Oder dürfen wir Lehrerinnen und Lehrer das gar nicht sagen? Auch auf nichts hinweisen? Auf unsere ganz spezifischen Herausforderungen, die besondere psychosoziale Situation an den Schulen, die Hektik und Unsicherheit, die durch beide Krisen - Corona und Lehrermangel - seit März 2020 jeden Tag an unseren Schulen herrschte? Auf die oftmals überhöhten Erwartungen an den Wechselunterricht, das Lernen zu Hause, die Notbetreuung und selbstverständlich die Erwartung, dass doch eigentlich alles so laufen müsste wie immer oder noch besser – und vor allem überall gleich?
Das Schuljahr 2020/2021 geht zu Ende: Unsere Kräfte auch!
„Wir Lehrerinnen und Lehrer, wir Schulleiterinnen und Schulleiter und alle in der Schulverwaltung haben alles gegeben: Alles, damit in diesem herausfordernden Krisenjahr Schülerinnen und Schüler Bildung und Erziehung, so gut es ging, erfahren konnten. Wir alle waren nicht nur systemrelevant, sondern wir haben das Schulsystem bestmöglich getragen.
Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband traut sich hinzustehen, die Kolleginnen und Kollegen mit aller Kraft zu unterstützen und sich hinter sie zu stellen! Dies ist der Weckruf des BLLV an die Politik:
Wir Lehrerinnen und Lehrer, die Schulleiterinnen und Schulleiter und alle in der Schulverwaltung haben Wertschätzung, Anerkennung und uneingeschränktes Lob verdient. Von der Politik, von der Gesellschaft und von den Eltern.
Und: Wir gehen noch weiter. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann fordert Ruhe!
Wir alle haben jetzt eine Auszeit, Ruhe, Erholung und einfach mal Ferien verdient. Alle: Die Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer, vor allem aber auch die Schulleiterinnen und Schulleiter und alle in der Schulverwaltung. Viele hatten im letzten Schuljahr keine Ferien, keine Zeit zum Durchschnaufen und Energie tanken. Es ging immer weiter, weiter und weiter – ein Schuljahr im Hamsterrad.
Wir fordern, dass nicht nur wir dies formulieren, sondern wir starten diesen Weckruf, damit es die politisch Verantwortlichen tun. Jetzt!
Wir wollen zum einen die Anerkennung und zum anderen das bildungspolitische Logbuch als Perspektive für die Zukunft. Wenn wir weiter - so wie die letzten eineinhalb Jahre - wie im Hamsterrad rennen und dies jetzt auch in den Sommerferien tun, fehlt uns definitiv die dringend erforderliche Energie für den Neustart im September: Dieses ständige „Was kann wohl kommen? Wie wird es denn nun weitergehen? Was wird Neues und Anderes auf uns zukommen? Werden wir wieder keine Sicherheit, Klarheit und Orientierung in der neuen Normalität bekommen?“ Und wenn denen, die als Kolleginnen und Kollegen an den Schulen schon lange alles geben, die Energie fehlt, und wir auch noch zu wenige Lehrkräfte im Grund-, Mittel- und Förderschulbereich haben, schaffen wir die anstehenden Herausforderungen definitiv nicht.
Nun hat der Kultusminister zumindest etwas verstanden:
Das aktuelle KMS versucht in Ansätzen, die Bedingungen für das nächste Schuljahr zu klären. Was dies nun genau bedeutet, wird sich aber erst in der Praxis zeigen, wenn die Schule wieder losgeht!
Ein Weckruf des BLLV an die politisch Verantwortlichen:
Schule im Krisenmodus kostete viel Kraft! Daher braucht Schule im Krisenmodus und in Präsenz im September jetzt unbedingt ein ausführliches bildungspolitisches Logbuch mit folgenden Punkten:
1. Klare rechtliche, pädagogische, gesundheitsrelevante und organisatorische Rahmenbedingungen. Dieser vier Bereiche bilden den „Schulrahmen“ des Bildes, das dann vor Ort „ausgemalt“ und professionell gestaltet werden kann. Nur wenn die Rahmenbedingungen von der Politik jetzt klar definiert werden, können wir vor Ort die jeweiligen Szenarien leben. Das ist Professionalität in Zeiten der neuen Normalität. Und nicht am Dienstag in einer Pressekonferenz Schule neu aufstellen, am Freitag das KMS bekommen und bis Montag als Schulleitung und
-verwaltung mal schnell alles neu organisieren.
Das ist der eine Teil des Weckrufes.
2. Die Big5 der Gesundheitsmaßnahmen müssen jetzt her, sie müssen wissenschaftlich eindeutig belegt und politisch astrein und verlässlich definiert werden! Impfen, Testen, Masken, Lüften, AHA. Wenn alle in der Schulfamilie verstehen sollen, wie Präsenzschule sicher stattfinden kann, muss diese Orientierung jetzt her. Professionalisierung der Schulen in einer neuen Normalität – mit neuen Kriterien neben den Inzidenzen und ggf. neuen Mutationen des Virus – heißt: Klarheit über Maßnahmen des Schutzes,um dann Schule in Präsenz, aber sicher zu leben. Das ist der zweite Teil des Weckrufes.
3. Der dritte Teil des Weckrufs: Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen und Ruhe in der anstehenden Ferienzeit, um Kraft für das neue Schuljahr zu schöpfen. Das geht nur, wenn die Politik in den Ferien ihre Hausaufgaben macht und eben nicht wieder wartet, bis ganz plötzlich die Schule im September beginnt. Das bildungspolitische Logbuch führt zur inneren Ruhe der Kolleginnen und Kollegen – und aller, die mit Schule zu tun haben.
4. Und schließlich die Kernfrage: Wie schaffen wir es auf lange Strecke die Gesundheit, das Glück, die Bildungsqualität, die sozial-emotionale Entwicklung und alles, was Schule sonst noch ausmacht, in den Blick zu nehmen? Bestimmt nicht, indem wir einfach sagen, dass alles normal ist. Nicht, indem wir immens hohe Erwartungen in kürzester Zeit erfüllen müssen. Nicht, indem wir Schulen weiterhin überfrachten mit zusätzlichen Herausforderungen. Also: Ehrlichkeit ist gefragt. Ehrlichkeit, dass all das, was wir in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht an Normalität bieten konnten, bis Dezember eben auch nicht heil sein wird oder als Weihnachtsgeschenk einfach so ausgepackt werden kann. Dabei müssen wir vor allem den Lehrermangel an den Grundschulen, den Mittelschulen und den Förderzentren in den Mittelpunkt rücken. Deutlich gestiegene Herausforderungen mit Corona, mangelhafte Lehrerversorgung, keine zusätzlichen Stunden mehr, Kürzungen in einigen Bereichen der schulischen Angebote, zusätzliches nicht-pädagogisches Personal und eine noch größere Heterogenität bei den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler! Dies alles zeigt, dass wir die schulische Welt eben nicht bis Weihnachten heil machen können. Das wird mehrere Jahre dauern.
Der vierte Baustein des BLLV Weckrufs heißt also: Die Erwartungshaltung aller Beteiligten an die Realität anpassen.“
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann will mit den vier Bausteinen des Weckrufs eines ganz klar machen:
Warten hilft nicht. Warten wird beim Lehrermangel nicht helfen.
Warten, bis die Ferien vorbei sind, wird nicht helfen.
Politisch kluges und klares Handeln ist jetzt gefragt!