Ministerpräsident Dr. Markus Söder hat auf der Pressekonferenz vom 16. Juni alles Wichtige rund um die Digitalisierung an den Schulen benannt: Die Kommunen müssen die Gelder abrufen, System-Administration durch IT-Fachkräfte ist notwendig, die Digitalisierung muss prinzipiell auf neue Füße gestellt werden, die virtuelle Lernwelt darf keine Notfallunterrichtsmethode bleiben. Es braucht deutliche Investitionen in den Ausbau von Fortbildungen bei Lehrerinnen und Lehrern sowie die Erkenntnis, dass digitale Plattformen individuelle Betreuung über Corona hinaus ermöglichen.
Für den BLLV sind das die richtigen Ansätze. Aber: es muss jetzt auch umgesetzt werden und den Ansagen des Ministerpräsidenten müssen Taten folgen. Der BLLV sagt ja zur Digitalisierung der Bildung und zum Digitalgipfel des Ministerpräsidenten. Aber nur wenn endlich das Richtige passiert. Als Lehrerinnen und Lehrer erwarten wir das. Das ergab auch eine im Juni 2020 durchgeführte Befragung des BLLV: Über 60% der Befragten sagen, dass die digitale Kommunikation mit Schülern, Kollegen und Eltern auch nach Corona weiter ausgebaut und systematisiert werden muss. Für über 80% muss der Einsatz digitaler Medien weiter ausgebaut und zu einem festen Bestandteil des Unterrichts werden. Wir Lehrerinnen und Lehrer wollen – wenn wir auf Grundlage der Rahmenbedingungen auch können.
Verzahnung von Präsenz- und Distanzunterricht
Der BLLV sieht auch in der Aufnahme des Distanzunterrichts in die Schulordnung eine Chance – auch wenn der Begriff pädagogisch problematisch, aber wohl rechtlich wichtig ist –und sagt Ja zur Gesetzesänderung, dass neben dem Schulbuch das digitale Endgerät für Lehrer und Schüler zur Grundausstattung gehört. Dafür braucht es allerdings eine professionelle Verzahnung von Präsenz- und Distanzunterricht. Das braucht Zeit für die Kolleginnen und Kollegen. Denn was Politik, Kommunen und Verlage in den letzten Jahren nicht gestemmt haben, das können wir nun nicht in wenigen Monaten aufholen. Klar muss es voran gehen, aber der Prozess muss nachhaltig sein und alle Kolleginnen und Kollegen müssen mitgenommen werden.
Distanzunterricht sollte auch nicht dazu zweckentfremdet werden, den aufzufangen. Und: Distanzunterricht darf keine negativen Auswirkungen auf die Beziehung der Kinder und ihrer Lehrer haben, denn das ist nach wie vor das Wichtigste beim Lernen. Distanzunterricht soll ergänzen, nicht ersetzen. Das wäre kein „aus Gelerntem lernen“ und Aufbrechen. Wie wichtig gerade die Beziehung ist, hat die Umfrage des BLLV ergeben: 97% der Befragten sagen, dass das digitale Kommunizieren mit den Kindern während der Corona Zeit die persönliche Beziehung nicht ersetzen konnte. Es ist also allen klar: die Basis eines Lernens ist die Beziehung. Lernen geht nur auf Grundlage von Herz. Kopf. Hand. Digitales Kommunizieren kann nur ergänzend helfen.
Es müssen Taten folgen
Den Ankündigungen des Ministerpräsidenten müssen Taten folgen. Für die Schulen und die Schulleitungen stellen sich dabei eine Reihe von Fragen auf die es ehrliche Antworten braucht:
1. „Die zur Verfügung stehenden Mittel in Höhe von 1,1 Mrd Euro müssen von den Kommunen (dringend) abgerufen werden!“
- Was sind die Gründe, warum bei uns, trotz vorliegender Medienkonzepte bislang so gut wie kaum Gelder abgerufen wurden?
- Wie kann eine schnelle und sinnvolle Umsetzung stattfinden?
Die digitale Ausstattung der Schulen ist eine in die Zukunft weisende Aufgabe. Unsicherheiten in diesem Bereich müssen überwunden werden. Die Kommunen müssen Klarheit für sich bekommen, welchen Part der Bund auch in Zukunft übernimmt.
2. Wichtig ist die System-Administration in Form von IT Fachkräften, die die Digitalisierung voran bringen soll und die über eine Bund-/Land – Kooperation finanziert werden soll.
- Welche Kompetenzen sollen diese Fachleute haben – sind es geschulte IT‘ler oder IT-geschulte Pädagogen?
- Wenn es sich um Pädagogen handelt, wer soll das im Zuge des Lehrermangels stemmen?
- Wo sollen IT‘ler herkommen, der IT Markt ist leergefegt.
Der BLLV hat schon vor 5 Jahren in seinen Positionspapieren die Forderung nach einem technischen und pädagogischen Systembetreuer aufgestellt. Um Schule nachhaltig im digitalen Bereich gut aufzustellen und professionell zu begleiten bedarf es eines pädagogischen IT Spezialisten, der mit ausreichend Stunden ausgestattet ist. Langfristig muss dieser in der Lehrerausbildung etabliert werden.
3. "Die Digitalisierung in Schule müsse man auf neue Füße stellen!"
- Wie soll das im Rahmen der bestehenden Lehrpläne geleistet werden?
Gerade jetzt in den Zeiten von keinem bzw. wenig Präsenzunterricht hat sich gezeigt, welche anderen wichtigen Kompetenzen für ein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Lernen mit Hilfe digital aufgearbeiteter Lerninhalte notwendig sind. Es gilt in allen Fächern, in allen Jahrgangsstufen und in allen Schularten Kernkompetenzen der digitalen Bildung zu verankern. Daraus ergibt sich aber zwangsläufig die Notwendigkeit einer inhaltlichen Reduzierung in den einzelnen Fächern.
4. "Virtuelles Lernen darf kein Notfallunterricht bleiben sondern muss als Möglichkeit begriffen werden bestehende Angebote zu verbessern… neue Inhalte müssen definiert werden!"
- Welche Voraussetzungen müssen hierfür geschaffen werden?
- Welches Umdenken muss hier stattfinden?
Wir müssen das Thema virtuelles Lernen als Chance begreifen und dabei stets den Fokus auf der Pädagogik behalten.
Digitale Lerninhalte brauchen eine andere Herangehensweise. Methode ist nicht gleich Inhalt. Virtueller Unterricht muss als methodische Ergänzung des lehrerbezogenen Unterrichts gesehen werden, als eine vom Lehrer als erachtete Möglichkeit den auf Individualität und Nachhaltigkeit ausgerichteten Unterricht, der die Ganzheit im Auge hat, sinnvoll zu ergänzen. Stärken stärken! Hierzu bedarf es kompatibler, sicherer Endgeräte für Schüler und Lehrer
5. "Es braucht Investitionen auch in den Ausbau von Fortbildungen"
- Wie sieht die aktuelle Lage im Fortbildungsbereich aus?
- Wann sollen die Kollegen diese FOB machen?
- Kann es zu Pflichtfortbildungen in den Sommerferien kommen?
Die Kolleginnen und Kollegen haben sich mehrheitlich auf den Weg gemacht und den Unterricht für digitale Inhalte aufbereitet. Sie sind motiviert hier weiter zu arbeiten und die gewonnen Erkenntnisse weiter auszubauen. Der Wunsch nach Vertiefung dieser Kenntnisse ist sachimmanent. Der BLLV fordert seit Jahren: Fortbildungen ja, aber nicht einfach on top. Es müssen auch die entsprechenden zeitlichen Ressourcen fest zur Verfügung gestellt werden.
6. "Digitale Plattformen ermöglichen individuelle Betreuung auch des einzelnen Schülers, wenn daheim die notwendige Unterstützung nicht gewährt werden kann. Zugleich werden über diese Schiene individuelle Zugänge zu Schülern und Eltern möglich, die sich normalerweise als schwierig erweisen."
- Kann digitale Kommunikation mit den an Schule beteiligten Personen die reale Begegnung ersetzen?
Das Schlüsselfazit der Bildungsforschung zur Corona-Zeit lautet, dass gerade die Schüler, die unter erschwerten Bedingungen lernen, am wenigsten von der Situation profitierten. Gerade hier müssen digitale Angebote folglich mit besonderer Vorsicht betrachtet und das Lernen auf persönlicher Ebene gestärkt werden. Menschliche Kommunikation, Lernen und Verstehen basieren auf Beziehung. Dies darf keinesfalls in Zweifel gezogen werden. Der Einbezug von digitalen Medien kann immer nur als Ergänzung und Ausweichmöglichkeit gesehen werden, wenn die Realität die echte Begegnung erschwert. Dies ist auch im Zusammenhang mit der so wichtigen Kommunikation im Bereich der Elternkooperation von Bedeutung. // Birgit Dittmer-Glaubig, Leiterin der Abteilung Berufswissenschaft im BLLV