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Bayern: Märchenland der Bildung? Startseite

Der Realitäts-Check

PRESSEKONFERENZ - Die Gesichter hinter den Zahlen: Am 24. Oktober machte der BLLV den Realitäts-Check mit Experten aus ganz Bayern. Bei der Pressekonferenz kamen Lehrkräfte verschiedener Schularten, Verwaltungsangestellte, Schulleiter, Lehramtsanwärter, Zweitqualifikanten, Förder- und Fachlehrer und weitere zu Wort.

Ist Bayern ein Märchenland der Bildung? Der BLLV steigt in die Realität ein und lässt Experten aus der Praxis sprechen.

Mehr Zeit

"Bei 14 Stunden Anrechnung für meine Arbeit als Schulleiter kümmere ich mich um 315 Schüler aus 15 Wohnorten in 3 Schulhäusern, 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, einen Ganztagszug, das gesamte Verwaltungsspektrum und das übliche Tagesgeschäft." - Helmut Schmid, Schulleiter

„Mir fehlt die Nachhaltigkeit. Wir haben zum Beispiel wahnsinnig viele Vorgaben, was Noten betrifft. Wo ist da das nachhaltige Lernen? Wir prüfen nur ab.“ - Andrea Weinzierl, Lehrkraft Gymnasium

"Wir verbrauchen sehr viel Zeit für Dinge, für die wir nicht ausgebildet sind. Zum Beispiel bräuchten wir für jede Schule einen Systembetreuer, der sich darum kümmert, dass unsere IT-Geräte richtig angeschlossen sind und funktionieren. Wir haben die Zeit und das Können für die Inhalte, der Systembetreuer für die Technik." - Katharina Wezel, Lehrkraft Grundschule

"Ich bin Förderlehrer geworden, um auf individuellen Lernwegen den Schülern Lernerfolge zu vermitteln. Dazu brauche ich Kontinuität. Allerdings werde ich oft für Vertretungen herangezogen und dann fallen diese für die Kinder wichtigen Stunden aus." - Jochen Fischer, Förderlehrer

"Für den Anfang in der neuen Schulart braucht es mehr Zeit, um die Abläufe kennenzulernen und sich gut einfügen zu können." - Marina Englmeier, Zweitqualifikation

Arbeitsbedingungen

"Ich brauche kleinere Klassen, um auf die individuellen Bedürfnisse meiner Schüler besser eingehen zu können." - Isabel Lautenschlager, Lehrkraft Mittelschule

"Die Schüler in meiner Klasse haben unterschiedliche Bedürfnisse. Um diesen gerecht zu werden, muss ich verschiedene Lernzugänge schaffen und differenzieren. Dazu braucht man bestimmte Rahmenbedingungen wie zum Beispiel eine technische Ausstattung, die umkompliziert eingesetzt werden kann." - Eva Clauss, Lehramtsanwärterin

"Wir sind Wegbegleiter und wollen den Schülern das Handwerkszeug für die Arbeitswelt mitgeben. Dafür brauchen wir kleine Gruppen und die aktuellen Bedingungen vor Ort müssen stimmen - zum Beispiel ein funktionierender Internetzugang und eine gut ausgestattete Schulküche." - Bettina Ondrusek, Fachlehrerin

"Die Politik muss eigentlich nur die Rahmenbedingungen schaffen, die die Wissenschaft vorgibt - wie zum Beispiel kleinere Gruppen." - Johanna Jarosch-Schwandner, Erzieherin und Kinderpflegerin

„Um die Zukunft für die Kinder gestalten zu können, brauche ich genügend Lehrkräfte. Wenn jemand ausfällt, habe ich ein Problem. Vertretungen bedeuten Mehrarbeit für die Kollegen, aber ich habe auch ihnen gegenüber eine Fürsorgepflicht." - Peter Wummel, Schulleiter

Anerkennung und Besoldung

"Über die Zeit sind die Anforderungen immer höher geworden. Es wäre schön, wenn der gestiegene Aufwand finanziell honoriert und eine Aufwertung der Tätigkeiten stattfinden würde." - Alexa Möller, Verwaltungsangestellte

"Ich plädiere dafür, dass der Modellversuch Islamunterricht fortgesetzt und, wo es nötig ist, ausgebaut wird, damit auch die Lehrer sichere Arbeitsplätze haben und der Unterricht für die Kinder gesichert ist." - Dr. Ahmed Jneid, Islamlehrer

"Wir haben einen massiven Fachkräftemangel. Deswegen muss der Erzieher zu einem Traumberuf werden, mit dem man auch eine Familie ernähren kann." - Michael Barnikel, Erzieher und Kinderpfleger

Lehrerbildung

"Mein Anspruch ist es den Kindern gerecht zu werden. Dafür wünsche ich mir in der Ausbildung das Handwerkszeug." - Julia Zwickle, Lehramtsanwärterin

"Wir haben viel theoretisches Hintergrundwissen, aber eines fehlt an der Uni: Praxis. Um auf den Schulalltag vorbereitet zu werden, reicht Theorie alleine nicht aus." - Carina Schmidt, Studierende

"Wir wollen vor allem Lehrer sein, erst danach geht es um die Schulart." - Marina Englmeier, Zweitqualifikation

Das Fazit von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann

Lehrerinnen und Lehrer üben ihren Beruf aus, weil sie junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen und sie individuell fördern wollen. Sie wollen die Bildungsqualität an den Schulen hochhalten, um die Zukunft der jungen Menschen und unserer Gesellschaft optimal zu sichern. Dass wir diesem Anspruch nicht mehr gerecht werden können haben wir heute von Menschen gehört, die täglich im Klassenzimmer stehen und an den Schulen arbeiten. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen. Um aber diese komplexen Herausforderungen bewältigen und die vielfältigen Erwartungen an die Schulen erfüllen zu können, brauchen Sie vor allem eines: ZEIT.

Inklusion, Integration, den Ganztag, individuelle Förderung und Digitalisierung. Diese Big-Five und noch vieles mehr, versuchen die Lehrkräfte jeden Tag zu schultern. Schule und Bildung ist ein komplexes System. Es sind nicht einfach 1000 Sachen hinter einander. Es ist eben nicht nur der Unterricht. Es geht hier nicht um ideologische Auseinandersetzungen. Es geht um eine Realität an den Schulen, die für Schüler, Eltern und Lehrer neu gedacht werden muss. Es ist viel mehr! Damit dies einigermaßen realistisch umgesetzt werden kann brauchen wir einen langfristigen Masterplan. Kurzfristiger Aktionismus ist keine Antwort.

Unsere Lehrinnen und Lehrer wollen die Gesellschaft von morgen nachhaltig gestalten. Sie müssen in die Lage versetzt werden, den Erwartungen und Ansprüchen auch gerecht werden können. Dafür müssen wir jetzt handeln. Damit das gelingt benötigen wir Zeit und gerechte Investitionen in Bildung. Der BLLV hat errechnet, dass dafür in den nächsten 10 Jahren 11.500 Stellen und 1,5 Milliarden Euro mehr pro Jahr notwendig sind. Angesichts der deutlich steigenden Steuereinnahmen sind diese Mittel auch tatsächlich vorhanden. Die große Mehrheit der Bevölkerung befürwortet ausdrücklich eine deutliche Steigerung der Investitionen in die Bildung. Oder war das nicht auch eine Botschaft im Wahlkampf?

Bayern ist kein Märchenland der Bildung - auch wenn wir es uns leisten könnten und die Kolleginnen und Kollegen das Können, die Motivation und das Engagement haben. Das darf nicht verspielt werden. Der BLLV bleibt dran. Auch und erst recht nach der Wahl! Wir brauchen eine flexible Lehrerbildung und attraktive Bedingungen. Denn nur starke Lehrer sind gute Lehrer. Wir brauchen die gleiche Besoldung mit dem Ziel, nur die Besten sollen Lehrer werden.



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