BLLV entwickelt Gesetzesvorschlag Integration

Bayerisches Integrationsgesetz (BayIntG)

Verbandsanhörung - Schreiben an das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration am 6.4.2016

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) dankt für die Übermittlung des Entwurfs des Bayerischen Integrationsgesetzes (BayIntG) und nimmt dazu wie folgt Stellung:

 

Vorbemerkungen:

Der BLLV begrüßt grundsätzlich die Erstellung eines Bayerischen Integrationsgesetzes. Der vermehrte Zuzug von schutzsuchenden Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern und mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen nach Bayern stellt uns – gerade in den Schulen und Kindertageseinrichtungen – vor neue Herausforderungen. Ein Integrationsgesetz kann aus Sicht des BLLV in dieser Situation die notwendige Unterstützung bieten, wenn es das gemeinsame Zusammenleben erleichtern und das gegenseitige Verständnis füreinander stärken will und kann.

Der BLLV beschränkt sich in dieser Stellungnahme auf die bildungspolitischen Aussagen des Gesetzentwurfs zum BayIntG, da wir als Verband von Pädagoginnen und Pädagogen hierzu das Mandat haben. Dessen ungeachtet zwei Anmerkungen:

  • Im Sinne einer gelingenden und nachhaltigen Integration ist es aus Sicht des BLLV richtig, Geflüchteten und Zugewanderten sowohl mit dem Ansatz des Förderns als auch mit dem des Forderns zu begegnen. Das Angebot der Integration kann verbunden werden mit Auflagen zur Integration.
  • Der BLLV gibt jedoch zu bedenken, dass Formulierungen des Gesetzentwurfs nicht in erster Linie als Angebot zur Integration verstanden werden könnten, sondern der Charakter der Abschreckung durch angedrohte Strafen in der Vordergrund rücken könnte. Vor allem die in
  • Art. 13 und 14 aufgelisteten Sanktionen bei fehlender Integrationsbereitschaft sind geeignet, Vorbehalte und Vorurteile zu verstärken, die mit gegenseitiger Toleranz und Rücksichtnahme (vgl. Art 3) nicht vereinbar sind.
  • - Formulierungen des Gesetzesentwurfs erscheinen dem BLLV als unklar (z.B. „demonstrative Regelverstöße“ (Art. 13), „jeder Einzelne ist (…) zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen verpflichtet“ (Präambel), „unabdingbare Achtung der Leitkultur“ (Art. 1)). Jenseits des Gesetzes könnte deshalb im Zuge des Verwaltungshandelns ein Ermessensspielraum zu Lasten der bei uns Schutzsuchenden entstehen.
  • - Das Aufgreifen von Tatbeständen, deren Ahndung bereits durch andere Gesetzestexte möglich ist (z.B. „Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung“, Art. 14), erscheint uns unangemessen.

     Der BLLV bittet um geeignete Änderungen des Gesetzesentwurfs.

  • Der BLLV begrüßt ausdrücklich das klare Bekenntnis des Gesetzesentwurfs für Integration, für Toleranz (Art. 3), für die Solidarität mit Schwächeren und Hilfsbedürftigen (Präambel) - und für die Annahme der Verantwortung durch den Freistaat Bayern (Art. 1). Der BLLV bedauert allerdings gleichzeitig, dass dieses Vorhaben im Gesetzentwurf allein schon im Tonfall nicht durchgehalten wird. Begriffe wie „Flüchtlingskrise“ (Vorspann und Begründung), „tiefe gesellschaftliche Gräben“ oder „soziale Konflikte“ (Vorspann) oder „gesellschaftliche Überforderung“ (Art. 1) weisen eine völlig unnötige Schärfe auf, die der weltweit beachteten und von den allermeisten Bürgerinnen und Bürgern weiterhin gelebten Willkommenskultur in Bayern nicht gerecht wird.

    Verbale Schärfe dieser Art ist geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass von Migrant/innen eine Bedrohung für unsere Rechtsordnung ausgeht, die solche Maßnahmen nötig machte. In einer Zeit, in der Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf Leib und Seele von Flüchtlingen auch in Bayern massiv zugenommen haben, bittet der BLLV, diesen Eindruck in jedem Fall zu verhindern.

Als Lehrerinnen und Lehrer wissen wir, dass Integration dann gelingt, wenn die betroffenen Mitglieder der Schulgemeinschaft möglichst an einem Strang ziehen. Von Seiten der Politik und des Gesetzgebers sollte deshalb alles vermieden werden, was eine solche Willkommenskultur gefährden könnte.

Insbesondere der im Gesetzentwurf als zentral benannte Begriff der „Leitkultur“ ist insgesamt nicht hinreichend klar. Wie sollen bayerische Schulen auf dessen Berücksichtigung verpflichtet werden (vgl. Begründung zu Art. 7, S. 22)? Der Begriff „Leitkultur“ könnte auf dem Schulhof, im Klassenzimmer oder beim Elternabend schnell zum Kampfbegriff, als Forderung nach Assimilation an jede Anders-artigkeit werden. Und damit gerade nicht zur Aufforderung zu gegenseitigem (!) Respekt und Toleranz.

Der Begriff „Leitkultur“ bedarf deshalb einer klaren Definition. Da dies schon wegen der Vielfalt der Lebensformen in Bayern vermutlich kaum möglich sein dürfte, sollte er vermieden werden. Gerade ein Integrationsgesetz sollte sich Begrifflichkeiten der parteipolitischen Abgrenzung und Abschottung enthalten.

 

Stellungnahme des BLLV zu den bildungspolitischen Inhalten des BayIntG

Der BLLV begrüßt ausdrücklich:

  • Bildung wird als „ein zentraler Schlüssel zur Integration“ (Art 3) benannt.
  • Bildung, dem wichtigstem Motor einer gelingenden Integration, wird im Gesetzentwurf großer Raum zugestanden. In den Artikeln 3 bis 8 wird die Bedeutung der Bildungsinstitutionen und des Erwerbs der deutschen Sprache vom vorschulischen Bereich bis hin zur Hochschule für erfolgreiche Integrationsprozesse betont (vgl. auch Art. 2, Abs. 3, Satz 2).
  • Integration wird beschreiben als Ziel, das von Migrant/innen UND von der bayerischen Bevölkerung gemeinsam zu erreichen ist. Die Notwendigkeit von „gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt sowie des Respekts vor der Einzigartigkeit (…) des anderen“ werden als Vorgaben für die Integration durch Bildung gesetzt. „Interkulturelle Sensibilität von Bevölkerung und Verwaltung“ werden gefordert (Art. 1). Kindertagesstätten haben Sorge zu tragen, dass alle Kinder „eine eigene von Nächstenliebe getragene religiöse oder weltanschauliche Identität (...) entwickeln“ (Art. 5).
  • Die interkulturelle Sensibilisierung von Erzieher/innen und Lehrer/innen bis zu freiwilligen Förderangeboten an den Hochschulen wird als Ziel formuliert.
  • Mehrsprachige Kindertageseinrichtungen werden bei der vorschulischen Sprachförderung ausdrücklich einbezogen (Begründung zu Art. 5).
  • Es werden „gesonderte Klassen“ (z.B. Übergangsklassen) weiterhin ermöglicht und zugleich wird „eine frühestmögliche Aufnahme in den Unterricht der Regelklasse“ als Ziel formuliert. (Art. 7, Abs. 3).
  • Eine Beschulung bereits vor Ablauf von 3 Monaten ab Zuzug wird ermöglicht (Art. 17a, Abs. 5, Nr. 3b), Satz 3).

Folgende Änderungen bittet der BLLV am Entwurf des BayIntG vorzunehmen:

  • Alle Maßnahmen zur Integration werden pauschal unter Haushaltsvorbehalt gestellt. (Art. 3, Abs. 8 und Art. 17). Damit gibt es weder eine verbindliche Zusage noch einen Rechtsanspruch auf irgendeine Einzelmaßnahme. Die oben gewürdigten Ziele des Integrationsgesetzes bleiben somit sämtlich unverbindlich.

    Beispielhaft: Die – zurecht geforderte – Fortentwicklung der „notwendigen interkulturellen Kompetenzen“ des pädagogischen Personals in der vorschulischen Sprachförderung (Art. 5, Abs. 1, Satz 5) kann ohne finanzielle Mittel kaum realisiert werden. Analog gilt dies für „die interkulturelle und integrative (…) Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte“ (Art. 7, Abs. 2).

    Der BLLV fordert, den Haushaltsvorbehalt zu entfernen und damit allen Beteiligten Rechtssicherheit zu geben. Zudem bleibt für uns unverständlich, wie Strafandrohungen ausgesprochen werden können, wenn gleichzeitig sämtliche Integrationsmaßnahmen unverbindlich bleiben sollen. 

  • Jede Einschränkung der Schulpflicht lehnt der BLLV entschieden ab (Art. 17a, Abs. 5, Nr. 3 und Art. 3, Abs. 1, Satz 3). Die Vorgabe der Bayerischen Verfassung (Art. 129) dürfen nicht angetastet werden:

    „Alle Kinder sind zum Besuch der Volksschule und der Berufsschule verpflichtet.“


    Art. 28 der UN-Kinderrechtskonvention ist uneingeschränkt umzusetzen:

    „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an.“


    Bewohner von Aufnahmeeinrichtungen dürfen nicht von der Schulpflicht ausgenommen werden. Die Streichung der Sätze 2 und 3, Art. 35 BayEUG, lehnt der BLLV ab. Die Schulpflicht muss uneingeschränkt auch für Kinder mit Aufenthaltserlaubnis oder Duldung bestehen bleiben. Ein vorzeitiges Inkrafttreten dieser Regelung (Art. 19, Abs. 1) ist inakzeptabel.

  • Es ist sicherzustellen, dass die mögliche Umlegung von Kosten für die Heranziehung eines Dolmetschers (Art. 4) dem Bildungsanspruch von Migrant/innen gem. Art. 6 bis 8 nicht im Wege steht.
  • Die besondere integrative Kompetenz von Pädagog/innen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, ist in den Bildungseinrichtungen gezielt zu nutzen. Migrant/innen sollen zugleich Möglichkeiten erhalten, ihre Muttersprache einzubringen. Bilinguale Kompetenz ist zu fördern.
  • Die Vorgabe für Kindertagesstätten, dafür Sorge zu tragen, dass alle Kinder „eine eigene von Nächstenliebe getragene religiöse oder weltanschauliche Identität (..) entwickeln“ (Art. 5), ist auch für Schulen zu setzen (ergänzend zu Art. 7, Abs. 1, Satz 2: „interkulturelle Kompetenz“ und Satz 3 „Unterschiedlichkeit“).
  • Die „interkulturelle Kompetenz“ aller Schüler/innen (Art. 7, Abs. 1, Satz 2) ist durch die interreligiöse Kompetenz zu ergänzen. Beide Kompetenzen sind auch für die Frühkindliche Bildung anzustreben (Art. 6).
  • Die Förderung der Demokratiepädagogik in der frühkindlichen Bildung (Art. 6) sowie an allen Schulen (Art. 7) ist erheblich zu stärken. Sie dient nicht nur der Integration von Flüchtlingskindern, sondern allen Schülerinnen und Schülern. Entsprechend den Vorgaben der Präambel ist Demokratiepädagogik ein wichtiger Beitrag gegen Gewaltbereitschaft gegenüber Flüchtlingen, gegen den Anstieg rechtsextremer Straftaten und für einen aktiven Einsatz für unsere Demokratie.
  • Die Zurückstellung vom Schulbesuch aufgrund ungenügender Deutschkenntnisse soll weiterhin im Ermessen der Grundschule bleiben. Eine Verpflichtung der Zurückstellung vom Schulbesuch lehnt der BLLV ab (Art. 17a, Abs. 5, Nr. 4 und 5). Art. 37a BayEUG bleibt unverändert.
  • Art. 5, Abs. 3 ist so zu ändern, dass die Erziehungsberechtigten durch die zuständigen Stellen zwingend über mögliche weitere Fördermaßnahmen zu unterrichten sind (und nicht nur unterrichtet werden „können“).

Der BLLV verweist abschließend auf seine grundlegenden Forderungen zur Integration von Flüchtlingen durch Bildung, die ich als Anlage beifüge.



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