Vor der Digitalisierung war die Medienwelt relativ einfach und überschaubar: So versammelte die Tagesschau große Teile der Bevölkerung um 20 Uhr vor dem Fernseher. Durch neue Verbreitungswege und geänderte Nutzungsgewohnheiten hat dieser Fixpunkt der deutschen Gesellschaft an Bedeutung verloren: Menschen rezipieren Nachrichten ebenso wie Unterhaltungssendungen werden zunehmend zu einer Uhrzeit nach Wahl über verschiedene Endgeräte konsumiert: Tablets, Handys und Computer konkurrieren mit den traditionellen Medien.
Der überforderte Rezipient
Jeder Einzelne kann heute seine Anliegen im Internet veröffentlichen und einer großen Öffentlichkeit zugänglich machen. Auch Minderheitenpositionen finden so im Netz ihre schnelle Verbreitung – und Unterstützung. Doch führt die vermeintlich guten Informationslage durch die Fülle an Informationsquellen eher zu einer Überforderung: Oft ist nur eine Minderheit über abstrakte und komplexe Themen tiefergehend informiert.
Bewusste Verlangsamung und mehr inhaltliche Tiefe
Für die traditionellen Medienhäuser stellt sich die Frage, wie sie sich in diesem Umfeld positionieren sollen. Der Bayerische Rundfunk antwortet auf diese Herausforderung mit einer bewussten Verlangsamung und dem Fokus auf Qualität: Die Nutzer sollen durch die BR-Informationen mehr Hintergrundwissen und mehr Perspektiven aufgezeigt bekommen, wie Ulrich Wilhelm betont. Dabei böte der BR diverse Sichtweisen an und stelle sich auch einem gewandelten Heimatbegriff, der den gesellschaftlichen Wandel widerspiegle, sagte der Intendant des Bayerischen Rundfunks. Den veränderten Mediennutzungsgewohnheiten trägt der BR mit einer neuen Organisationsstruktur Rechnung. Die einzelnen Redaktionen von Funk und Fernsehen werden zusammengefasst zu themenspezifischen Teams, die fachlich fundiert arbeiten – und alle Medien bedienen.
Wollen wir den gläsernen Nutzer?
Äußerst kritisch beurteilt der Jurist Wilhelm die Erfassung persönlicher Daten von Usern durch die Medienanbieter. Nicht nur Google, Facebook & Co. analysieren das Nutzungsverhalten ihrer User und legen detaillierte Nutzerprofile an, was datenschutzrechtlich sehr bedenklich sei. Sie zeigen Rezipienten nur noch Inhalte entsprechend ihrer bisherigen Vorlieben an. Davon abweichende Angebote werden im Voraus ausgesiebt – und seien sie noch so interessant, stimulierend und bereichernd für das eigene Denken und die Entwicklung neuer Ideen oder Argumente. Die Debatte, was technisch möglich ist und was gesellschaftlich gewollt ist, müsse daher noch mit großer Intensität geführt werden, fordert Wilhelm. Nicole Leber