Es ist fast schon ein Automatismus, dass bei schwerwiegenden Vorfällen in sozial benachteiligten Kontexten die Migrationsdebatte neu entfacht wird. Dabei werden stets dieselben Argumente ausgetauscht und sehr schnell werden sachliche Debatten von Stigmatisierungen und Stereotypen überlagert.
Der Migrationshintergrund ist nicht das Problem
Aus der Forschung wissen wir, dass ein Migrationshintergrund zwar häufig mit vielen gesellschaftlichen Herausforderungen einhergeht, es aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen diesen Aspekten gibt. Wenn nämlich neben dem Migrationshintergrund auch der sozioökonomische Hintergrund berücksichtigt wird, zeigt sich, dass soziale Benachteiligung insbesondere in Form von Einkommens- und Bildungsarmut ausschlaggebend für problematische Lebens- und Verhaltensweisen sind und nicht etwa die familiäre Herkunft. In der Wissenschaft ist diese Tatsache schon längst allgemein bekannt. Im gesellschaftlichen Diskurs ist diese enorm wichtige Erkenntnis leider noch nicht angekommen.
Es muss deutlich gesagt werden: Nicht der Migrationshintergrund ist das Problem, sondern die Konzentration sozialer Benachteiligung bei bestimmten Bevölkerungsgruppen und in bestimmten Sozialräumen. Dieses Problem ist hausgemacht und erfordert gesellschaftspolitisches Handeln.
Bildung als Antwort?
Gerade bei Vorfällen, bei denen jüngeren Menschen beteiligt sind, werden das Problem und die Lösung häufig im Bildungssystem gesehen. Übersehen wird dabei, dass Bildung lediglich einer von vielen Faktoren ist, die einen Menschen und dessen gesellschaftliche Stellung ausmachen. Dennoch kann Bildung prinzipiell Lebensläufe verändern und Chancen ermöglichen. Die Rahmenbedingungen sind dafür jedoch nicht geeignet.
So gerne würden wir Lehrerinnen und Lehrer den Kindern und Jugendlichen mehr Förderung zukommen lassen, mehr Aufmerksamkeit schenken, mehr partnerschaftlich mit den Familien kooperieren. Möglich ist das insbesondere in Zeiten des Lehrer- und Fachkräftemangels leider häufig nicht. Wir sehen die Herausforderungen tagtäglich und geben unser Bestes, um den Kindern und Jugendlichen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Solange die Rahmenbedingungen und die sozialen Probleme aber so bleiben, sind alle Mühen vergebens.
Soziale Probleme sind nicht die alleinige Schuld einzelner, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung
Schuldzuschreibungen sind bei derartigen Vorfällen nicht zielführend, da es sich dabei um Symptome komplexer sozialer Probleme handelt. Es ist ebenso wenig zielführend, Bildung als Schlüssel zur Lösung aller sozialen Probleme zu postulieren. Um die Probleme zu lösen, müssen der sozialen Benachteiligung und der strukturellen Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen langfristig mit allen politischen Mitteln präventiv entgegengewirkt werden. Wir alle sind mitverantwortlich für die sozialen Probleme unserer Gesellschaft und wir alle müssen diese Verantwortung wahrnehmen und gemeinsam tragen und unseren Beitrag leisten, damit es nicht mehr zu solchen Vorfällen wie zur Silvesternacht kommt. Wir Lehrerinnen und Lehrer nehmen diese Verantwortung tagtäglich wahr, aber alleine können wir die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen.
Kommentar zu den Vorfällen der Silvesternacht
Themen
Bildung allein löst keine gesellschaftlichen Probleme
Wieder einmal steht der Migrationshintergrund im Zentrum des politischen Diskurses. Wieder einmal werden Schuldige gesucht. Die Ursachen der Probleme sind, genauso wie mögliche Lösungen, bekannt. Eine Gesellschaft, die Menschen von klein an strukturell benachteiligt und ausgrenzt, darf sich nicht wundern, wenn es dabei zu Problemen kommt.