Dr. Bojan Godina sprach bei der Fachanhörung
Referent Dr. Bojan Godina
Fachanhörung Digitalisierung und Schule - Lerninhalte Digitalisierung

Brauchen wir eine Medienethik?

Wie können Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien, Lehrbücher und Lernprogramme Medienkompetenz fördern? Und wie kann Bildung dazu beitragen, dass Kinder den unbegrenzten Möglichkeiten neuer Technologien moralisch und ethisch korrekt, mit den Gefahren kritisch und reflektiert umgehen?

Um diese brennenden Fragen zur digitalen Kompetenz und Medienethik ging es in der 6. Fachanhörung des BLLV zum Thema "Digitalisierung und Schule". Gäste des BLLV waren zwei profilierte Experten der Medienpädagogik und Medienethik, die das Thema aus ihrer jeweiligen Sicht beleuchteten: Der Medienpädagoge Prof. Dr. Heinz Moser* und der Theologe und Psychologe Dr. Bojan Godina*.

Die Leiterin der Abteilung Berufswissenschaft und der BLLV-Projektgruppe Digitalisierung und Schule, Birgit Dittmer-Glaubig, führte in das Thema mit den Worten ein: "In der digitalisierten Gesellschaft werden Schulen in Zukunft auch einen kompetenten und kritischen Umgang mit neuen Technologien vermitteln müssen. Nur so können die Schüler/innen erfolgreich am privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben." Sie betonte, dass Medienkompetenz heutzutage überall notwendig ist: "Als Nutzer haben wir mit digitalen Medien in unserem gesamten Alltag zu tun - und das bedeutet, dass sie auch jedes Fach in der Schule auf irgendeine Weise tangieren."

Bewahrpädagogik reicht nicht mehr aus

Prof. Heinz Moser mit den Arbeitsschwerpunkten visuelle Medien, Netzdidaktik, Medienbildung und Praxisforschung distanzierte sich von dem Ansatz einer "bewahrenden" Medienpädagogik, die ihren pädagogischen Auftrag darin sehe, Kinder vor den Medien zu schützen. Medien müssen als Chance verstanden werden. Allerdings sei es notwendig, dass die Kinder einen dosierten und kritischen Gebrauch der digitalen Angebote erlernen müssen, um eine gesunde Resilienz gegen mediale Verführungen und Gefahren zu entwickeln. Hierzu müsse auch die Schule beitragen.

Manipulationen bewusst machen

Prof. Heinz Moser unterschied zwischen aktivem und passivem medialen Handeln und riet dazu, diesen Unterschied bewusst zu machen. Vieles von dem, was wir online erleben, wird durch Algorithmen bestimmt und verfolgt kommerzielle und manipulierende Ziele. Dies müsse den Kindern bewusst gemacht werden. Es genüge nicht, reine Anwenderkompetenz zu erwerben. Gerade junge Menschen müssten auch Einblicke in die Grundlagen des Programmierens erhalten; nur so können sie verstehen, wo und wie sie möglicherweise manipuliert werden.
Als Beispiel führt er die Profilanpassungen, etwa bei Facebook an: Diese reichten bei weitem nicht aus, um sicher zu sein, sie hätten eher eine Art Placebofunktion, "wie ein aufblasbarer Gummischwimmring auf dem offenen Meer".

Ethische Wertmaßstäbe verändert durch digitale Features

Moser zeigte Befragungen zum "Digital Lifestyle", die belegen, wie die Nutzung neuer Medien unsere Normen und Werte im menschlichen Zusammenleben beeinflussen. Statt die Schüler also nur unter Gesichtspunkten der Effizienz für die digitale Welt auszubilden, sollte man sie als Lehrer auf ihrem Weg zur aktiven Teilhabe daran kritisch begleiten.
Schließlich regte er sehr dazu an, gesellschaftliche Fragen, die aus der Nutzung der digitalen Medien entstehen (Big Date, Fake News etc.) mit Schülern zu diskutieren - erst so werde ihnen die Tragweite der neuen Medien für ihr eigenes Leben bewusst.

Medienpädagogik ist auch Gesellschaftskunde

Dr. Bojan Godina, Berater, Autonomietrainer, Coach und Dozent analysierte die modernen audiovisuellen Medien im Hinblick auf die Ziele und ihre Verführungsstrategien und demonstrierte diese u. a. an der Machart von Computerspielen. Er stellte die große Faszination, die digitale Medien ausüben, anhand von zahlreichen Beispielen dar. Dabei ging er insbesondere auf die dahinterliegenden Marketingstrategien ein. Medienprodukte würden gezielt so entworfen, dass sie süchtig machen. Kinder seien diesen Werbestrategien weitgehend schutzlos ausgesetzt. In Anbetracht dessen gehe es darum, eine mediale Werteerziehung in der Schule zu vermitteln. Dazu gehöre auch eine Analyse der Medienprodukte und ihrer Konsequenzen.

Kinder in der Konsumentenrolle

Metaanalysen hätten bewiesen, dass der regelmäßige Konsum von gewalttätigen Videospielen messbare Effekte auf das soziale Verhalten zeige. Godina verwies auf die Menschen- und Kinderrechte als einem Wertemaßstab, an dem sich auch die Medienerziehung orientieren müsse.
Er appellierte, den Schülern Menschenrechte praktisch greifbar zu machen: "Fragen Sie sie, welches die wichtigsten Regeln für eine bessere Welt wären." Diese würden dann am besten auf das eigene Klassenzimmer übertragen und schließlich auch anhand der Medien überprüft

Lehrer: "Was müssen wir noch alles tun?"

Die von Vizepräsident Tomi Neckov moderierte Diskussion mit den beiden Referenten drehte sich um die Frage, wie die medienethischen Anforderungen in den konkreten Schulalltag mit seinem heterogenen Klassenverband umsetzbar sei. Das Postulat, dass Lehrer die Lebenswirklichkeit der Kinder kennen, also auch ihren Medienkonsum kennen müssten, wurde insofern kritisch diskutiert, als es nicht Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer sein könne, die Medienprodukte der Schüler zu recherchieren.
Es wurde bemängelt, dass es zur digitalen Medienbildung kaum aktuelles Lehrmaterial gebe. Schulbücher und die Lernplattform Mebis allein reichten nicht aus, für Fortbildung und Unterrichtsvorbereitung gebe es viel zu wenig professionelle Hilfe. Mit einer Mediendidaktik, die nicht auf der Höhe der Zeit ist, falle es aber schwer, bei Schülern ein kritisches Bewusstsein und eine medienethische Orientierung zu geben.

*Zu den Referenten

*Prof. Heinz Moser

Promotion 1973 an der Universität Zürich. Habilitation 1989 an der Universität Münster. Emeritierter Honorarprofessor für Medienpädagogik der Universität Kassel und Professor der PH Zürich. Mitbegründer der Aktionsforschung der 1970er Jahre und bis 2013 geschäftsführender Herausgeber der Online-Zeitschrift MedienPädagogik. Verfasser des Buches "Einführung in die Medienethik", das in Kürze eine aktualisierte Neuauflage erhalten soll.

*Dr. phil. Bojan Godina

Promotion an der Universität Heidelberg mit empirischer Grundlagenforschung zu medialen Manipulationsmethoden, der Integration der Menschenrechte in die Medienwelt und ihrer medienpädagogischen Anwendung im Bereich der Peer-Education. Vorher Studium der Theologie, Psychotherapie; klinischen Psychologie und sozialen Verhaltenswissenschaften (M.A.). Ausbildung zum Supervisor, Ausbilder und Trainer. Dr. Godina leitete von 2008 bis 2015 das interdisziplinäre Hochschulinstitut für kulturrelevante Kommunikation und Wertebildung in Nürtingen.



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