum Schuljahresende das bildungspolitische Logbuch. Ist das jetzt da? Ist zumindest das gesundheitspolitische Logbuch da? Das wird die Realität ab dem 14. September an den Schulen vor Ort zeigen. Eines ist aber klar: Wir müssen alle gemeinsam Erwartungen an Schule formulieren, die auch erfüllbar sind!
Denn wir leben in einer „neuen Normalität“, die mit der alten Normalität nur mehr wenig zu tun hat! Daher müssen wir auch Schule endlich anders denken: Kinder und Jugendliche brauchen jetzt etwas ganz anderes als nur den Pythagoras. Das Motto lautet: Philosophie, Ganzheitlichkeit und Gesundheitserziehung statt Pythagoras. Dafür brauchen wir Lehrerinnen und Lehrer Zeit: Zeit für die Schülerinnen und Schüler, damit sie kompetent, resilient und stabil mit dieser neuen Normalität umgehen können. Das ist jetzt gefragt! All das sind wichtige Fragen, die man eben nicht noch nebenbei stemmen kann! Den Lehrplan abarbeiten, den Kompetenzen der einzelnen Lehrpläne hinterherhechten, viele Leistungserhebungen möglichst zügig ansetzen, die Notenjagd betreiben, den Druck erhöhen und die Aufholjagd starten: Das genau ist jetzt nicht gefragt – nicht jetzt! Jetzt stehen die Kinder und Jugendlichen mit ihren ganz besonderen Bedürfnissen im Präsenzunterricht im Mittelpunkt. Und wir Lehrerinnen und Lehrer wissen das, wir können das und wir brauchen diese Neudefinition unseres Auftrags jetzt in der neuen Normalität mit Corona, nach Corona und auf lange Strecke!