Wer wüsste besser als wir Lehrerinnen und Lehrer, welche Herausforderungen mit der Integration von Kindern aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen verbunden sind? Das müssen uns keine rechtspopulistischen Lautsprecher erklären. Wir wissen selbst, dass es nicht nur die fehlenden Deutschkenntnisse sind, die das Unterrichten erschweren. Es geht auch um Alltagskompetenz und um das Verständnis für die Art und Weise, wie wir hier zusammen leben. Entscheidend ist, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen. Wie wäre es mit Werteerziehung? Vielen erscheint dieser Begriff als Floskel. Und es stimmt ja auch: Zu Werten erzieht man niemanden, man lebt sie vor. Zum Beispiel so: Als Schulleiterin stand ich jeden Morgen an der Schultür, um alle persönlich zu begrüßen. Alle zu sehen. Egal woher die jungen Menschen kurz vor acht jeweils kamen, aus welchen Familien, und wie lange sie schon bei uns an der Schule waren. Alle diese Kinder waren für mich Kinder unserer Grund- und Mittelschule. Respektvoller Umgang mit einander, das steht häufig auf Plakaten und in Schulschaufenstern. Aber gelebt wird es in den Fluren, in den Klassenzimmern, im und nach dem Unterricht.
Oder so: In Arbeitsgruppen zur Schulentwicklung waren nicht nur Kolleginnen und Kollegen. Mit im Boot waren auch die Kinder und Jugendlichen, die Kooperationspartner, die Eltern. Partizipation auf allen Ebenen. Mir war wichtig: Nicht die Leitung bestimmt, wohin dieses Boot fährt. Sondern alle, die gemeinsaman dieser Schule lernen und leben. Sie alle bestimmen, welche Inhalte, Visionen und Werte gelebt werden. Respektvoller Umgang miteinander und gelebte Partizipation, das sind nur zwei der Werte, die unserer Gesellschaft guttun würden.
In der Schule waren solche Werte Thema, waren immer zu spüren. Alle haben sich bewusst darum bemüht. In meinem jetzigen Alltag vermisse ich all das manchmal. Erst recht in diesem entscheidenden Wahljahr mit seinem – ich kann es nicht anderssagen – hässlichen Rechtsruck. Gegen solche Tendenzen hat der BLLV bereits 2015, in seinem Manifest „Haltung zählt“, klar zum Ausdruck gebracht, welche Werte für uns unverhandelbar sind. Es sind noch immer diese: Respekt, Wertschätzung und Interesse für die anderen Menschen – unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, welche Hautfarbe sie haben, welche Muttersprache sie sprechen und welche Meinung sie vertreten. Es ist unser Grundgesetz mit Ewigkeitsklausel. Daran lassen wir nicht rütteln. Jetzt erst recht nicht.
Vor und nach der Landtagswahl habe ich in Interviews und Statements immer wieder betont, dass Demokratiepädagogik nicht den Stellenwert an unseren Schulen einnimmt, den sie eigentlich haben sollte. Klar, viele engagierte Kolleginnen und Kollegen stemmen neben dem Pflichtunterricht viele Projekte und opfern dafür ihre Freizeit. Da ist diese Mittelschule in Niederbayern. Die Siebtklässler dort haben letzte Zeitzeugen der NS-Diktatur befragt. Andere machen Fahrten zu KZ-Gedenkstätten. Organisieren Besuche im Bayerischen Landtag, Gespräche mit Abgeordneten, Bürgermeistern und Landräten.
Leuchtturmprojekte, mag sein. Und sicher: Nicht an allen Schulen und in allen Klassen bleibt genügend Zeit, sich auf diese Art mit Politik zu beschäftigen. Wenn das Thema aber staubtrocken daherkommt, vergeht den Schülerinnen und Schülern schnell die Lust. Und das kann man ihnen noch nicht mal verdenken. Frontalunterricht mag gerade noch ausnahmsweise beim Pythagoras in Mathe angehen. Die Arbeitsweise eines Parlaments lernt man garantiert besser durch Zuschauen als durch Schaubilder.
Demokratiepädagogik zum Anfassen ist unheimlich fordernd und zeitintensiv. Viele fragen: Wer kann das derzeit leisten? Eher sollten wir fragen: Was könnten wir weglassen, um genau das zu leisten? Die demokratisch gewählten Politikerinnen und Politiker müssen – das haben wir in unserem Glückwunschschreiben an die neuen Landtagsabgeordneten klar zum Ausdruck gebracht – jetzt endlich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir allen Schülerinnen und Schülernden Stellenwert unserer Demokratie erlebbar machen können. Demokratiepädagogik ist das wichtigste Instrument gegen Hass, Hetze und Extremismus. Das ist nicht nice to have. Das brauchen wir unbedingt. Wir an den Schulen können unseren Beitrag leisten. Die Gesellschaft und die Politik müssen ihren Beitrag leisten. Gemeinsam geht’s! Nur gemeinsam.
Simone Fleischmann, BLLV-Präsidentin
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