Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Schüler-Reparaturwerkstatt zu gründen?
Walter Kraus, Initiator des Projektes: Ein Umdenken ist in unserer Gesellschaft dringend notwendig. Aktuell verbraucht die Menschheit 60 Prozent mehr an Ressourcen, als die Welt bereitstellt. Machen wir so weiter wie bisher, würden wir im Jahr 2030 bereits zwei Erden benötigen, um unseren Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken (Quelle: WWF 2016). Das zeigt: Die Erde ist am Limit und ein Umdenken ist dringend gefragt. Abfallvermeidung ist ein wichtiger Schritt in Richtung Ressourcenschonung und Klimaschutz. Deshalb haben wir die Schüler-Reparaturwerkstatt an unserer Schule gegründet.
Mit einer Reparatur würdigen wir die Tatsache, dass in einem defekten, aber durchaus noch funktionsfähigen Apparat natürliche Ressourcen stecken, die man nicht so einfach wegwerfen darf. In dem defekten Gerät stecken auch kulturelle Leistungen von Menschen, die dieses Gerät entwickelt und gebaut haben, und die man genauso wenig achtlos wegwerfen darf.
Was ist das Besondere an der Schüler-Reparaturwerkstatt?
Sie findet nicht im „abgesicherten Modus“ statt, sondern unter realen Bedingungen. Echte Kundinnen und Kunden geben echte Reparaturen in Auftrag. Und: Die Schülerinnen und Schüler gestalten den gesamten Prozess in Eigenregie.
Wie läuft das konkret ab?
Die Schüler führen die Gespräche mit der Kundschaft und übernehmen zunächst ganz eigenständig die Fehlersuche und die damit verbundenen Recherchen im Internet und in sonstigen Quellen, z.B. mitgelieferten Bedienungsanleitungen. Sie gehen dabei nach der Methodik des entdeckenden und erfahrungsgeleiteten Arbeitens und Lernens vor. Sie entscheiden selbst, wann sie allein nicht weiterkommen und weitere Hilfe benötigen, die sie sich aktiv holen. Sie organisieren auch selbst, welches Team welche Reparaturen übernimmt.
Wer betreut die Schüler in der Werkstatt?
Die schulische Aufsichtspflicht erfordert zwingend die Anwesenheit einer Lehrkraft, der Fachbereich ist nicht entscheidend. Darüber hinaus sind ehrenamtliche Reparaturanleiterinnen und -anleiter wesentlicher Bestandteil des Konzepts. Werden Strom führende Geräte repariert, muss eine Elektrofachkraft für die Prüfung und Endabnahme der Geräte zur Verfügung stehen. Nebenbei lernen die Schüler, sich nicht nur an der Lehrkraft zu orientieren, sondern auch mit Externen zusammenzuarbeiten und gemeinsam Generationen übergreifende Erfahrungen zu machen.
Nach unserer Erfahrung ist es günstig, wenn je ein ehrenamtlicher Reparaturanleiter vier bis sechs Schülerinnen und Schüler unterstützt. Anleiter sollten die Fähigkeit mitbringen, Zurückhaltung zu üben und offen für kreative Ideen der Schüler zu sein. Die Begleitung sollte die Jugendlichen vor allem darin unterstützen, selbst Lösungen für die Reparatur zu finden.
Unterstützende Fragen der Betreuer nach dem Fehlerbild oder der erwarteten Funktion können bei der Fehlersuche helfen. Nebenbei, und nur am aktuellen Bedarf orientiert, können auch einige Hintergrundinformationen die Zusammenhänge leichter verständlich machen. Zieht sich ein Reparaturprozess in die Länge, mag es schon mal nötig werden, die Jugendlichen zum Durchhalten zu ermutigen.
Welche Lerneffekte sind Ihnen besonders wichtig?
Obwohl wir in einer Wegwerfgesellschaft leben, sind Nachhaltigkeit und Reparatur für unsere Schülerinnen und Schüler vertraute Begriffe geworden. Der Nutzen ist groß, denn sie können noch ein ganzes Leben lang reparieren, statt wegzuwerfen. Und nebenbei macht das Reparieren natürlich auch ganz viel Spaß und ist für die Beteiligten eine ungeheuer erfüllende Tätigkeit. Man hat wieder etwas ins Laufen gebracht, und gleichzeitig hat man die Funktionsweise des Geräts auch von Grund auf verstanden – das sollte zur schulischen Bildung gehören.
Wir haben die Schülerreparaturwerkstatt bewusst nicht als wirtschaftliches Unternehmen organisiert. Es geht vielmehr darum, sich uneigennützig in den Dienst Dritter zu stellen. Die „Belohnung“ besteht ausschließlich in der Befriedigung, etwas für andere zu tun – und dabei selbst viel zu lernen.
Außerdem bietet das Nutzen des Internets als Informationsquelle und Medium zur Kommunikation etwa mit Herstellern oder Lieferanten den Schülerinnen und Schülern die Chance, es als Werkzeug zu erkennen und nicht mehr primär als Unterhaltungsmedium zu sehen.
Was war bisher das größte Problem, das zu lösen war?
Die Reparaturen von Elektrogeräten müssen so durchgeführt werden, dass die Sicherheitsanforderungen an Schulen gewährleistet sind. Hierfür habe ich einen Adapter entwickelt, der es den Schülern unmöglich macht den Stecker in die Steckdose zu stecken. Sie können jedoch trotzdem die Stecker-Verbindungen auf Kabelbruch untersuchen.
Herzlichen Dank für dieses Interview und weiterhin viel Erfolg mit der Schüler-Reparaturwerkstatt!
Das Interview führte Martin Göb-Fuchsberger, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik beim MLLV.