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Akzente - 4/2019 Startseite

Die Wahrheit ist …

dass die Regierung nur Fragmente der schulischen Realität sehen will, die in ihre Politik des „alles in Ordnung“ passen. Mit dramatischen Folgen für viele, die unter dieser Form von Blindheit leiden. Kommentar von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.

Es gibt rund 6.000 allgemeinbildende Schulen in Bayern, 1,6 Millionen Schülerinnen und Schüler und 150.000 Lehrerinnen und Lehrer. Es gibt Grundschulen auf dem Land und in der Stadt, in Oberschichtvierteln und sozialen Brennpunkten. Es gibt Mittelschulen, Realschulen, Gymnasien und Förderschulen. Die Praxis lehrt uns: Schule ist vielfältig und widersprüchlich, komplex und herausfordernd.

Das Kultusministerium versucht mit immer detaillierteren Verordnungen, kultusministeriellen Schreiben, Empfehlungen und Richtlinien Ordnung und Transparenz zu schaffen – was immer schwieriger wird und pädagogische Arbeit immer stärker behindert.

Trotz Vielfalt das große Ganze sehen

In der Schule zu arbeiten, bringt Freude und Erfüllung. Gleichzeitig ist sie Quelle von Überforderung und Frustration. Schule ist Widerspruch. Schule hat viele Realitäten: Die Realität der Kinder und jungen Menschen, die Realität der Eltern, die Realität der Verwaltung, die Realität der Politik und die Realität von uns Lehrerinnen und Lehrern. Schule ist kein Unternehmen mit Umsatzzahlen, Renditezahlungen und Kosten/Nutzen-Berechnungen mit einem klaren Handlungsziel: Umsatz erhöhen.

Die Vielfalt der Schule macht es der Politik leicht: Man findet immer Beispiele für die eigene Position und das eigene Bild von Schule, das man propagieren kann. Natürlich gibt es viele Grundschüler, die ohne Probleme den Übertritt schaffen; Gymnasiasten, die mit Leichtigkeit die Mathe-Abituraufgaben lösen; Schülerinnen und Schüler, die mehr interessiert als oberflächliches Lernen für Prüfungen; Schülerinnen und Schüler, die es von der Mittelschule auf die Uni schaffen; Lehrerinnen und Lehrer, die entspannt ihren Schulalltag meistern. Aber ist das die ganze Wahrheit?

Geplatzte Versprechen belasten die Gegenwart

Angesichts der Vielfalt ist es leicht, Belege für die eigene Wahrheit zu finden. Es ist leicht, Forderungen der Praktiker an den Schulen als Panikmache, als pure Interessenspolitik öffentlich abzuqualifizieren. Die CSU hat das jahrzehntelang erfolgreich betrieben: „Die Einführung der sechsstufigen Realschule stabilisiert die Hauptschule. Ein Schulsterben auf dem Land wird es nicht geben. Der Übertrittsdruck wird nicht steigen.“ – „Unterrichtsausfall ist gering. Probleme in der Unterrichtsversorgung gibt es nur in Einzelfällen. Es gibt keinen Lehrermangel, die Lehrer- und Schülerprognose ist solide.“ – „Deutsche Jugendliche studieren viel zu spät. Das gefährdet Rentenversicherung und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das G8 wird den Druck auf Kinder nicht erhöhen.“

Das alles klingt uns noch in den Ohren, während wir in der täglichen Schulpraxis mit den Folgen dieser Vogel-Strauß-Politik kämpfen. Während Politiker zugeben, dass sie nicht Recht hatten – hinter vorgehaltener Hand.

Erster Schritt zur Lösung: Problem (an-)erkennen

Die Probleme sind bekannt: Eine unflexible praxisferne Lehrerbildung, massiver Lehrermangel, Unterfinanzierung in vielen Bereichen, die Ungerechtigkeit zwischen den Lehrämtern, ein einseitiger, auf abfragbares Wissen reduzierter Leistungsbegriff, die soziale Ausgrenzung in der Mittelschule, keine Zeit für Team- und Schulentwicklung, die Bürokratisierung des Schulalltags, die unwürdigen Arbeitsbedingungen der Schulleitungen.

Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist, dass CSU und Freie Wähler, die in der Regierungsverantwortung stehen, aufhören müssen, sich ihre Wahrheiten je nach politischem Ziel zurechtzuzimmern und so zu tun, als sei die schulische Welt in Bayern in Ordnung. Die Wahrheit ist: Es gibt objektiv große Herausforderungen an der Schule, die zu leugnen dramatische Folgen haben wird.

Es ist Zeit, die Realität anzuerkennen. Sonst gehen nicht nur große politische Parteien unter, sondern auch wichtige Einrichtungen unserer Gesellschaft.

Simone Fleischmann

(Artikel aus der bayerischen schule #4 2019)



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